In einer Zeit, in der eine der größten Flüchtlingsströme seit dem Zweiten Weltkrieg vonstattengeht und das Weltwirtschaftsforum (WEF – World Economic Forum) in ihrem diesjährigen ‘Global Risks Report‘ die Wasserkrisen als das wichtigste Anliegen des kommenden Jahrzehnts bezeichnet hat, wird der Versuch die Zusammenhänge zwischen Wasser und Migration zu verstehen immer ernster genommen.
In zunehmendem Maße versuchen Forscher und politische Entscheidungsträger, die Migrations- und Flüchtlingsströme in Bezug auf Wasserknappheit zu erklären. Oftmals werden Erklärungen in Bezug auf den Klimawandel herangeführt. Es ist Vorsicht geboten pauschale oder einfache Antworten für die Zusammenhänge heranzuziehen. Vielmehr sind tiefgehende Analysen nötig, um Lösungen zu finden.
Historisch betrachtet wird Migration und Wasser weitestgehend mit Nomaden und Viehzüchtern assoziiert. Diese Menschengruppen, ob auf dem afrikanischen Kontinent, im Nahen Osten oder Asien, lebten ihr Leben nach der Prämisse dorthin zu gehen, wo für sie und ihr Tiere genug Nahrung und Wasser verfügbar war. Selbst heute noch gibt es vereinzelt Nomadenstämme die diesen Lebensstil führen. In den aktuellen Diskussionen wird vermehrt der Zusammenhang zwischen Wasserknappheit (einschließlich natürlicher Variabilität), Migration und Flüchtlingsströmen sowie Konflikten gesucht.
Im aktuellen Weltwasserreport 2016 wird davor gewarnt in dieser Hinsicht keine eiligen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Kausalzusammenhänge zu ziehen. Eine verbesserte Verfügbarkeit von Süßwasser in den meisten Teilen Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens konnte nicht die steigenden Nachfrage von Süßwasser decken. Fast zwei Milliarden Menschen in der Welt haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und mehr als zwei Milliarden haben keine ausreichenden Sanitäranlagen.
Der Verlust der Lebensgrundlage aufgrund der zunehmenden Wasserknappheit verstärkt die weltweite Migrationswelle erheblich. Darüber hinaus wird die Wasserknappheit aufgrund der globalen Klimaveränderung viel problematischer. Der Klimawandel wird möglicherweise in den kommenden Jahrzehnten die Niederschlagsmuster noch drastischer verändern, die dann zu noch mehr Hochwasser, Trockenheit und Bodenerosion in tropischen und trockenen Regionen der Welt führen kann.
In diesem Sinne verschärft der Klimawandel bereits bestehende Phänomene wie die natürlichen Klimaschwankungen, wie etwa Regenzeiten oder Sommer/Winterzeiten. Das Problem der sogenannten klimawandelbedingten Bevölkerungsmigration wird zunehmend als eine der dringendsten Krisen unserer Zeit betrachtet. Bisher wurden diese Bedenken eher als peripher betrachtet, doch hat ihre schiere Größe mit einer geschätzten möglichen Vertreibung von einer Milliarde Menschen (Weiss, 2015), sie nun als eines der wichtigsten Themen auf die globale politischen Agenda gesetzt.
Nahrungsmittelknappheit hat bereits eine große Zahl von Menschen gezwungen ihr Land zu verlassen. Dieses Phänomen ist für die internationale Gemeinschaft zunehmend besorgniserregend. Vor allem, weil Massenmigration Sicherheitsbedenken bei diesen Nationen aufkommen lässt. Dennoch liefern diese Analysen und Studien immer noch zu oberflächliche Gründe für die Problematik. Komplizierten Fragen wird zu wenig Beachtung geschenkt.
Es gibt oft viele Gründe für die Flucht und Migration der Menschen. Häufig werden die zugrundeliegenden Gründe für die Migrations- und Flüchtlingsströme, wie schlechte Regierungsführung oder Wasser- und Agrarmanagement, bei der Analyse übersehen. Vielmehr scheint es leicht, die Dürre und den Klimawandel heranzuziehen, wie es in der Vergangenheit zunehmend der Fall war.
