Die Behörden sind in höchster Alarmbereitschaft. Der IS hat Deutschland vermehrt ins Visier genommen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes hat sich die Zahl der Informationen zu möglichen Attentaten von Islamisten binnen weniger Jahre vervielfacht. Deshalb hat die Bundesregierung den militärischen Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Zuge der „Terror“-Gefahren beschlossen und verstößt damit gegen das Grundgesetz.
Der Satz von Bernd Paleda, Berliner Verfassungsschutzchef, vom letzten Jahr ist in Sicherheitskreisen zum geflügelten Wort geworden: “Wir haben eine abstrakt hohe Gefährdung“. In Behördensprache bedeutet dies so viel wie, dass ein terroristischer Anschlag jederzeit geschehen kann. “ Es ist die höchste Warnstufe, die wir haben. Höher geht es nicht – alles, was danach kommt, ist Bumm“, so Paleda.
Das er recht behalten sollte, zeigte der Anschlag des der Terroristen Anis Amri beim Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz bei dem 12 Menschen ums Leben kamen. Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, warnt nun erneut, dass “die Gefährdungslage in Deutschland unverändert hoch“ sei. Der Grund hierfür ist laut Maaßen: “Deutschland ist in der Zielauswahl des IS im Laufe des Jahres 2016 deutlich höher priorisiert worden“.
Belege dafür seien für den Verfassungsschutz die deutliche Zunahme an Hinweisen auf mögliche terroristische Anschläge. Die sogenannten unspezifischen Gefährdungshinweise, Meldungen das irgendjemand, irgendwo etwas zu planen scheint, ist seit 2013 um 200 Prozent angestiegen. Im vergangenen Jahr gab es allein 20 Hinweise die überprüft wurden, die auf Anschläge an Weihnachten oder Neujahr hinwiesen.
Das “Hinweistelefon Islamistischer Terrorismus“ wird immer häufiger genutzt. 2016 wurde dieser Dienst 1100 mal genutzt – doppelt so oft, wie noch ein Jahr zuvor. “Wir sehen zudem eine qualitative Veränderung der hier eingehenden Hinweise“, so Maaßen. Die Informationen sind zudem stichhaltiger als in der Vergangenheit, weshalb laut BfV auch die Zahl der nachrichtendienstlichen Maßnahmen erhöht wurde. Insgesamt werden mehr Personen observiert, mehr Telefone abgehört und mehr V-Leute eingesetzt.
Der Verfassungsschutz schaltet vermehrt auch Polizei und Justiz mit ein. So ist der Anti-Terror-Einsatz in Sachsen gegen Jaber Albakr unter anderem auch auf die Informationen des Verfassungsschutzes zurückzuführen. Auch bei der Festnahme zweier Islamisten Anfang Februar in Göttingen erhielt die Polizei Informationen des Inlandsnachrichtendienstes.
“Das Potenzial gewaltorientierter Islamisten in Deutschland nimmt stetig zu und wird sich auch weiter erhöhen“, sagte Maaßen. Aktuell werden von den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern 1600 Personen dem islamistisch-terroristischem Personenpotenzial zugerechnet. Einen Rückgang gibt es bei den Personen, die nach Syrien oder in den Irak ziehen, um sich dort islamistischen Terrororganisationen anzuschließen. Vermutet wird der zunehmende militärische Druck auf den IS, weshalb viele Islamisten zögern diesen Schritt zu gehen.
Allerdings steigt mit den militärischen Rückschlägen des IS die Gefährdungslage in Europa. Der IS könnte sich vermehrt auf Terroranschläge konzentrieren und Attentäter nach Europa senden oder gleich Attentäter vor Ort rekrutieren. Diese Strategie führte zu den Anschlägen in Frankreich, Belgien und auch in Deutschland. “Je weniger militärische Erfolge der IS in Syrien und dem Irak hat, desto mehr wird er sich Anschlagsziele im Ausland suchen, auch in Deutschland“, so der Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch.
Wegen der hohen Gefährdungslage hat die Bundesregierung den militärischen Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Zuge der „Terror“-Gefahren beschlossen. Dies stellt ein absolutes Novum dar und wird von einigen Seiten kritisiert. Seit dem 2. Weltkrieg sollte es keine bewaffneten Einsätze der Armee im Inneren geben, ausgenommen beim Katastrophenschutz wie etwa Hochwasser. Ab nächster Woche wird die Bundeswehr im Rahmen einer „Terror-Lage“ erstmals in Kooperation mit der Polizei einen Einsatz proben. Unter der Federführung von Bundesinnen- und Bundesverteidigungsministerium werden in sechs Bundesländern die Manöver abgehalten. Zunächst handelt es sich um sogenannte Stabsrahmenübungen, die sich nur in Lage- und Einsatzzentren abspielt. Bewaffnete Soldaten auf der Straße wird es erstmal nicht zu sehen geben.
