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Was von den Milleniumszielen übrig bleibt

Im FocusWas von den Milleniumszielen übrig bleibt

Es war ein historischer Moment im Jahr 2000 als 189 Nationen gemeinsam ambitionierte Ziele für eine bessere Welt verabschiedeten. Die Ziele sollten bis Ende 2015 erreicht werden. Die Zeit ist beinahe um und die Bilanz ist ernüchternd. Auch die scheinbaren Erfolge haben einen bitteren Beigeschmack, genau wie die Auswertungen der Daten.

Es war ein historischer Moment vor 14 Jahren, als bei der 55. Vollversammlung der United Nations (UN) erstmals konkrete, auf einen bestimmten Zeitrahmen bezogene Ziele zur Bekämpfung der größten Probleme der Menschheit formuliert wurden. Am 09. September 2000 verabschiedeten, in der größten bis dahin stattfindenden Zusammenkunft mit 189 Nationen, alle Präsidenten und Regierungschefs die Milleniumserklärung. Diese beinhaltet acht übergeordnete Entwicklungsziele, die von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Vereinten Nationen, der Weltbank, des IWF und dem Entwicklungsausschuss Development Assistance Committee der OECD ausgearbeitet wurden. Bis Ende 2015 sollten die Ziele in Zusammenarbeit erreicht werden und die Welt zu einem besseren Ort machen. Als Kernziele galt vor allem Armut, Krankheit und Hunger drastisch zu verringern sowie den Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen erheblich zu verbessern. „Sie selbst sind die Vereinten Nationen. Es liegt in Ihrer Macht und deshalb auch in Ihrer Verantwortung, die Ziele zu erreichen, die Sie festgelegt haben“, sagte Kofi Annan in seiner Rede zum Abschluss des Gipfels 2000. Es ist jetzt praktisch fünf vor Zwölf und es bleiben weniger als sechs Monate, um die Ziele zu erreichen. Zeit eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Was wurde erreicht und wo ist die Weltgemeinschaft gescheitert?

Die acht Milleniumsziele

1. Bekämpfung von extremer Armut und Hunger
Zwischen 1990 und 2015 soll der Anteil der Menschen halbiert werden, die weniger als den Gegenwert von eineinhalb US-Dollar pro Tag zum Leben haben. Außerdem soll zwischen 1990 und 2014 der Anteil der Menschen halbiert sein, die Hunger leiden. Es soll Vollbeschäftigung in ehrbarer Arbeit für alle geben, auch für Frauen und Jugendliche.

2. Primärschulbildung für alle
Bis zum Jahr 2015 soll sichergestellt sein, dass Kinder in der ganzen Welt, Mädchen wie Jungen, eine Primärschulbildung vollständig abschließen.

3. Gleichstellung der Geschlechter / Stärkung der Rolle der Frauen
Das Geschlechtergefälle in der Primar- und Sekundarschulbildung, möglichst bis 2005, beseitigen und auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015.

4. Senkung der Kindersterblichkeit
Zwischen 1991 und 2015 eine Senkung der Kindersterblichkeit von unter Fünfjährigen um zwei Drittel (von 10,6 Prozent auf 3,5 Prozent) erreichen.

5. Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter
Zwischen 1990 und 2015 eine Senkung der Sterblichkeitsrate von Müttern um drei Viertel erreichen. Bis 2015 zudem einen allgemeinen Zugang zu reproduktiver Gesundheit erreichen.

6. Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten
Bis 2015 soll die Ausbreitung von HIV/AIDS zum Stillstand gebrachte sein und eine Trendumkehr bewirkt werden. Bis 2010 soll weltweiter Zugang zu medizinischer Versorgung für alle HIV/AIDS-Infizierten ermöglicht werden. Auch die Ausbreitung von Malaria und anderen schweren Krankheiten soll bis 2015 zum Stillstand gebracht werden und eine Trendumkehr bewirkt werden.

7. Ökologische Nachhaltigkeit
Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in der Politik und den Programmen der einzelnen Staaten soll verankert sein und die Vernichtung von Umweltressourcen eingedämmt. Auch der Verlust der Biodiversität soll verringert sein sowie bis 2010 signifikante Drosselung der Verlustrate erzielt. Bis 2015 soll der Anteil der Menschen ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser halbiert sein (von 65 Prozent auf 32 Prozent). Des Weiteren ist das Ziel bis 2020 eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern und -bewohnerinnen zu bewirken.

8. Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung
Es sollen weitere Fortschritte bei der Entwicklung eines offenen, regelgestützten, berechenbaren und nicht diskriminierenden Handels- und Finanzsystems erreicht werden. Dies umfasst die Verpflichtung zu verantwortungsbewusster Regierungsführung, zu Entwicklung und zur Senkung der Armut – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Dabei sollen die besonderen Bedürfnisse der am wenigsten entwickelten Länder Berücksichtigung finden. Das beinhaltet den Abbau von Handelshemmnissen, Schuldenerleichterung und -erlass, besondere finanzielle Unterstützung der aktiv um Armutsminderung bemühten Länder. Ebenso sollen den besonderen Bedürfnissen der Binnen- und kleinen Insel-Entwicklungsländern Rechnung getragen werden.

Weitere zu erreichende Ziele in diesem Punkt sind umfassende Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene zur Lösung der Schuldenprobleme der Entwicklungsländer sowie in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern Strategien zur Schaffung menschenwürdiger und sinnvoller Arbeitsplätze für junge Menschen zu erarbeiten und umzusetzen. In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen soll der Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln zu erschwinglichen Preisen in Entwicklungsländern gewährleisten sein und in Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor dafür Sorge getragen werden, dass die Vorteile neuer Technologien, insbesondere von Informations- und Kommunikationstechnologien, von Entwicklungsländern genutzt werden können.