Nachdem die Welt diesen gigantischen Flüchtlingsstrom aus dem vom Krieg zerrüttenden Syrien, zuvor Afghanistan und Irak, gesehen hat, der in die Nachbarländer und bis nach Europa gekommen ist, wird mehr über die Zusammenhänge zwischen Konflikt, Wasserknappheit, Dürren und Migration nachgedacht. Nach Angaben des UNHCR sind 4,3 Millionen Menschen aus Syrien geflohen und weitere 6,6 Millionen Menschen wurden wegen des Krieges vertrieben.
Das Verständnis der Gründe hinter den großen Flüchtlingswellen und der möglichen Verbindungen zwischen Wasser und Migration ist unerlässlich, wenn Maßnahmen ausgearbeitet und getroffen werden sollen. Der Weltwasserreport 2016 hat einige dieser Zusammenhänge mit dem Ziel analysiert, ein kohärenteres und hoffentlich klareres Bild der weltweiten Situation zu schaffen. Der Kontext zwischen verschiedenen Themenbereichen wie Wasser-, Klima-, Energie- und Lebensmitteldebatten muss in Betracht gezogen werden. Diese vier Bereiche sind für die Länder im Nahen Osten politisch von größter Relevanz.
Diese vier Themen sind direkt oder indirekt mit der restlichen Welt verknüpft. Migrationsströme, seien es Flüchtlingsbewegungen oder Arbeitsmigration, beeinflussen Europa, Asien und viele andere Wohlstandsnationen. Die globalen Auswirkungen der Instabilität im Mittleren Osten sind eindeutig spürbar. Das zeigte sich deutlich im zweiten Halbjahr 2015, als die Migration nach Europa deutlich zunahm. Die Zahl der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Türkei, Jordanien und Libanon kamen, war im Vergleich der Menge in Europa noch deutlich höher.
Die Sicherstellung von Wasser muss ein wichtiges Thema bleiben, da die Wasserknappheit durch das Bevölkerungswachstum und eine wachsende Flüchtlingsbevölkerung, erhöht wird. Nach den meisten Schätzungen wird der Klimawandel zu höheren Temperaturen und damit zu mehr Verdunstung sowie zu weniger Niederschlägen führen, wodurch die Wasserknappheit weiter verschärft wird.
Während die Sicherstellung von Wasser insbesondere in einer Region wie dem Mittleren Osten gewährleistet werden muss, besteht die Gefahr unangemessene Maßnahmen der Regierungen zu fördern. Wie von White (2011) angemerkt, wird die Beziehung zwischen Migration und Klima in Afrika (sub-Sahara, trans-Sahara oder trans-Sahel) kaum Aufmerksamkeit geschenkt. White stellt ferner fest, dass Migration in der Regel auf lokale oder subregionale Muster beschränkt ist. Die Staaten bemühten sich eher die Grenzkontrollen weiter zu verstärken, um die „Bedrohung“ durch die Migration von Klimaflüchtlingen einzudämmen.
White stellte zudem fest, dass diese umweltbedingten Gründe der Migrationen an die Sicherheitsbehörden der Staaten abgegeben wird, um politische Entscheidungen zur Lösung zu finden. Dies führt schwerpunktmäßig zu höherer Verteidigung der Grenzen, während Maßnahmen zur Bewältigung der umweltbedingten Gründe wenig Aufmerksamkeit erhalten. Auf diese militärische Weise Stärke zu zeigen ist ein einfacher aber auch zynischer Weg die Sache zu regeln. „Der Aufbau eines Zauns ist einfacher als der Wandel des Lebensstils. Doch die Herangehensweise mit Sicherheitsanforderungen an die klimabedingte Migration ist unethisch und funktioniert nicht“, so White.
Die Sicherheitsmaßnahmen sind nicht nur eine unangemessene politische Herangehensweise, sondern zeigen auch wo Regierungen versagt haben. Syrien hat beispielsweise bei der Herausforderung versagt genügend Wasser für die Bevölkerung sicher zu stellen. De Chatel, Sowers und Weinthal merken an, dass die syrische Regierung es nicht geschafft hat im Süden des Landes eine ordnungsgemäße Wasserwirtschaft und Bewässerungssysteme zu realisieren. Die Region war auf die stärkere Dürre unvorbereitet. Während die Dürre zu einer großen innerländischen Migration führte, waren die Gründe nicht die Dürre selbst, sondern die Gründe waren eher „Teil eines breiteren Musters der regionalen Vernachlässigung“.
