11-Todesfälle-Kieler-Universitätsklinikum-MRGN-Keim

Im Universitätsklinikum Kiel sind 11 Menschen verstorben, die mit einem multiresistenten Keim  infiziert waren. Das Bakterium breitete sich schnell aus und das Klinikum hat die Gefahr scheinbar anfangs unterschätzt. Es wurden zwar Teile der Intensivstation geschlossen und die Aufnahme von künstlich beatmeten Notfallpatienten gestoppt, doch die Maßnahmen reichten nicht aus.

Das multiresistente Bakterium „Acinetobacter baumannii“ hat sich in der Universitätsklink in Kiel ausgebreitet und die Anzahl der infizierten Patienten ist letztlich höher als zunächst angenommen wurde. Insgesamt 27 Menschen, mit teils schweren Erkrankungen, haben sich mit dem Bakterium infiziert und 11 Patienten die den Keim in sich trugen seien verstorben. "Zur Eindämmung des Infektionsrisikos werden betroffene Patienten umgehend strikt isoliert", hieß es von Seiten der Universitätsklinik. Auch ein Teil Intensivstation wurde geschlossen. Es wurde ein umfassendes Screening durchgeführt, um weitere Keimträger zu erkennen. Zudem wurden die Räumlichkeiten und Geräte gründlich desinfiziert.

Die Todesfälle wurden einer Autopsie unterzogen. Bei neun verstorbenen Patienten konnte das Bakterium als Todesursache eindeutig ausgeschlossen werden. Bei den zwei 87 und 70 Jahre alten Patienten konnte die Todesursache nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die 11 Patienten sind zwischen dem 21. Dezember und 20. Januar im Universitätsklinikum gestorben.

Ausgegangen ist die Infektion scheinbar von einem aus Schleswig-Holstein verlegten Patienten am 11. Dezember, der zuvor Urlaub in der Türkei gemacht hatte. Dieser Patient ist auch verstorben. Die erste Phase von Übertragungen des Bakteriums bei drei Patienten war zunächst abgeklungen. Das Gesundheitsamt wurde am 24. Dezember informiert und auch über die Häufung von Patienten mit nachgewiesener Infektion informiert. Eingedämmt werden konnte das Problem aber nicht, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Das gegen vier Antibiotikagruppen resistente Acinetobacter baumannii gehört zu den MRGN, den sogenannten multiresistenten gramnegativen Erregern. Es kommt im Wasser und in der Erde vor und kann bei immungeschwächten Menschen zu Lungenentzündungen, Wundinfektionen, nosokomiale Pneumonie, Harnwegsinfektionen und Sepsis führen. Eine Behandlung gegen diesen MRGN ist sehr schwierig, da es kaum ein wirksames Mittel gibt. In den letzten Jahren ist eine zunehmende Resistenzentwicklung der MRGN zu beobachten. Als Ursache scheint die Fähigkeit mancher Erreger zu sein, das Enzym ESBL (Extended Spectrum β-Lactamase) zu produzieren, Es ist das Enzym, welches das Antibiotikum wirkungslos macht. Daher sind ESBL-bildende Bakterien schwer zu therapieren, da wenige bis gar keine Antibiotika mehr wirken. Das Acinetobacter baumannii überträgt sich direkt über Körper oder indirekt über Gegenstände durch Schmier- und Kontaktinfektionen. Es ist sogar über die Luft übertragbar und das Bakterium kann lange in trockener Umgebung überleben. Die Übertragungsfähigkeit ist als hoch eingestuft.

Besonders kritisiert wurde das Klinikum, weil es bei dem Türkei-Tourist kein Screening auf Keime durchführte sowie für das schlechte Management bei der Ausbreitung der Infektion. Die Universitätsklinik erwiderte, dass ein Screening nicht nötig gewesen wäre, da der Patient keine auffälligen Symptome gezeigt hätte. „Das Uni-Klinikum Kiel scheint beim Management von multiresistenten Keimen und infizierten Patienten überfordert zu sein. Wie kann ein Patient aufgenommen werden, ohne ihn vorher einem Screening zu unterziehen?“, sagte Eugen Brysch, Vorstand von Deutsche Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund. „Wir haben Tote zu beklagen - und wissen nichts über die Anzahl“, kritisiert Brysch die ersten Maßnahmen gegen das Bakterium, die offenkundig nicht ausreichend waren.