Die Messbarkeit der Milleniumsziele

Um die zu erfüllenden Ziele messen zu können, legten die Verfasserinnen und Verfasser der Erklärung 18 Unterpunkte und 48 Indikatoren fest. Damit sollte ermöglicht werden den Fortschritt der Ziele zu beobachten und einzufordern. Als Basisjahr wurde 1990 gewählt und die Ziele sollten mit Ende des Jahres 2015 erreicht sein. Die für die Auswertung nötigen statistischen Daten sammelt und koordiniert die UN-Statistikabteilung UNSD. Bei den ersten sieben Zielen werden vor allem die Entwicklungsländer in die Pflicht genommen. Sie haben die Aufgabe ihre finanziellen Mittel für die Armen einzusetzen, die Korruption zu bekämpfen, Gleichberechtigung und demokratische Prozesse zu fördern. Ziel acht verpflichtet die Industrieländer dazu, ihre wirtschaftliche Machtstellung für eine Gleichberechtigung aller Länder zu gebrauchen. Das bedeutet: mehr Geld für eine qualitativ bessere Entwicklungshilfe, wirksamer Schuldenerlass, die Unterstützung von Regierungen, die die Armut bekämpfen sowie den Abbau von Handelshemmnissen.

Der Stand der Dinge

Im UN-Bericht zu den Milleniumszielen aus dem Jahr 2014 sagt UN Generalsekretär Ban Ki-moon: „Dieser Bericht zeigt die neuesten Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele. Er zeigt, dass die Millenniums-Entwicklungsziele einen tiefgreifenden Unterschied im Leben der Menschen bewirkt haben. Die weltweite Armut wurde fünf Jahre vor dem eigentlichen Zeitrahmen bis 2015 halbiert. Neunzig Prozent der Kinder in Entwicklungsregionen genießen eine Grundschulbildung und die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bei der Immatrikulation sind enggefasst. Bemerkenswerte Fortschritte wurden auch im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose gemacht, genauso wie deutliche Verbesserungen bei allen Gesundheitsindikatoren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor seinem fünften Lebensjahr stirbt wurde in den letzten Jahrzehnten nahezu halbiert. Das bedeutet, dass etwa 17.000 Kinder jeden Tag gerettet werden. Wir haben außerdem das Ziel erreicht, die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, halbiert“.

Insgesamt konnten in allen Milleniumszielen teils sehr gute Fortschritte verzeichnet werden. Konkret werden wohl 2015 nur drei der 21 Unterkategorien der acht Milleniumsziele erfüllt sein. Bei einigen ist das Ziel nur knapp verfehlt und bei anderen die Situation schlimmer als zuvor.

Das wichtigste Ziel, die Halbierung der extremen Armut und des Hungers, wurde nach UN Angaben frühzeitig erreicht. Mit extremer Armut wurde der Anteil der Menschen beziffert, die weniger als einen US-Dollar am Tag verdienen, mit eingerechneten Preisentwicklungen sind das heute 1,25 US-Dollar. Demzufolge leben nach dieser Rechnung heute 700 Millionen Menschen weniger in extremer Armut als noch 1990.

Maßgeblich beigetragen dazu haben vor allem die positiven Entwicklungen in Südostasien und China. In China wurde der Anteil von 60 Prozent auf 12 Prozent und in Südost-Asien von 52 auf 22 Prozent bis 2010 verringert. Dennoch leben immer noch 162 Millionen Chinesen in extremer Armut. Haben in den Entwicklungsländern 1990 noch 47 Prozent der Menschen in extremer Armut gelebt, waren es 2010 noch 22 Prozent. Damit wurde das Ziel erreicht.

Wird nur China aus der Rechnung herausgenommen, ist die extreme Armut global gesehen von 41 Prozent auf 26 Prozent gesunken und somit wurde die Anzahl der Menschen die in extremer Armut leben nicht halbiert. Würde der südost-asiatische Raum auch herausgerechnet, sind die Zahlen für den verbleibenden Rest der Welt ernüchternd. So hat die Subsahara-Region in Afrika gerade mal die Anzahl der extrem Armen von 56 Prozent auf 48 Prozent senken können. Die größte Anzahl extrem armer Menschen lebt in Indien und China, was auch den hohen Bevölkerungszahlen geschuldet ist, sowie in Nigeria, Bangladesch und der demokratischen Republik Kongo. In nackten Zahlen lebten 1990 rund 1,9 Milliarden Menschen in extremer Armut. 2010 waren es noch 1,2 Milliarden Menschen.

Auch im siebten Punkt der Milleniums-Agenda in der Unterkategorie C wurde das Ziel erreicht. Hatten 1990 rund 24 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser, sind davon 2012 noch 13 Prozent betroffen gewesen. Rund 2,3 Milliarden Menschen wurde in dieser Zeit der Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht. Trotzdem bleiben noch mehr als eine Milliarde Menschen übrig, denen das Menschenrecht auf Wasser nicht gegeben ist. Die größten Erfolge wurden in Ost-Asien, Süd-Asien und in Südost-Asien mit einer prozentualen Steigerung von 24, 19 und 18 Prozent erzielt. Jetzt haben 90 Prozent und mehr der Bevölkerung dieser drei Regionen Zugang zu sauberem Wasser. Wieder ist die Subsahara-Region in Afrika Schlusslicht. Hier konnte prozentual zwar auch mit 16 Prozent ein guter Wert erzielt werden, doch nur 64 Prozent der gesamten Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Wasser.