Die grenzüberschreitende Migration hat mehrere Aspekte, die zu Spannungen zwischen Empfänger- und Absenderstaaten führen. Dabei sind die zugrundeliegenden Ursachen erstmal unwesentlich. Auch wenn Staaten die Zuwanderung in ihr Hoheitsgebiet gestatten, kann es in einigen Fällen zu Spannungen zwischen den beiden Staaten kommen. Insbesondere wenn es für den Empfängerstaat schwieriger wird die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Zu verschärften Spannungen kommt es auch, wenn Empfängerstaaten die Migranten manipulieren oder dazu ermutigen gegen ihren ehemaligen Staat zu wettern.
Maddocks, Otto und Luo heben die komplizierten Zusammenhänge zwischen Wasser- und Lebensmittelunsicherheit hervor und zeigen wie diese Störungen in diesem Gleichgewicht zu Migration führen können. Mogadam und Whitworth machen auf die Situation im kriegsgeschundenen Syrien und Umland aufmerksam. Dort herrscht ein ständiger Kampf zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Wassersysteme. Farajalla unterstreicht den Druck auf Wassersysteme, die durch die Flüchtlingskrise im Libanon verursacht wurden und De Chatel stellt eine Analyse vor, wie Misswirtschaft sowie der Mangel an adäquater Wasserkonstellation in den Jahren vor dem Bürgerkrieg zur inneren Migration in Syrien führten.
Es könnte zwar argumentiert werden, dass eine breitere Diskussion über Migrations- und Umweltprobleme sowie die Zusammenhänge zwischen ihnen als positives Zeichen gesehen werden kann. Doch ist es unumgänglich die Zusammenhänge kritisch zu analysieren. Die Konzentration auf übermäßig einfache Zusammenhänge zwischen Wasserknappheit, Klimawandel, Umwelteinflüsse und Migration ist nicht hilfreich und kann zu fehlerhaften politischen Reaktionen führen. Wie die aktuellen Studien und Analysen belegen, besteht die Tendenz zu genau den einfachen Schlussfolgerungen über Kausalitäten zwischen Wasserknappheit, Klimawandel und Migration zu gelangen. Wasser muss als einer von vielen Bereichen gesehen werden, die zur Migration beitragen können. Umso dringender ist es die vielen Herausforderungen systematisch anzugehen.
Der Zusammenhang der globalen Wasserprobleme und dem Klimawandel führt für viele Bevölkerungsgruppen zu Ungewissheit. Das allein ist nicht Hauptursache für Migration. Vielmehr ist die Sorge um Wasser als Push-Faktor-Multiplikator zu betrachten, der Migration zusätzlich fördert. Soziale, ökonomische und politische Faktoren beeinflussen sowohl die Anfälligkeit als auch Widerstandsfähigkeit von Bevölkerungsgruppen. In Regionen in denen die Bemühungen zur Bewältigung des Klimawandels und der Wasserknappheit abnehmen, nehmen gleichzeitig die Tendenzen zur Migration zu, bedingt durch damit einhergehenden Faktoren wie Armut, niedriges Bildungsniveau, mangelnde Qualifikationen, schwache Institutionen, begrenzte Infrastruktur, technologischer Mangel eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung. Mit der Hoffnung dieser Lage zu entfliehen und wo anders ein besseres Leben zu führen sowie Arbeit zu finden, ist die Migration meist ein letzter verzweifelter Schritt.
