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Das Grundwasser ist im hessischen Ried mit diversen Chemikalien belastet. Die „Chemikalienfront“ ist sogar bei den Trinkwasserbrunnen angekommen. Das hessische Ried versorgt das Rhein-Main-Gebiet zum großen Teil mit Trinkwasser und dennoch spielen die Behörden die Problematik herunter. Erforderliche Maßnahmen werden nicht getroffen.

Nach einer Recherche des BUND Hessen ist die Trinkwasserversorgung im hessischen Ried gefährdet. Chemikalien sickern an vielen Stellen in den Untergrund und verunreinigen das Grundwasser. Bei einigen Wasserwerken ist die Chemikalienfront bei den Brunnen zur Trinkwassergewinnung eingetroffen. Dies betrifft sowohl örtliche Nahversorger als auch Wasserbetriebe, die im Rhein-Main-Gebiet im Großraum Frankfurt und Wiesbaden die Bürger mit Trinkwasser versorgen.

Die Ursache liegt in der Versickerung belasteter Bäche in sandigen Boden. Durch diesen Untergrund versickern die Chemikalien besonders leicht bis in die Tiefen der Grundwasservorkommen. Die an sich wasserarmen Bäche müssen zudem enorme Mengen an Abwasser aus Gemeinden, Städten und Industrie aufnehmen, welches nicht ausreichend aufbereitet wurde. Allein die kommunalen Abwässer sind heute durch Arzneimittelrückstände, Haushaltschemikalien und Pflanzenschutzmitteln übermäßig belastet. Die meisten Kläranlagen sind technisch nicht in der Lage diese Abwässer von diesen Stoffen und deren Abbauprodukte zu reinigen.

Bisher gibt es für viele bekannte Chemikalien weder für Trinkwasser, Grundwasser oder Oberflächengewässer keine rechtlichen Grenzwerte. Es existieren lediglich Richtwerte, die nicht mehr als eine Empfehlung sind und rechtlich nicht bindend. Daher scheinen Behörden die Belastungen als gegeben hinzunehmen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen. Während es für Pflanzenschutzmittel seit Jahrzehnten Grenzwerte beim Trinkwasser gibt (aktuell 0,1 Mikrogramm pro Liter für einen Einzelstoff bzw. 0,5 Mikrogramm pro Liter in der Summe diverser Stoffe), gibt es nicht einmal die Vorschrift auf gewisse Stoffe zu testen. Daher ist es kaum möglich verbindliche Aussagen über die genauen Belastungen des Grundwassers, der Brunnen oder des Trinkwassers zu machen.

Der BUND Hessen kam auch nicht sehr einfach an die Daten über die Verunreinigungen. Die Umweltschutzorganisation berief sich auf das Umweltinformationsgesetz und verlangte die Herausgabe der Daten. Das Regierungspräsidium Darmstadt gab an über keine Daten diesbezüglich zu verfügen. Dies sagt schon viel darüber, mit welcher Gewissenhaftigkeit das Regierungspräsidium Darmstadt die Trinkwasserversorgung überwacht. Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie zögerte zunächst und wollte die Daten nicht herausgeben. Nach weiteren Nachfragen und auf Berufung der Rechtslage blieb der Behörde nichts übrig als die Daten an den BUND Hessen herauszugeben.

Nach Auswertung durch den BUND Hessen sind die Grundwasser-Messstellen bzw. Trinkwasserbrunnen im Bereich des Wasserwerkes Dornheim südlich Groß-Gerau mit z. T. Dutzenden von Chemikalien belastet. Ungewiss ist laut der Umweltschutzorganisation, welche dieser Brunnen zur Trinkwassergewinnung eingesetzt werden. Ebenfalls hohe Belastungen sind in Egelsbach und im Wasserwerk Walldorf aktenkundig. Darunter befinden sich unter anderem Stoffe wie zahlreiche Arzneimittelwirkstoffe, Korrosionsschutzmittel, Pflanzenschutzmittel, Perfluorverbindungen und Süßstoffe. Dort ist Orientierungswert für einen Stoff überschritten und der Grenzwert der Trinkwasserverordnung für Tetrachlorethen um mehr als doppelt so hoch. Stark belastet ist auch das Wasser in den Wasserwerken Allmendfeld bei Gernsheim, in Weiterstadt und am Wasserwerk Gerauer Land.