Das Dritte erreichte Ziel ist unter Punkt sieben Kategorie D zu finden. Es sollte das Leben von 100 Millionen Slumbewohnern verbessert werden. Das wurde geschafft. Zwischen 2000 und 2012 wurden die Lebensbedingungen von 200 Millionen Slumbewohnern in Sachen Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen, bessere, sowie weniger zusammengepferchte Unterkünfte umgesetzt. 2012 lebten 33 Prozent der urbanen Einwohner in Slums im Vergleich zu 40 Prozent im Jahr 2000. Wegen der wachsenden Urbanisierung ist jedoch die Gesamtanzahl der Slumbewohner von 650 Millionen in 1990 auf 863 Millionen in 2012 gestiegen. Das ist ein Zuwachs von knapp 33 Prozent. Zwar wurde das Ziel erreicht, doch hat die Realität einen bitteren Nachgeschmack.

Kinder-liegen-im-Kreis-mit-BüchernEin wichtiges Ziel wird aller Voraussicht knapp verfehlt. Bis 2015 sollten alle Kinder der Welt zumindest eine Grundschulbildung erhalten. Immerhin konnten sich die Entwicklungsländer global gesehen deutlich verbessern. Kamen 1990 rund 80 Prozent der Kinder in den Genuss einer Grundschulbildung sind es 2012 etwa 90 Prozent. In den meisten Ländern liegt die Quote sogar bei 95 Prozent und höher. Auch hier ist Afrika mit 78 Prozent der Kinder, die eine Schule besuchen mit 78 Prozent weit abgeschlagen. Doch 1990 hatten lediglich 52 Prozent der Kinder dieses Privileg. Zwar wird das Ziel aller Voraussicht knapp verfehlt werden, doch die Verbesserungen sind deutlich. „Es ist beachtlich, was wir erreichen können, wenn die ganze Welt an einem Strang zieht“, sagt Wilfried Vyslozil, Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit in München.

Große Erfolge können auch beim sechsten Milleniumsziel, die Bekämpfung von HIV, Malaria und anderen schweren Krankheiten, verbucht werden. Das Ziel in der ersten Unterkategorie, HIV/Aids bis 2015 zum Stillstand zu bringen und umzukehren, wird voraussichtlich nicht erreicht. Dennoch konnte ein beachtlicher Rückgang der Neuinfektionen, besonders in Afrika, erreicht werden. So sind pro 100 Menschen in Südafrika im Jahr 2001 noch 1,98 Menschen infiziert worden und 2012 sind es 1,02 Menschen. Dies ist ein Rückgang von knapp der Hälfte (48 Prozent) an Neuinfizierten. In Zentralafrika ging die Quote von 0,63 auf 0,29 Menschen und in Westafrika von 0,41 auf 0,16 Menschen zurück. Trotzdem bleibt Afrika an HIV/Aids Erkrankungen weiterhin auf einem hohen Level.

Mehr als 2,3 Millionen Menschen haben sich neu infiziert und mehr als 1,6 Millionen sind an der Erkrankung gestorben. In der Subsahara-Region sind 70 Prozent der weltweiten Neuinfektionen von 1,6 Millionen Menschen aus dem Jahr 2012 zu verzeichnen. Weltweit ist die Rate der neuinfizierten Menschen im besagten Zeitraum um 44 Prozent gesunken. Zwar bekommen so viele Erkrankte wie nie zuvor entsprechende medikamentöse Therapien, doch das Ziel alle Infizierten den Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen wurde auch verfehlt. Über die Jahre konnte die Versorgung der Infizierten mit Anti-Retroviralen Therapien (ART) kontinuierlich gesteigert werden. 2012 bekamen weitere 1,6 Millionen Menschen die Therapien, was ebenfalls einen Rekord darstellt. Das Jahr 2012 stellt aber auch ein Rekordhoch mit weltweit 35,3 Millionen neu infizierten Menschen dar.

Beim Kampf gegen Malaria ist die Situation besser als bei HIV/Aids. Zwischen 2000 und 2012 konnte die Sterberate der Menschen mit Malaria um 42 Prozent gesenkt werden. Nach neuesten Daten wurden schätzungsweise dadurch 3,3 Millionen Menschen gerettet, weit mehr als die UN zuvor angenommen hat. Rund 90 Prozent der verhinderten Todesfälle, rund drei Millionen, betreffen Kinder unter fünf Jahren aus der Subsahara-Region. Obwohl die Überwachungs-Systeme in den betroffenen Ländern meist unzureichend sind, ergaben neueste Analysen, dass die Weltgemeinschaft auf dem Weg war, das Ziel neue Malaria Erkrankungen zu verhindern, hätte erreicht werden können.

Das Ziel betreffend Tuberkulose ist in Reichweite. Im Jahr 2012 gab es schätzungsweise 8,6 Millionen zusätzliche Fälle von Tuberkulose und insgesamt 11 Millionen Menschen Leben mit der Krankheit. Weltweit ist die Zahl der neuen Tuberkulosefälle pro 100.000 Menschen weiter um zwei Prozent zwischen 2011 und 2012 gesunken. Wenn dieser Trend bestehen bleibt, wird das Ziel Tuberkulose einzudämmen und umzukehren erfüllt werden können.