Wie eine sich ändernde Wasserversorgung zu Nahrungsmittelknappheit führen kann
Wenn soziale Unruhen in einem Maße ausbrechen, dass sie zu massiver Migration führt, ist es beinahe unmöglich eine einzige Ursache dafür zu identifizieren. Wasserknappheit ist jedoch immer öfter als signifikanter Multiplikationsfaktor mitverantwortlich. Der ‘Aqueduct Water Risk Atlas’ des World Resources Institute’s (WRI) zeigt 12 Indikatoren für Wasserrisiken auf. Eine dieser Indikatoren misst wie sich von Jahr zu Jahr die Verfügbarkeit von Oberflächenwasser in bestimmten Regionen verändert. So zeigen die Daten über einen Zeitraum von 60 Jahren, dass Gebiete, in denen es auch innerhalb eines Jahres zu hohen wetterbedingten Schwankungen kommt, durchschnittlich über die Jahre betrachtet weniger Wasser zur Verfügung haben. Unter anderem liegt dies an periodisch wiederkehrenden Dürren, die in der Folge zunehmend zu ernsthaften humanitären Krisen führen.
Diese Schwankungen innerhalb eines Jahres werden wahrscheinlich durch den Klimawandel noch ausgeprägter. In vielen Gebieten führt die Wasserknappheit zu Konflikten oder Instabilität, wie im Nahen Osten und Teilen von Afrika. Im Mai 2015 legte sich das Wetterphänomen El Niño in den Pazifik und erhöhte die Ozeantemperaturen auf ihr höchstes Niveau seit 1997. Wir erleben jetzt die stärksten El Niño-beeinflussten Wettermuster des Jahrzehnts. Sogar noch 2016 erlebte unter anderem Süd- und Ostafrika noch die damit verbundene Dürre. Der trockene Boden und eine schlechte Vorbereitung auf die verschärften Bedingungen führten zum Nahrungsmittelmangel für Millionen von Menschen, wie Simon Mason, Klimaforscher an der Columbia University, anführt.
Zu den am stärksten betroffenen Gebieten gehörten Angola und Simbabwe. Äthiopien erlebte eine der trockensten Jahreszeiten der vergangenen 50 Jahre. Anfang 2016 meldete Südafrika seinen niedrigsten jährlichen Niederschlag seit Beginn der Aufzeichnungen. Es kam zur kleinsten Maisernte seit 2007 und machte Nahrungsimporte notwendig, um die Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten.
In all diese Regionen herrscht eine hohe Variabilität der Niederschläge innerhalb eines Jahres, weshalb periodische Dürren, wie das aktuell von El Niño-beeinflusste Wetter, relativ häufig sind. Für Menschen die mit der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten, sind diese Trockenperioden verheerend. Auch für die von Armut betroffenen Menschen sind die steigenden Nahrungsmittelpreise existenzbedrohend. Des Weiteren führt der Konkurrenzkampf um die begrenzten Mengen der erneuerbaren Oberflächenwasserressourcen zu weiteren negativen Auswirkungen.
Der aktuelle El Niño hat noch keine dokumentierten Migrationen ausgelöst. Doch ein Blick in die Geschichte hegt Anlass zur Besorgnis. Die verheerende Dürre in Syrien von 2006 bis 2011 führte zu einer Nahrungsmittelunsicherheit für eine Millionen Menschen, die eine Migration von 1,5 Millionen Menschen in die großen Städte nach sich zog. Diese Migrationswelle, in Zusammenhang mit außergewöhnlich schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, einer politischen Reformbewegung und einem heftigen Aufstand gegen ein repressives politisches Regime, trug dazu bei den syrischen Bürgerkrieg zu entfachen. Auch die vergangene Migration aus den afrikanischen Sahel-Trockengebieten und dem Horngebiet sind auf die Verschlechterung der landwirtschaftlichen Bedingungen und der daraus folgenden Nahrungsmittelunsicherheit zurückzuführen.
Ähnliche Faktoren werden angesichts zunehmender Bevölkerungszahlen, steigender Ressourcen und Klimawandel zunehmen. Die Veränderung der Niederschlagsmuster hinsichtlich vergangener Daten von Niederschlägen führt zu immer weniger verfügbarem Wasser. Dadurch kommt es zukünftig noch mehr zu niedrigeren landwirtschaftlichen Erträgen und Viehbestanden, welche die lokale Nahrungsmittelunsicherheit und globale Preise für Nahrungsmittel beeinflussen. Kein Staat ist immun gegen diese Risiken. Die historischen Fälle und die zukünftigen Risiken sind signifikant. Das Verständnis aktueller und zukünftiger Wasser- und Nahrungsmittelkonflikte erfordert die besten verfügbaren Daten- und Frühwarnsysteme.