Laut Deutsche Stiftung Patientenschutz sterben rund 40.000 Patienten an Krankenhausinfektionen. „Davon wären 20.000 durch Hygienemaßnahmen vermeidbar", sagte Brysch. Auch ein Zusammenhang im Sparzwang des seit Jahren fehlerhaft arbeitenden Universitätsklinikum wurde von Medien aufgegriffen. Der Keim Acinetobacter baumannii ist in Deutschland eher wenig verbreitet, gehört in anderen Ländern jedoch zu den wichtigsten Krankenhauskeimen, insbesondere auf Intensivstationen. Daher sind Ausbrüche oftmals auf Patienten zurückzuführen, die zuvor im Ausland im Krankenhaus behandelt wurden. Der Fall im Kieler Klinikum bestätigt dies wieder einmal. Eugen Brysch fordert für Deutschland ein ähnliches Verfahren wie es in den Niederlanden üblich ist. Bei unserem Nachbarn wird jeder Patient einem Screening unterzogen. Erst wenn das Resultat negativ ist, wird der Patient von der Isolierstation auf eine andere Station verlegt.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann geht noch weiter und fordert Krankenhäuser strikter zu überwachen. Er will Hygienemängeln in der Berliner Charité und in nordrhein-westfälischen Kliniken nachgehen, die eine Recherche von ZEIT ONLINE, DIE ZEIT, des Recherchebüros Correctiv und der Funke-Mediengruppe zu vermeidbaren Infektionsrisiken ergab. „Ich will wissen, warum das passiert ist“, so Laumann gegenüber der Westdeutschen Allgemeine. Die Tatsache, dass „einige Krankenhäuser offensichtlich das Infektionsschutzgesetz nicht umsetzen, kann nicht toleriert werden".

Karl-Josef Laumann fordert „mehr unangemeldete Hygienekontrollen in Kliniken. Wenn Krankenhäuser die Reinigung outgesourct haben, haben sie damit nicht die Verantwortung abgegeben“. Genau wie Brysch fordert der Patientenbeauftragte der Bundesregierung künftig nicht nur Risikogruppen auf Keime zu testen, sondern ausnahmslos alle Patienten vor der Aufnahme in ein Krankenhaus oder eine Klinik.

Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP), versprach eine „vorbehaltlose Unterstützung“ für unangemeldete Klinikkontrollen. Als Beispiel nannte er den Skandal um minderwertige Brustimplantate, bei denen angekündigte Kontrollen "die kriminellen Machenschaften gedeckt" hätten, unter denen tausende Frauen zu leiden hätten. „Die wichtigste Lehre daraus: Dass es unangemeldete Kontrollen geben muss – für medizinische Produkte und für die grundsätzliche Hygiene im Krankenhaus“, so Liese. Er könne sich auch eine „Hygieneampel für Krankenhäuser" vorstellen. Was im Nahrungsmittelbereich gefordert wird, wo „eine Verunreinigung nicht gleich Lebensgefahr bedeutet", sollte in Kliniken erst recht umgesetzt werden. „Dinge, die direkten Einfluss auf Leben oder Tod haben“ müssen öffentlich bekannt gemacht werden.

Auch CDU-Politiker der Bundesregierung und dem Europäischen Parlament drängen auf gezielte Maßnahmen gegen multiresistente Keime. Neben Hygiene-Kontrollen in Kliniken fordern sie zudem weniger Verabreichung von Antibiotika in der Tierhaltung. Dies ist ohnehin ein schwerwiegendes Problem. Trotz der bekannten Gefahren, werden in der Massentierzucht weiterhin Antibiotika viel zu oft und unbekümmert verabreicht, teils sogar falsch verwendet. Durch diesen massiven Einsatz von Antibiotika können sich mutierende Krankheitserreger immer weiter ausbreiten. Es gilt die EU-Initiative der EU-Kommission für ein Verbot von Reserveantibiotika in der Tierhaltung schnellstens umzusetzen. Von dem Verbot wären die Antibiotika betroffen, gegen die Keime schon in der Tierzucht Resistenzen bilden und somit beim Menschen in einer Therapie völlig unwirksam wären. "Lieber mal ein Tier notschlachten als ein Menschenleben gefährden“, so Liese. Ausschließlich speziell geschulte Ärzte sollten Reserveantibiotika verordnen dürfen. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will den massiven Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung deutlich verringern.

Comments powered by CComment' target='_blank'>CComment

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.