Das Ziel zwischen 1991 und 2015 eine Senkung der Kindersterblichkeit von unter Fünfjährigen um zwei Drittel (von 10,6 Prozent auf 3,5 Prozent) zu erreichen wird klar verfehlt. Die globale Rate der Kindersterblichkeit im Jahr 2012 liegt etwa bei der Hälfte von 1990 mit 48 Toten gegenüber 90 Toten je 1.000 Geburten. Damit sank die Zahl von 12,6 Millionen auf 6,6 Millionen Todesfälle oder anders ausgedrückt, es sterben heutzutage täglich 17.000 Kinder weniger als noch 1990. Grund zur Hoffnung gibt die Geschwindigkeit der sinkenden Sterblichkeitsrate. Zwischen 2005 und 2012 ist die Sterblichkeitsrate dreimal schneller gesunken als zwischen 1990 und 1995. Wieder einmal ist es in der Subsahara-Region am schlimmsten. 80 Prozent der Kinder, die unter fünf Jahren sterben, stammen aus dieser Region. Ein wichtiger Aspekt die Kindersterblichkeit zu reduzieren, war gegen Krankheiten vorzubeugen. Durch Impfen gegen Masern konnte laut UN zwischen 2000 und 2012 nahezu 14 Millionen Todesfällen verhindert werden.

Auch die Müttersterblichkeit sollte zu zwei Dritteln bis 2015 verringert werden. Hier wurde ebenso das Ziel verfehlt, doch immerhin ein ähnliches Ergebnis wie bei der Kindersterblichkeit erzielt. Die Müttersterblichkeit ist um 45 Prozent im besagten Zeitraum der Milleniumsziele gesunken. Pro 100.000 Geburten ist die Zahl von 380 auf 210 Todesfälle gesunken. In der Subsahara-Region sterben die meisten Mütter während der Schwangerschaft, der Geburt oder innerhalb der nächsten sechs Wochen nach der Geburt. Dort sterben 540 pro 100.000 Frauen. In Entwicklungsländer sind es gerade mal 16 Frauen. 2012 sind 40 Millionen Geburten von nicht oder schlecht ausgebildetem medizinischen Personal begleitet worden, davon 32 Millionen in ländlichen Gebieten.

Das Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ist grandios gescheitert. Der Co2-Ausstoß wurde nicht verringert, er ist global um mehr als 46 Prozent gestiegen. In Südamerika und Afrika werden weiterhin in großem Maße Wälder abgeholzt und rund zwei Drittel der Meere sind überfischt. „Es sieht leider so aus, als würden einige Millenniumsziele klar scheitern. Das liegt vor allem daran, dass die reichen Staaten nicht die vereinbarten finanziellen Mittel einsetzen, die 2000 zugesagt wurden. Die Zielmarke von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hat Deutschland zum Beispiel mit rund 0,4 Prozent klar verfehlt. Das gilt auch für viele andere Staaten wie die USA, Japan und Österreich“, sagt Wilfried Vyslozil. Lediglich Schweden, Norwegen, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande hätten diese Zielvorgabe erreicht und sogar übertroffen. So liegt Schweden sogar bei über einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes. „Die SOS-Kinderdörfer appellieren deshalb dringlich an alle Regierungen, besonders auch die deutsche Bundesregierung, ihre Anstrengungen im letzten Jahr vor Ablauf der Frist noch einmal drastisch zu verstärken. Es geht hier nicht um abstrakte Ziele, sondern um Menschenleben – sehr viele Menschenleben!“, fordert Vyslozil.

Ein großer Kritikpunkt ist die Messung und Auswertung der Daten seitens der UN. Dies offenbart sich an dem größten Sorgenkind der internationalen Gemeinschaft, der Subsahara-Region. Die Zahl extrem armer Menschen ist von 290 Millionen auf 414 Millionen Menschen angestiegen, obwohl laut UN Bericht die extreme Armut von 56 Prozent auf 48 Prozent gesunken ist. Am Beispiel des Subsahara-Staates Kenia zeigt sich, dass die gewählten Indikatoren schwierig sind und sogar zu Fehlentwicklungen führen können.

Verarmtes-verwahrlostes-Kind-trinkt-dreckiges-Wasser„Das, was heute in den Milleniumszielen gemessen wird, ist viel zu unkonkret und viel zu vage, weil das, was heute gemessen wird, beispielsweise keine Berücksichtigung der Wasserqualität vornimmt. Es berücksichtigt auch nicht die Zugänglichkeit“, erklärt Dirk Schäfer, von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. „Es geht lediglich darum: Was für eine Art von Wasserquelle habe ich? Technisch gesprochen heißt das, wenn jemand in so einem Gebiet wie hier ein Loch im Boden hat mit Wasser drin und einem Deckel drauf, hat er im Sinne der Milleniumsziele Zugang, weil die Quelle, die er hat, geschützt ist. Das reicht nicht aus. Wir müssen gerade im städtischen Bereich auf Wasserqualität gucken können. Wir müssen schauen, ob es saisonale Schwankungen gibt, also ob es das ganze Jahr verfügbar ist. Wir argumentieren auch auf internationaler Ebene, dass zukünftige mögliche Wasserziele auch die wesentlichen Kriterien, die für einen Konsumenten wichtig sind, erfüllen. Also insbesondere, wie viel Wasser habe ich, ist es regelmäßig, habe ich eine adäquate Wasserqualität und ist der Preis sozialverträglich. Das ist heute nicht berücksichtigt beim Monitoring der Milleniumsziele“, so Schäfer weiter.