Eine Reihe von Wissenschaftlern und Analysten betrachten die Wasserknappheit als Katalysator für die syrische Krise. Analysen zur Untersuchung der syrischen Wirtschaft, wie die Veröffentlichung von Chatham House im Juni 2015 oder des REACH-Berichts im September 2015, stellen fest, dass eine länger andauernde Dürre, die über fünf Jahre dauerte, zu einer deutlichen Verringerung der landwirtschaftlichen Produktion, größerer Arbeitslosigkeit und in der Folge zu Migration führte. Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen zogen von ländlichen in städtische Gebiete auf der Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Migration führte auch in die Zentren des ersten Aufstands im März 2011.
Auch im sechsten Jahr des syrischen Kriegs verschlechtert sich die Wasserversorgung weiterhin für viele Zivilisten. Während die Folgen der Dürre nach wie vor bestehen bleiben, wird die Kontrolle der Strom- und Wasserinfrastruktur als Waffe der kriegführenden Parteien genutzt. Das geschieht, obwohl das im Widerspruch zum Völkerrecht steht. Im August 2015 wurde bewusst Wasser als Kriegsinstrument in Aleppo genutzt. Noch heute ist von der Wasserknappheit beinahe täglich in den Medien zu lesen. Auch Damaskus ist betroffen. Die Region Wadi Barada liefert eine beträchtliche Menge an Wasser nach Damaskus City. Doch die Versorgungsnetze, die durch oppositionsgehaltene Enklaven laufen, wurden periodisch geschlossen. Erst im Januar 2016 wurde zwischen den lokalen Führern und der Regierung eine Vereinbarung getroffen, um unter anderem Wasserströme im Austausch für humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Wasser wird hier klar als Druckmittel in Kriegsverhandlungen genutzt.
Zwar werden offiziell Schutz und die herrschenden Konflikte als erstes für die Ursachen von Migration in Betracht gezogen, doch nennen syrische Flüchtlinge oftmals einen Mangel an grundlegenden Dingen wie Wasser als wichtigen Grund für das Verlassen ihrer Region. So führte die innerländische Migration in Syrien vom Land in die Städte zu einer landesweiten Wasserkrise. Die Kombination aus beschädigter Infrastruktur, mangelnder Wartung, Manipulation und begrenzter Stromversorgung führte zu einer Verringerung der Wasserversorgung um 50 Prozent gegenüber dem Vorkrisenniveau. Nach der humanitären Bedarfsübersicht 2016 hat dies geschätzte 69 Prozent der Menschen in Syrien gezwungen, sich auf unregulierte und oft teure Wasserquellen für Trink-, Haushalts- und Körperpflege zu verlassen.
Bei Befragungen durch den Norwegian Refugee Council (NRC), äußerten sich die Betroffenen dahingehend, dass Zugang zu Wasser eine Schlüsselrolle bei Migration spielt. Der Mangel an Wasser ist direkt verantwortlich für eine menschlich unwürdige Situation und betrifft sowohl die Flüchtlinge als auch die aufnehmenden Gemeinden. Das führt dazu, dass die Menschen gewillt sind für Wasser drastische Entscheidungen zu treffen. In einigen Gebieten von Syrien gibt es tägliche Kämpfe, die im Zusammenhang mit Wasser stehen. Es wurde auch eine Erhöhung der Fälle von Wasser- und Hauterkrankungen wegen mangelnder medizinischer Versorgung dokumentiert. Viele Familien müssen mit ihren Kindern lange Strecken zu Wassersammelstellen zurücklegen und werden auf diesen Wegen oft von gegnerischen Kriegsparteien bedroht. Viele haben nur die Möglichkeit kommunale sanitäre Anlagen zu nutzen, deren Besuch besonders Frauen und Kinder anfällig für Angriffe und Missbrauch macht. Erst recht nach Einbruch der Dunkelheit.