Der BUND Hessen stellt die Frage, ob die angewandten Messmethoden überhaupt das ganze Spektrum der Verunreinigungen erfassen. Die tatsächliche Belastung könnte noch gravierender sein, denn ein Gutachten, welches weiter Chemikalien untersucht hatte, wurde der Umweltorganisation nur in kurzen Auszügen bereitgestellt. Was halten die Behörden zurück? Warum werden auch keine Maßnahmen eingeplant oder die Öffentlichkeit informiert?

Am Ende des letzten Jahres wurde vom Land Hessen ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Kraft gesetzt, doch bisher geschieht nichts.
„Im Rhein-Main-Gebiet bekommen Sie, entsprechend den behördlichen Anforderungen, einwandfreies Trinkwasser“, teilte Hessenwasser mit. Das kommunale Trinkwasserversorgungsunternehmen für das Rhein-Main-Gebiet erklärt, dass „Trinkwasser ein gesetzlich definiertes Lebensmittel“ ist und dieser Verpflichtung würde nachgekommen. Es bestehe „keinerlei Risiko für die menschliche Gesundheit“, doch das Amt gibt zu, dass Maßnahmen gegen die Chemikalien getroffen werden müssten.

„Wir sind auf der Seite des BUND und warnen wie die Umweltschützer vor der Entwicklung“, sagt der Sprecher von Hessenwasser. Die vom BUND Hessen veröffentlichten Daten sind ja nicht neu. „Das sind ganz wesentlich unsere Daten“, so Hessenwasser. Allerdings wert sich Hessenwasser, wie auch der gesamte Bundesverband der Wasserwirtschaft dagegen, die Kosten für eine bessere Aufbereitung des Trinkwassers zu tragen. „Die Wasserwerke sind keine Reparaturbetriebe.“

Die Industrie sei in der Pflicht, wie etwa bei der Herstellung von Medikamenten, ökologisch abbaubare Stoffe einzusetzen. Außerdem müssten schon die Klärbetriebe das Abwasser besser reinigen, wie es in Bayern oder Baden-Württemberg bereits vorgeschrieben ist. Das würde zudem der Umwelt insgesamt zugutekommen. Dies wäre mit einer vierten Reinigungsstufe zu realisieren.

Bisher sind die Verbindungen zwar im Grundwasser in Konzentrationen von millionstel oder sogar milliardstel Gramm je Liter zu finden, doch auch das Umweltbundesamt kritisiert, dass es immer noch keine Richtwerte für Arzneimittelrückstände im Grund- oder Trinkwasser gebe. Hier ist die Politik gefragt. „Es gibt keinen Grund zur Panik“, beschwichtigt Ursula Hamann. Die Grünen-Landtagsabgeordnete erkenne „keine akute Gefahr für das Trinkwasser im Hessischen Ried oder anderswo“. Trotzdem wolle man gleichzeitig aber auch nicht die Problematik von chemischen Verunreinigungen des Wassers im hessischen Ried „verharmlosen“. Das Umweltministerium hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die wirksame Maßnahmen erarbeiten soll. Gleichzeitig teilte das Umweltministerium mit, es sehe keine Verpflichtung eine vierte Reinigungsstufe für Klärbetriebe einzuführen. Es werde eher punktuell gehandelt. Dort wo es zu hohen Belastungen gekommen sei, müsse nachgerüstet werden.

Der BUND Hessen fordert unverzüglich folgende Maßnahmen zu ergreifen:
„Bei belasteten Trinkwasserbrunnen muss das Rohwasser mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe aufbereitet werden, wie es bei den Wasserwerken am Rhein seit Jahrzehnten üblich ist. Die Kläranlagen im Hessischen Ried müssen so ertüchtigt werden, dass sie die Chemikalien zurückhalten können. In der Schweiz ist das bereits gesetzlich vorgeschrieben. Alle vorhandenen Informationen und alle Analysendaten müssen von den Behörden und den Wasserwerken öffentlich zugänglich gemacht werden. Es müssen rechtlich verbindliche Grenzwerte für die vorkommenden Chemikalien im Grund- und Trinkwasser sowie in Oberflächengewässern eingeführt werden. Bei Chemikalien, die Schäden in Oberflächengewässern hervorrufen und die ins Trinkwasser gelangen können, muss der Eintrag in den Wasserkreislauf verhindert oder deutlich vermindert werden, z. B. durch Verbot, Ersatz, Anwendungsbeschränkungen oder schärfere Zulassungskriterien. Die Gewerbe- und Industriebetriebe, die entsprechende Schadstoffe ins Abwasser abgeben, müssen veranlasst werden, die am besten verfügbare Technik zu ihrer Rückhaltung anzuwenden.“

 

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