Bereits kurz nach Beschluss der Milleniumsziele wurde Kritik laut. Sie seien zu vage, nicht konkret genug und oft kaum messbar. Zudem sehe es nach einer ‚Geberagenda‘ aus, einer Reihe von Forderungen die den Entwicklungsländern aufgebürdet wurde, ohne dass diese maßgeblich an dem Katalog Einfluss gehabt hätten, der ja schließlich vor allem sie betrifft. Aber genau auf die nationalen Realitäten komme es an, um wirklich nachhaltig etwas zu verändern, wie der kenianische Wassersektor eindrucksvoll beweist. „Kenia hat sich von Anfang an eigene Ziele gesetzt. Ich kann mich an den Auftritt eines Mitarbeiters des Wasserministeriums in Stockholm 2006 erinnern, der gesagt hat, das, was berichtet wird bezüglich der Milleniumsziele im Wassersektor, hat mit der Realität nichts zu tun. Wir müssen daran arbeiten, wie wir ein realistisches Bild bekommen, um dann zu überlegen, wie wir den Sektor entwickeln. Die Milleniumsziele waren für Kenia im Wassersektor eigentlich schon seit 2006 nicht mehr die Leitlinie“, so Schäfer.

Kenia hat eine eigene Agenda, die Vision 2030, ausgearbeitet, die teilweise noch über die Forderungen der Millenniumsziele hinausgeht. Hier müssen die Ziele erst 2030 erfüllt sein und Kenia wird trotz aller Anstrengungen die Milleniumsziele der UN nicht erreichen. Das gilt auch für einen Großteil der anderen Entwicklungsländer. Wenn selbst Kenia die Ziele nicht erreicht, eines der stabilsten Nationen der Subsahara, verschont von Bürgerkriegen, mit ordentlichem Wirtschaftswachstum, natürlichen Ressourcen und einer der modernsten Verfassungen des Kontinents, wie sollen es die Nachbarländer Kenias schaffen?

Die Stärke der Milleniumsziele, wenige klare Ziele und leicht verständlich, sind gleichzeitig ihre große Schwäche. Das viele der 189 Nationen die Ziele verfehlen hat so unterschiedliche Gründe wie die 189 Nationen unterschiedlich sind. In Kenia lag es an vielen Faktoren, wie wachsende Ungleichheit, jahrzehntelange Korruption, Nachwirkungen der kolonialen Vergangenheit, Misswirtschaft, Umweltverschmutzung, Dürren, Hungerkatastrophen und ethnischen Konflikten. Hinzu kam rasantes Bevölkerungswachstum, erste Folgen des Klimawandels und die globale Finanz- und Wirtschaftskrise. Das Land sei aber auf einem guten Weg vermeldete Ken Osinde, ehemaliger kenianischer Botschafter in Deutschland.

„Manche Dinge waren eben unvorhersehbar. Ich bin sicher, dass wir das, was wir in der Vision 2030 festgelegt haben, erreichen werden, bis dahin ein industrialisiertes Land sind und dann auch die Millenniumsziele erreichen. Das alles ist keine leichte Aufgabe für eine so junge Wirtschaft und für ein Land mit so großem Bevölkerungswachstum. Die einzelnen Herausforderungen müssen also erledigt werden“, so Osinde.

Kaum erfasst wird von den Milleniumszielen eine der größten Herausforderungen, die Ungleichheit. Ökonomischer Fortschritt wird insgesamt gemessen. So zeigen sich Erfolge, wenn allein die bereits wohlhabenden deutlich zu mehr Wohlstand gelangen, ohne das die ärmeren Gesellschaftsschichten davon partizipieren. So wurde der Vorschlag, ein Ziel gelte dann als erreicht, wenn es bei den ärmeren zu Veränderungen kommt, abgelehnt.

Wie absurd solche Mess-Parameter sind, offenbart Kenias Hauptstadt Nairobi. Gigantische moderne Shoppingmalls und der größte Slum des Landes sind wenige Kilometer voneinander entfernt. Ein typisches Bild, welches überall in Kenia zu finden ist. Kenia ist zudem bemüht am Weltmarktgeschehen teilzuhaben und opfert mit riesigen Rosenfarmen und Gemüseexporten sein knappes Gut Wasser zugunsten Profite weniger, während es für den Großteil der Bevölkerung in trockenen Gebieten zu Hungerkatastrophen kommt. Trotzdem ist dieses Vorgehen für den früheren Ministerpräsidenten und jetzigen Oppositionsführer Raila Odinga der richtige Weg die Ziele zu erreichen.

„Die Ziele wären erreichbar gewesen, wenn man früh genug angefangen und eine Regierung gehabt hätte, die sich darauf fokussiert hätte, die Ziele zu erreichen. Das sehen Sie ja daran, wie viel wir allein in der kurzen Periode von zehn Jahren getan haben. Hätten wir ein stetes Wirtschaftswachstum seit dem Startjahr 1990 bis zum Stichjahr 2015 gehabt, dann bin ich sicher, dass die meisten Ziele – sicherlich nicht alle, aber viele – erreichbar gewesen wären. Es wurde viel Zeit verschwendet“, so Odinga.

Die geschenkten Erfolge der Milleniumsziele

Als 2000 die Milleniumsziele beschlossen wurden, hatten die 189 Nationen sich darauf geeinigt als Basisjahr 1990 für die Messung festzusetzen. Die bereits vergangenen 10 Jahre hatten den praktischen wie fragwürdigen Vorteil, dass die Verbesserungen vieler lateinamerikanischer Länder in den 90er Jahren schon mitgewertet und als Erfolg verbucht werden konnten. Auch ließ sich da schon die aufstrebende Wirtschaftsmacht China erkennen, die von 1990 bis 2000 bereits wesentlich gewachsen ist. Kein Wunder, dass im Jahr 2008 das erste Entwicklungsziel, die extreme Armut um die Hälfte zu reduzieren, vorzeitig erreicht wurde. Letztlich ist dieser Erfolg den Chinesen und Indern zu verdanken, während bis dahin in den anderen Ländern keine nennenswerten Verbesserungen stattgefunden haben. Laut Nicole Rippin vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, wurde im Nachhinein beschlossen die Entwicklungsziele auch auf nationale Ebene herunterzuholen.