Es sind Versuche unternommen worden, die vielen Herausforderungen zu meistern. Dies betrifft sowohl die humanitäre Soforthilfe als auch die längerfristige Programmplanung. Maßnahmen sind unter anderem Wassertransporte, die Bereitstellung von Wasseraufbereitungs- und Lagerungsmaßnahmen, die Sanierung von Wasserversorgungssystemen und die Arbeit mit Behörden, um die Bereitstellung von Trinkwasser zu verbessern. Der NRC plädiert gleichzeitig für eine bessere Aufarbeitung von Schäden an der Wasserinfrastruktur im ganzen Land, Informationen für Zivilpersonen über den Standort sicherer Wasserquellen und eine kollektive Berichterstattung über Wasserverbrauchsmuster.
Sofern die Resolution des UN-Sicherheitsrates vom Dezember 2015, die in Syrien einen landesweiten Waffenstillstand fordert, eingehalten wird, können Wasseranlagen und Infrastruktur innerhalb Syriens wieder aufgebaut und geschützt werden. Allerdings müssen auch größere Fragen angesprochen werden, wie etwa bessere Wasserwirtschaftssysteme und die Achtung der internationalen Konventionen im Zusammenhang mit der Wasseraufteilung durch die Nachbarländer Syriens.
Auswirkungen der syrischen Flüchtlinge auf die Wasserressourcen des Libanon
Nach Schätzungen der Weltbank lag die libanesische Bevölkerung im Jahr 2012 bei 4,4 Millionen Menschen. Bis 2012 hatte das Land einen jährlichen Rückgang der Bevölkerungswachstumsrate. Lag der Rückgang im Jahr 2003 noch bei 4,84% waren es 0,96 Prozent in den Jahren 2011 und 2012. Im Libanon gibt es eine hohe Zahl an Flüchtlingen aus Palästina. Die UNRWA registrierte 425.000 Flüchtlinge bis 2010. Als 2011 der Krieg in Syrien begann, kam es zu einer weiteren enormen Flüchtlingswelle in den Libanon. Die UNHCR hat 1,84 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon registriert, was eine Steigerung der Population um 30 Prozent bedeutet.
Dieser Zustrom von Menschen hat im Libanon einen starken negativen Einfluss auf die Umwelt gehabt. Es kam zu einer stark steigenden Wassernachfrage, führte zu massiven Mengen unbehandelter Abwässer und einer hohen Zunahme von Abfällen. Derzeit werden die erneuerbaren Wasserressourcen des Libanon auf rund 926 m3 / ha / Jahr geschätzt. Allerdings wird mit einem Zustrom von mehr als einem Drittel der Bevölkerung des Landes diese Zahl auf unter 700m3 / Kopf / Jahr sinken.
Die Nachfrage nach Wasser wurde für 30 Prozent der Flüchtlinge aus der öffentlichen Wasserversorgung bedient. Brunnen waren die zweite Quelle für 24 Prozent der Flüchtlinge. Diese erhöhte Nachfrage führte zu einem damit verbundenen Anstieg des Abwassers, womit sich ein großes Problem offenbarte. Das Abwasser wird unbehandelt in oberirdische und unterirdische Wasserquellen geleitet, was in den meisten Gebieten des Libanon aufgrund der fehlenden Kläranlagen üblich ist. Die Kontamination, die aus dieser Verschmutzung resultiert, macht mehr Wasserquellen unbrauchbar, wodurch noch mehr Menschen von dieser zunehmend knappen Ressource abgeschnitten werden.
Die internationale Gemeinschaft hat versucht der Situation von wachsender Nachfrage und zunehmender Verschmutzung des Wassers entgegenzuwirken. Es wurden Projekte realisiert, um die Infrastruktur des Wassersektors in mehreren Gemeinden im gesamten Libanon zu verbessern, die syrische Flüchtlinge beherbergen. Es wurden Wasserverteilungsnetze verbessert und Kläranlagen gebaut.
Wasserknappheit als langfristiger Treiber für die ländlich-städtische Migration in Syrien
Fünfzig Jahre von Misswirtschaft und die wachsende Wasserknappheit waren die wichtigsten Treiber für die Migration der Landbevölkerung in die Städte Syriens seit 1980. Das Versagen der großangelegten landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekte, kombiniert mit Dürre- und Wirtschaftsreformen in den 2000er Jahren, untergruben die Lebensgrundlagen der Landwirte. Als die Flüsse verschwanden und Brunnen nach Jahren der Überbeanspruchung trocken liefen, verließen die Landwirte ihr Land und suchten Arbeit in den großen Städten.
