Zucker-Diabetes-Essen

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Verbraucherorganisation foodwatch rufen Ärztinnen und Ärzte auf, einen Offenen Brief an die Bundesregierung sowie an die Parteivorsitzenden für eine effektive Prävention nichtübertragbarer chronischer Krankheiten zu unterzeichnen. Machen Sie mit. Jede Unterschrift zählt.

Die Weltgesundheitsorganisation und internationale Fachgesellschaften hätten schon lange erkannt, dass sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern müssten, um Fehlernährung wirksam zu bekämpfen, erklärten die Organisationen. In dem gemeinsamen Appell, den sich die Ärztinnen und Ärzte unter www.aerzte-gegen-fehlernaehrung.de anschließen können, fordern die Autoren von der Bundespolitik vier konkrete Maßnahmen: eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung in Form einer Nährwert-Ampel, verbindliche Standards für die Schul- und Kitaverpflegung, Beschränkungen der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung sowie steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie, gesündere Rezepturen zu entwickeln.  

„In Sachen Prävention ist Deutschland noch immer ein Entwicklungsland. Während zahlreiche andere Staaten in Europa im Kampf gegen Fehlernährung bei Kindern- und Jugendlichen die Lebensmittelwirtschaft in die Pflicht nehmen, setzt die Bundesregierung weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie und auf Programme für Ernährungsbildung. Das ist ein Skandal. Es ist dringend an der Zeit, dass die Politik die Kindergesundheit besser schützt“, erklärte Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). 

Laut dem Robert-Koch-Institut gelten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von drei bis 17 Jahren als übergewichtig oder adipös. Im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren hat der Anteil übergewichtiger Kinder damit um 50 Prozent zugenommen, der Anteil adipöser Kinder hat sich sogar verdoppelt. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei Erwachsenen, wo heute 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen als übergewichtig oder adipös gelten. Besorgniserregend sind auch die Zahlen der Diabetes-Erkrankungen. In Deutschland leben derzeit 6,7 Millionen  Menschen mit Diabetes – eine Steigerung um etwa 38 Prozent seit Beginn des Jahrtausends, altersbereinigt etwa 24 Prozent. Eine unausgewogene Ernährung, die häufig bereits im Kindesalter erlernt wird, ist einer der Gründe für diese Entwicklung.

„Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Eine aktive medizinische Community ist entscheidend, um die politischen Entscheidungsträger zu überzeugen. Ärzteschaft, Fachverbände und Zivilgesellschaft müssen die Kräfte bündeln und klarmachen: Ohne das entscheidende Eingreifen der Politik können wir die Adipositas- und Diabetes-Epidemie nicht stoppen. Deshalb rufen wir alle Ärztinnen und Ärzte auf, den offenen Brief an die Politik zu unterzeichnen“, sagte der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland.

Freiwillige Vereinbarungen mit der Lebensmittelindustrie seien ein Irrweg, so die Organisationen. Das zeigten die bislang wirkungslose Selbstverpflichtung von Herstellern, die an Kinder gerichtete Werbung einzuschränken sowie das Verhalten von Wirtschaftsakteuren in der Plattform für Ernährung und Bewegung. Der zu erwartende Effekt der von der Bundesregierung geplanten und auf Freiwilligkeit basierenden Strategie zur Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln sei deshalb gering. 

„Die gesunde Wahl muss die einfache Wahl für uns Verbraucherinnen und Verbraucher werden“, forderte Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagnen von foodwatch.„Wir brauchen ein Zusammenspiel an verbindlichen Maßnahmen: Eine verbraucherfreundliche Nährwert-Kennzeichnung, Beschränkungen der an Kinder gerichteten Werbung, Mindestanforderungen für Schul- und Kitaessen sowie steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie, endlich gesündere Produkte anzubieten.“

Offener Brief an die Bundesregierung

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Minister, sehr geehrte Parteivorsitzende,

Übergewicht und Adipositas bei Kindern, Jugendlichen sowie Erwachsenen haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)  sowie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)  sprechen in diesem Zusammenhang von einer „globalen Adipositas-Epidemie“.

Laut KiGSS-Studie gelten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von drei bis 17 Jahren als übergewichtig oder adipös (Body Mass Index = BMI ≥ 25), 6,3 Prozent aller untersuchten Kinder als adipös (BMI ≥ 30). Im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren hat der Anteil übergewichtiger Kinder damit um 50 Prozent zugenommen, der Anteil adipöser Kinder hat sich sogar verdoppelt.  In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder auf hohen Niveau stabilisiert, der Anteil adipöser Jugendlicher ist jedoch weiter gestiegen.  Damit zeigt sich bei den Kindern und Jugendlichen eine ähnliche Entwicklung wie bei den Erwachsenen. Hier gelten 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen als übergewichtig oder adipös. Auch bei den Erwachsenen hat sich der Anteil von Übergewichtigen in den vergangenen Jahren nicht weiter erhöht, dafür aber der Anteil der Adipösen: So ist deren Anteil bei Frauen seit 1998 innerhalb eines Zeitraums von rund zehn Jahren von 22,5 Prozent auf 23,9 Prozent gestiegen, bei Männern von 18,9 Prozent auf 23,3 Prozent.  