Nach Sicht der aktuellen Daten stammen von den zehn Ländern, die am besten hinsichtlich der Milleniumsziele vorankommen, acht aus Afrika. Dennoch hält sich die Sichtweise der Geberländer eisern, dass ein ganzer Kontinent unfähig sei seine Lage zu verbessern. Dadurch werden die einzelnen Anforderungen und Notwendigkeiten für Verbesserungen bei so unterschiedlichen Ländern wie Kenia, Somalia, Uganda, Südafrika oder Burkina Faso verzerrt. „Dreiviertel der Entwicklungsinvestitionen werden von Kenianern selbst erbracht. Das ist etwas, was man nicht vergessen darf, wenn man Länder in ihrer Abhängigkeit, aber auch in ihrer Bereitschaft, ihre Entwicklung voranzubringen, beurteilt“, sagt etwa Achim Steiner, Exekutivdirektor der UNEP, der selbst seit mehr als acht Jahren in Kenia lebt. „Die Kenianer haben ein Besteuerungssystem, das es ihnen ermöglicht, und eine Volkswirtschaft, die es ihnen ermöglicht, diese Investitionen zu großem Teil selbst zu tätigen. Entwicklungshilfe ist hier nicht die Nummer eins, sondern vielleicht drei oder vier. Denn es ist Regierung, Privatwirtschaft und dann letztlich internationale Zusammenarbeit, die das Entwicklungsbudget in diesem Land ausmachen“, so Steiner weiter.

Rein faktisch gesehen wird Kenia, das Ziel eine Grundschulausbildung für alle zu ermöglichen, erreichen. Der afrikanische Staat hat in den vergangenen Jahren unzählige Schulen errichtet. Die Qualität der Ausbildung allerdings ist zweifelhaft. So können laut dem UNESCO Bericht von 2012 rund 130 Millionen Kindern trotz Grundschulausbildung weder lesen noch schreiben. Andere Fortschritte können schlicht nicht gemessen werden, weil es keine Datenerfassung dazu gibt. „Man hat bei den Milleniumszielen dann oft gesagt, wenn wir die Daten nicht haben, dann nehmen wir eben die Daten, die zur Verfügung stehen. Das war in vielen Fällen eine ganz schlechte Entscheidung“, kritisiert Nicole Rippin vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. In der Praxis wurden Indikatoren wo die Daten fehlten, wie etwa der Zugang zu einer sicheren Unterkunft, einfach der Indikator auf Daten umformuliert, die vorhanden waren. Bei diesem Beispiel galt fortan die Menge der städtischen Bevölkerung die in Slums lebt. Um hier Fortschritte zu erzielen, wurden in manchen Ländern einfach die Slums geräumt und die Menschen vertrieben. Ein zweifelhafter Erfolg zum Erreichen der Milleniumsziele.

„Das ist natürlich eine unglaubliche Verletzung der Menschenrechte. Es hat aber dazu geführt, dass es durchgeführt wurde aufgrund der falschen Anreize, die durch die Milleniumsziele gesetzt wurden. Das ist natürlich etwas, was wir absolut nicht wollen. Dass absolute Menschenrechtsverletzungen umdefiniert werden zu großen Anstrengungen der Milleniumsziele. Das zeigt, was für fatale Folgen es haben kann, wenn man Indikatoren benutzt, die einfach schlecht sind“, so Rippin.

Genauso zweifelhaft ist die Halbierung der Menschen, die in extremer Armut leben. Ursache des erreichten Ziesl ist der Aufstieg in den Schwellenländern von Hunderten Millionen Armen in die Mittelschicht. Die Nachfrage dieser neuen Verbraucher ließ die Preise steigen. Menschen die nicht mehr extrem arm sind, also mehr als 1,25 US-Dollar zur Verfügung haben, können sich von ihrem Geld deutlich weniger leisten als früher, sind also faktisch immer noch extrem arm.

No-excuse-2015-MilleniumskampagneDie Zeit nach 2015

Alle diese Probleme mit der Messbarkeit der Fortschritte und den Indikatoren wurde in den letzten zwei Jahren heftig diskutiert. Wenn die Milleniumsziele in weniger als sechs Monaten auslaufen, steht das Nachfolge-Projekt schon in den Startlöchern. Mit den Erfahrungen von 15 Jahren Milleniumsziele, soll bei den ‚Nachhaltigen Entwicklungszielen‘, den Sustainable Development Goals, die vorherigen Fehler nicht mehr vorkommen. Im September 2015 sollen die Sustainable Development Goals verabschiedet werden und für alle Länder gelten, also auch für die entwickelten Industrienationen wie Deutschland. Anders als zuvor werden die speziellen Gegebenheiten der Länder berücksichtigt. Auch Deutschland wird dann gezwungen sein gegen seine nationale Armut zu kämpfen, die keinesfalls vergleichbar mit der Armut in Entwicklungsländern ist, jedoch trotzdem Leid verursacht. Bei den Sustainable Development Goals werden verbindlich für alle Nationen die Ziele national interpretiert und nationale Kontexte mit einbezogen.