Adnan, der in einem Dorf am Ufer des Flusses Khabur im nordöstlichen Syrien aufwuchs, ging im Jahr 2002 nach Beirut, nachdem der Fluss ausgetrocknet ist. „Nachdem sie 1999 den Bassel Dam errichtet hatten, gingen die Wasserstände schnell zurück. Wir begannen mit Tropfbewässerung, aber bald gab es überhaupt kein Wasser mehr. Vorher bewässerten wir den größten Teil unseres Landes mit Wasser aus dem Fluss; Ein Teil davon waren Niederschläge. Aber als die Regenfälle ausblieben, konnten wir das Land nicht halten. Und dann haben sie den Preis für Diesel angehoben. Danach hatte es keinen Sinn mehr in der Landwirtschaft zu arbeiten.“, so Adnan.
Das Gebiet um den Khabur ist halb-trockenes Steppenland, das traditionell für die jahreszeitliche Beweidung von Schafen und Kamelen verwendet wurde. Allerdings wurde das fragile ökologische Gleichgewicht des Gebietes durch die stetige Intensivierung der Landwirtschaft mit der Einführung von bewässertem Weizen und Baumwolle sowie intensiver Beweidung ab den 1950er Jahren zerstört. Es kam zur Verringerung des Grundwassers, Quellen und Flüsse trockneten aus und das Khabur-Becken wies ein Defizit von 3,1 Milliarden Kubikmeter Wasser auf. Das einst als Brotkorb Syriens bekannte Gebiet lief „in Gefahr eines landwirtschaftlichen Zusammenbruchs“. Als die Armut zunahm, wurden die Dörfer allmählich aufgegeben.
Das Khabur-Becken ist ein wichtiges Beispiel für die ökologischen und sozialen Auswirkungen des langfristigen Wassermissmanagements in Syrien. In vielen anderen Teilen des Landes standen die Landwirte seit den frühen 1990er Jahren vor ähnlichen Situationen bezüglich Wasserknappheit. Die Regierung bot nur wenig oder gar keine Unterstützung und so wurden die Landwirte mit wachsender Armut konfrontiert. Sie waren gezwungen in die Städte zu migrieren und dort Arbeit zu suchen. Der Nordosten des Landes ist die am meisten vernachlässigte und verarmte Region und war folglich am stärksten betroffen. Während die Armut in anderen Teilen Syriens in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren rückläufig war, wurden sie für die Menschen im Nordosten größer.
Die Situation der Landwirte verschlechterte sich mit der Liberalisierung der Wirtschaft nach 2005. Die Regierung konzentrierte sich zunehmend auf Banken, Tourismus sowie Immobilien und wandte sich von der Landwirtschaft ab. Als die staatlichen Subventionen für Dieselkraftstoff und Dünger in den Jahren 2008 und 2009, auf dem Höhepunkt einer schweren Dürre im Nordosten des Landes, abgeschafft wurden, verschlechterte sich die bereits düstere Situation in diesem Teil des Landes noch mehr. Die Vereinten Nationen schätzen, dass 300.000 Menschen die von Dürre betroffene Region Nord-Ost zwischen 2008 und 2010 verlassen haben.
Die Migranten landeten in Slums und provisorischen Zeltlagern am Rande von Damaskus, Aleppo und anderen Städten. Mit Arbeit in den Fabriken, auf Baustellen oder als saisonale Landarbeiter konnten sich die innerländischen Flüchtlinge auch kaum ernähren. Im Jahr 2009 fühlten sich viele wie Adnan, als Menschen denen ihre Zukunft genommen wurde. „Ich wünschte, wir könnten nach Hause zurückkehren und unsere Herden wie früher haben. Aber es gibt kein Wasser. Das hat alles verändert. Ich bin verzweifelt“, klagt Adnan. “Ich bin 32 Jahre alt. Ich arbeite seit 10 Jahren. Und wofür? Ich lebe in einem Slum, ich verdiene niedrige Löhne, ich esse schlechtes Essen und ich bin nicht einmal verheiratet. Was passiert als nächstes? Noch mal solche zehn Jahre?”