Ein ähnliches besorgniserregendes Bild zeigt sich bei der Diabetesprävalenz: Im Rahmen der DEGS1-Studie (2008-2011)  wurde die Anzahl der an Diabetes erkrankten Personen auf etwa sechs Millionen Menschen geschätzt. Im Vergleich zur BGS98-Studie (1997-1999) entspricht das einer altersbereinigten Steigerung um 24 Prozent. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen leiden an Typ-2-Diabetes.  Im aktuellen nationalen Gesundheitsbericht wird die Zahl der in Deutschland an Typ-2-Diabetes erkrankten Personen auf 6,7 Millionen geschätzt.  

All dies verursacht nicht bloß millionenfaches physisches und psychisches Leid bei den Betroffenen, sondern auch einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden. Adipositas führt Schätzungen zufolge zu gesamtgesellschaftlichen (direkten und indirekten) Kosten in Höhe von 63 Milliarden Euro jährlich , Diabetes schätzungsweise zu Kosten in Höhe 35 Milliarden Euro . Ein beträchtlicher Anteil davon ist nach einhelliger Einschätzung vermeidbar. 

Risikofaktor unausgewogene Ernährung / gesüßte Getränke

Eine unausgewogene Ernährung, die häufig bereits im Kindesalter erlernt wird, ist einer der Gründe für diese besorgniserregende Entwicklung. Kinder im Alter von 6-11 Jahren verzehren im Schnitt etwa doppelt so viele Süßigkeiten und zuckergesüßte Getränke aber weniger als halb so viel Obst und Gemüse, wie vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) empfohlen.  Dabei sind zuckergesüßte Getränke besonders hervorzuheben. Der regelmäßige Konsum von Limonade & Co. erhöht das Risiko für die Entstehung von Übergewicht, Adipositas, Typ-2-Diabetes, Karies sowie weiterer chronischer Krankheiten wie koronaren Herzerkrankungen. Die Deutschen liegen beim Konsum zuckergesüßter Getränke mit etwa 84 Liter pro Kopf und Jahr im europäischen Vergleich an dritter Stelle. Mehr zuckergesüßte Getränke werden nur in Belgien und den Niederlanden getrunken.  Das Robert Koch-Institut stellte 2013 folgerichtig fest, „dass in Deutschland ein hohes Präventionspotenzial bzgl. des Konsums zuckerhaltiger Getränke besteht.“ Dies gelte „insbesondere für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene“.  Neuere Studien legen nahe, dass auch mit dem regelmäßigen Konsum süßstoffgesüßter Getränke eine Erhöhung des Risikos für Überwicht einhergehen kann. 

Sonderabgaben auf gesüßte Getränke / Beschränkungen der an Kinder gerichteten Werbung

Weltweit setzen zahlreiche Regierungen und Behörden auf Maßnahmen zur Reduzierung des Konsums gesüßter Getränke. Unter anderem haben Belgien, Chile, Finnland, Ungarn, Mexiko,  Portugal, Frankreich, Philadelphia (USA), Berkeley (USA) oder auch Großbritannien und Irland Sonderabgaben oder -steuern für gesüßte Getränke eingeführt oder deren Einführung angekündigt – einerseits als Anreiz für die Hersteller, den Zuckergehalt ihrer Getränke zu reduzieren und andererseits als Finanzierungsquelle für Präventionsprogramme zur Förderung gesunder Ernährung.  Erfahrungen aus diesen Ländern zeigen Wirkung: In Mexiko, aber auch in Finnland, Berkeley und Frankreich ging der Konsum der betroffenen Produkte zurück. Die Weltgesundheitsorganisation hat mit ihrem aktuellen Bericht „Fiscal policies for Diet and Prevention of Noncommunicable Diseases (NCDs)“ allen Regierungen empfohlen, eine Sonderabgabe oder -steuer auf Zuckergetränke einzuführen. Laut der WHO zeige die wissenschaftliche Evidenz, dass eine 20-prozentige Abgabe den Konsum der Produkte um etwa 20 Prozent reduziere, was der Entstehung von Adipositas und Diabetes vorbeuge.  Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat jüngst in einem „Roundup“ die Lenkungswirkung einer solchen Regelung bestätigt.  