Eine einfache Einteilung in arm und reich ist dann nicht mehr möglich und kann auch nicht mehr mit einem Wert wie 1,25 US-Dollar pro Tag beziffert werden. Armut ist kein Problem armer Länder, sondern armer Menschen in jedem Land. Hier spielt die wachsende Schere zwischen arm und reich eine Rolle, die weltweit vorzufinden ist. Die Ungleichheit und unfaire Verteilung von Vermögen wird zu einem wachsenden globalen Problem. Bei dieser Betrachtungsweise müssen die reichen Nationen erkennen, dass sie Entwicklungsländer nicht nach ihrem eigenen Raster bewerten können, sondern selber genug Probleme haben, die weit davon entfernt sind die eigene Armut und Ungleichheit der Bevölkerung zu eliminieren.

Die Sorge, dass auch die Sustainable Development Goals in wichtigen Punkten am Sinn und Zweck vorbeigehen, wird zunehmend größer. Es sieht danach aus, dass der wachsenden Ungleichheit in der Welt, die für viele Experten der Hauptgrund des Scheiterns der Milleniumsziele sind, wieder wenig Beachtung geschenkt wird. So sollen erst ab 2030 auch ärmere Gruppen in das Wirtschaftswachstum mit einbezogen werden. Genau in dem Jahr, in dem die Sustainable Development Goals auslaufen.

„Vieles in Kenia ist weiter – für die Kenianer genau wie für die internationale Gemeinschaft – schwer nachvollziehbar, kritisierbar. Man muss auch immer wieder schauen: Wo ist der Ausgangspunkt der Menschen, die hier versuchen, etwas zu schaffen? Der Ausgangspunkt ist der, dass der, der heute der Chef einer Baubehörde ist, dessen Mutter und Vater konnten noch nicht mal schreiben. Das heißt, der Generationensprung, der hier stattfindet im Sinne der Bildung, ist wirklich faszinierend. Man kann natürlich ein Land immer am Defizit messen und man kann schauen: Was haben Menschen unter unglaublich schwierigen Gesichtspunkten oder Realitäten schon geschafft und wie kann man ihnen auf diesem Weg zur Seite stehen“, sagt Achim Steiner von der UNEP.

Obwohl die Sustainable Development Goals noch nicht verabschiedet sind, wird innerhalb der internationalen Gemeinschaft gestritten, wie die zukünftige Armutsbekämpfung aussehen soll. Die Geber- und Nehmerländer sind sich uneinig wie verbindlich die gemeinsamen Ziele formuliert werden sollen. Während Institutionen wie die Weltbank die extreme Armut, wie immer das zukünftig bewertet werden soll, bis 2030 aus der Welt schaffen will, sieht die Afrikanische Union dies als Beleidigung. Sie wollen die Armut jeder Art ganz und gar besiegt sehen. Auch treffen globale Finanz- und Wirtschaftskrisen die Länder im Süden wesentlich heftiger, weshalb sie einen Schutz fordern.
Neben dem Thema Armut und soziale Gerechtigkeit sollen die Sustainable Development Goals breiter angelegt sein als die Milleniumsziele. „Das Bewusstsein, dass wir zum Leben nur diesen einen Planeten haben, muss zu einer neuen Kultur werden“, sagte Horst Köhler bei einer Diskussionsrunde der KfW-Entwicklungsbank in Berlin, der für Deutschland im hochrangigen UN-Gremium sitzt. Gerade die Klima- und Umweltprobleme haben sich seit 2000 weltweit verschärft und auch Frieden und menschliche Sicherheit sind zunehmend verletzte Güter.

Auf jeden Fall sei die Zeit der traditionellen Entwicklungshilfe passé, wie Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik bekräftigt. Genau wie Horst Köhler will Messner, dass die alten Ziele zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsagenda weiterentwickelt werden und neben der Armutsbekämpfung auch ökologische Nachhaltigkeit, Ungleichheit, Menschenrechte, gute Regierungsführung und Ernährungssicherheit mit einbeziehen sind.

Weltkugel-in-Händen-gehalten

Die Nachhaltigen Entwicklungsziele 2030 – Sustainable Development Goals 2030

Am 03. Juni dieses Jahres haben sich UN-Unterhändler im Rahmen der Post-2015-Agenda nun auf die Sustainable Development Goals 2030 geeinigt. In dem 21-seitigen Papier sind 17 übergeordnete Ziele mit 169 Unterkategorien aufgelistet. Die Ziele sollen im September bei der UN-Vollversammlung in New York verabschiedet werden. Die schiere Zahl an Unterkategorien ist den Forderungen vieler Staaten geschuldet, die ihre eigenen Ziele unbedingt in dem Text wiederfinden wollten. Ziel Nummer 1 ganz oben auf der Liste lautet: „Armut in allen ihren Formen und überall beseitigen“. In den nachfolgenden Details wird als arm definiert, wer weniger als 1,25 US-Dollar am Tag verdient. Zudem müssen nationale Armutsgrenzen berücksichtigt werden und soziale Sicherungssysteme aufgebaut werden. Es ordentliche Arbeitsplätze entstehen, alle Menschen das Recht auf Eigentum, auf Grund und Boden sowie Zugang natürlichen Ressourcen und neue Technologien haben. Zur Armutsbekämpfung zählt auch, dass die Menschen gegen Naturkatastrophen abgesichert sind, ihnen nachhaltiges Wachstum zugesichert wird und die Biodiversität erhalten wird.

Kaum waren die Ziele veröffentlicht hagelte es Kritik von vielen Seiten. „Wir können sagen, dass sie ehrgeizig sind, vielleicht zu ehrgeizig, wenn man die Misserfolge der vergangenen 15 Jahre betrachtet“, kommt die Kritik von der Nichtregierungsorganisation ‚Aide et Action‘. „Allen alles zu versprechen gibt uns keine Richtung. 169 Prioritäten zu haben ist wie überhaupt keine zu haben“, sagt etwa Bjørn Lomborg, der Gründer des Copenhagen Consensus Centre. Dies zeigt sich schon bei der Finanzierung der Ziele. Allein für die Beseitigung der Armut müssten jährlich etwa 135 bis 195 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden. Fünf bis sieben Milliarden US-Dollar kommen für den Aufbau der Infrastruktur hinzu. Allein das erste der 17 Ziele sprengt das momentane Budget für Entwicklungshilfe deutlich.
Auf jeden Fall decken die 17 Ziele eine umfassende nachhaltige Entwicklung ab. Ob die Befürchtung, dass besonders die armen Länder es schwer haben werden ihre Politik an so vielen Zielen auszurichten, berechtigt ist, wird sich zeigen. Bei der UN-Generalversammlung im September 2014 plädierte der britische Premierminister David Cameron maximal 12 Ziele festzulegen, denn sonst bestehe „die reale Gefahr, dass sie nur im Bücherregal landen und bald mit einer Staubschicht bedeckt sein werden“.

Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms UNEP befürwortet den Umfang der Liste. „Sie spiegelt die vielfältigen Realitäten der einzelnen Staaten wider und bringt uns alle an einen Tisch. Das zeigt, wie wir in Zukunft mit acht oder neun Milliarden Menschen gemeinsam diese Probleme angehen müssen“, sagt Steiner. Auch sei es eine positive Weiterentwicklung der Milleniumsziele, „dass wir die Fragen der Umwelt, des Sozialen und der Wirtschaft in diesen Zielen integriert haben.“ Auch das alle Nationen diesmal gefordert sind sei positiv, denn „alle müssen sich bewegen, nicht nur die Entwicklungsländer.“

Noch ist die Liste nicht im Detail festgelegt. Bei vielen Zahlen ist noch ein „X“ als vorübergehender Platzhalter eingetragen. Noch gibt es keine konkreten Aussagen, wie hoch die Lebenserwartung 2030 sein soll, in welchem Maße die Effizienz beim Umgang mit Energie und Wasser verbessert werden soll oder wie hoch das Wirtschaftswachstum sein soll. Ebensowenig in welchem Maße die Verschmutzung der Meere und die Zahl der gewaltsamen Tötungen reduziert sein müssen, damit das Ziel als erreicht gilt. Es werden noch viele Sitzungen nötig sein, um bis September eine konkrete Liste mit Zielen vorlegen zu können, in denen dann Zahlen stehen anstatt einem „X“.

Das 17 Ziel, die Mittel zur Umsetzung stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen, wird laut Neven Mimica, EU-Kommissar für internationale Kooperation und Entwicklung, eine echte Herausforderung. Denn Mittel zur Umsetzung ist gleichbedeutend mit Geld aufbringen. „Für Europa wird das bedeuten, dass wir unser Steuersystem transparenter machen müssen. Wir müssen unsere Steuerbasis sicherstellen und dafür sorgen, dass Profite da besteuert werden, wo sie anfallen. Wir können nicht von anderen Staaten etwas verlangen, was wir selbst nicht tun“, erklärt Mimica. Gemeint ist damit EU weit verstärkt gegen Steuerflucht vorzugehen.

Für Amina J. Mohammed, Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Entwicklungsplanung, gehört die Beseitigung von Ungleichheiten zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben der nächsten Jahre. „Es muss uns große Sorge bereiten, dass sich die Ungleichheiten in den einzelnen Ländern der Welt und zwischen ihnen weiterhin vertiefen“, so die Sonderbeauftragte. Außerdem wurden aus den 15 Jahren Milleniumsziele viel Erfahrung gesammelt, die jetzt Anwendung finden werden. „Wir haben erkannt, dass dieser Weg, die gewaltigen, komplexen Herausforderungen anzugehen, nicht nachhaltig war. Und deshalb strebt die nachhaltige Entwicklungsagenda in der Tat nach einer breiteren und tieferen Antwort auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Auch berücksichtigt diese Antwort die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimensionen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen“, sagt Amina J. Mohammed. Sie betont, dass in den neuen Zielen nicht nur eine Reduzierung oder Verringerung in Punkten wie der Armut oder Bildung festgeschrieben ist. Die Ziele betreffen alle Menschen, keiner wird zurückgelassen und vergessen.


Die Ziele der Sustainable Development Goals 2030 im Einzelnen

1. Armut in allen ihren Formen und überall beseitigen

2. Hunger beseitigen, Ernährungssicherheit und verbesserte Ernährung erreichen, eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

3 Ein gesundes Leben sicherstellen und das Wohlergehen aller Menschen in allen Altersgruppen fördern

4 Eine inklusive und gleichberechtigte hochwertige Bildung garantieren und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern

5 Geschlechtergleichstellung erreichen und das Potenzial aller Frauen und Mädchen fördern
6 Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle sicherstellen

7 Den Zugang zu erschwinglicher, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sicherstellen

8 Anhaltendes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

9 Eine widerstandsfähige Infrastruktur schaffen, eine breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung und Innovationen fördern

10 Ungleichheit in und zwischen den Ländern verringern

11 Städte und menschliche Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten

12 Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

13 Unverzüglich Maßnahmen gegen den Klimawandel und seine Folgen ergreifen

14 Die Ozeane, Meere und marinen Ressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

15 Terrestrische Ökosysteme bewahren und wiederherstellen, ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, Landdegradation und den Verlust der Artenvielfalt beenden und umkehren

16 Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, Zugang zum Recht für alle schaffen und leistungsfähige, verantwortliche und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

17 Die Mittel zur Umsetzung stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen

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