Als ergänzende Maßnahme zur Förderung gesunder Ernährung schlägt unter anderem die WHO-Kommission ECHO („Ending Childhood Obesity“) eine gesetzliche Beschränkung der an Kinder gerichteten Werbung vor. Lediglich für Produkte mit einem ausgewogenen Nährwertprofil sollten an Kinder gerichtete Werbemaßnahmen erlaubt sein. Für Produkte mit einem hohen Gehalt an Fett, gesättigten Fetten, Salz und/oder Zucker hingegen, sollten Werbemaßnahmen mit Comicfiguren oder auch Spielzeugbeigaben verboten werden. Das WHO-Regionalbüro für Europa hat 2015 ein geeignetes Nährwertprofilmodell vorgelegt, das definiert, für welche konkreten Lebensmittel beziehungsweise Rezepturen an Kinder gerichtete Werbung untersagt werden sollte.  

Bundesregierung kann wirksame Maßnahmen ergreifen

Sowohl die etwaige Einführung von Sonderabgaben auf gesüßte Getränke als auch eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für Lebensmittel fiele in die Zuständigkeit des Bundes. Bundesernährungsminister Christian Schmidt hatte solchen Maßnahmen jedoch mehrfach Absagen erteilt. In einem Namensartikel für den Tagesspiegel schrieb Herr Schmidt: 

Ich lehne eine politische Steuerung des Konsums durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel ab. Auch Strafsteuern ändern in der Regel nichts am Ernährungsverhalten der Menschen. (…) Stattdessen ist Bildung und ein hohes Maß an Transparenz für einen gesunden Lebensstil und eine gesunde Ernährungsweise wichtig.“ 

Aus Sicht der Ärzteschaft wird diese Haltung der Bundesregierung der Problematik nicht gerecht. Ernährungsbildung allein ist keine effektive Maßnahme gegen Übergewicht und Fehlernährung, schon gar nicht auf Bevölkerungsebene. Das zeigen die Erfahrungen aus der Adipositas-Forschung der vergangenen Jahrzehnte.  Auch die mittlerweile messbaren Erfolge in der Tabak-Prävention wurden nur mithilfe verbindlicher Vorgaben erreicht.  Mit gutem Grund empfehlen die WHO und zahlreiche andere medizinische Fachgesellschaften Maßnahmen, die über die Verhaltensprävention hinausgehen. Die gesunde Wahl muss zur einfacheren Wahl werden. 

Die Kehrtwende in der Adipositas-Epidemie wird nicht mithilfe freiwilliger Selbstverpflichtungen der Lebensmittelwirtschaft gelingen. Das zeigen die Erfahrungen beim Thema an Kinder gerichtete Werbung ,  und das Verhalten der Wirtschaftsakteure in der Plattform für Ernährung und Bewegung.  Aus diesem Grund ist die von der Bundesregierung angekündigte „nationale Strategie für die Reformulierung von Lebensmitteln“ zwar einerseits begrüßenswert, der zu erwartende Effekt jedoch sehr begrenzt. Denn die „nationale Strategie“ soll „gemeinsam mit der Lebensmittelwirtschaft und dem Lebensmitteleinzelhandel auf freiwilliger Basis“ umgesetzt werden. 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Minister, sehr geehrte Parteivorsitzende,

bitte machen Sie ernst mit der Prävention von Adipositas, Typ-2-Diabetes und anderen chronischen Krankheiten. Bitte ziehen Sie Sonderabgaben/-steuern für gesüßte Getränke und Beschränkungen der an Kinder gerichteten Werbung für Lebensmittel mit einem unausgewogenen Nährstoffprofil in Betracht. Dabei sollten die Einnahmen einer Sonderabgabe oder -steuer für gesüßte Getränke Eins zu Eins der Förderung gesunder Ernährung beziehungsweise der Prävention chronischer Krankheiten zu Gute kommen – beispielsweise in Form von Steuersenkungen für ausgewogene Lebensmittel. Die „Soft Drinks Industry Levy“ in Großbritannien  könnte als Vorbild für eine solche Regelung dienen.

Bitte setzen Sie sich zusätzlich dafür ein, dass eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung der Nährwerte in Ampelfarben auf EU-Ebene eingeführt wird und die unverbindlichen Mindeststandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Kita- und Schulessen verbindlich für Einrichtungen und Caterer vorgeschrieben werden.

Der Kampf gegen chronische, nichtübertragbare Krankheiten bedarf einer umfassenden Strategie. Bitte setzen Sie sich dafür ein. 

Den offenen Brief ganz bequem online Unterzeichnen können Sie HIER!

Quelle: foodwatch

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