Kritiker sagen, dass der Bundeswehreinsatz im Inneren gegen das Grundgesetz verstößt. Zwar gibt es Ausnahmeregelungen, die einen Bundeswehreinsatz in Deutschland erlauben, doch sie sind aus historischen Gründen sehr eng gefasst. So können nach Artikel 35 GG Absatz 1 die Behörden des Bundes und der Länder um Amtshilfe ersuchen, die auch die Bundeswehr leisten kann. In Absatz 2 und 3 ist der Einsatz der Bundeswehr auf die Katastrophenhilfe begrenzt.
Der Artikel 87a erlaubt den Einsatz der Bundeswehr auf deutschem Boden im Verteidigungs- und im Spannungsfall. Für die “Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ darf die Bundesregierung auf die Bundeswehr zurückgreifen. So kann nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung im Fall einer Flugzeugentführung in einem engen Rahmen militärische Streitkräfte einsetzen. Und dennoch bleiben die Grenzen selbst in so einem Fall laut dem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz sehr eng gesetzt. Es dürfen Warnschüsse abgegeben werden oder die Maschine abgedrängt werden, um eine größere Katastrophe zu verhindern. Verboten bleibt der Abschuss der entführten Maschine.
Die Verteidigungsministerin sieht laut dem kürzlich vorgestellten Weißbuch der Bundeswehr bei „terroristischen Großlagen“ einen Einsatz der Streitkräfte im Inland als verfassungskonform. Daher sei auch Grundgesetzänderung für einen Antiterroreinsatz nicht nötig. Abgesehen davon, dass diese wegen des Widerstandes von SPD und Opposition höchstwahrscheinlich scheitern würde.
Den Einsatz von „militärischen Kampfmitteln“ im Inland bei großangelegten Terrorangriffen wurde vom Bundesverfassungsgericht 2012 unter strengen Auflagen erlaubt. Dieser Fall ist aber nur ein letztes Mittel bei einem Ereignis von katastrophalem Ausmaß. Weiter definiert wurde das nicht, sondern wird laut Verteidigungsministerium im konkreten Einzelfall entschieden. Allerdings wurde vom Gericht der Einsatz bei Gefahren, „die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen“ explizit verboten.
“Wir alle hoffen ja, dass es nie zu einem Großszenario kommt, der den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erfordert“, sagt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Aber die Anschläge in Frankreich haben “uns allen die Augen geöffnet“. Daher ist für viele der Einsatz der Bundeswehr unausweichlich. “Da bleibt gar nichts anderes, als dass in solchen Fällen militärische Mittel herangezogen werden müssen, also die Bundeswehr“, stimmt Rupert Scholz (CDU), ehemaliger Verteidigungsminister, zu. “Hätte es in München eine Terrorlage mit drei Tätern an drei Orten gleichzeitig gegeben, vielleicht mit Geiselnahmen, dann wäre die Polizei sehr schnell an ihre Grenzen gestoßen“, stimmt auch Klaus Bouillon (CDU), Innenminister des Saarlands, in den Chor der Befürworter ein.
Die Bundeskanzlerin hat zudem vor wenigen Wochen angekündigt, die finanziellen Mittel für die Ausrüstung der Bundeswehr signifikant zu erhöhen. Begründet hat sie dies mit der unsicheren Lage in Europa und die zunehmende Gefahr durch den islamischen Terror. Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist ein Befürworter der geplanten Übung nächster Woche. “Ich habe das schon lange vorgeschlagen und bin sehr froh, dass es nun zu dieser Übung kommt“, denn die Bundeswehr habe Möglichkeiten und Instrumentarien, „über die die Polizei nicht verfügt und nie verfügen wird“.
Damit meint Strobl etwa die Hubschrauber, die eine große Zahl Verwunderter in Krankenhäuser transportieren könnte oder beim Umgang mit Sprengfallen sowie mit biologischen und chemischen Waffen. Nicht zuletzt auch ein Angriff aus der Luft. Dass der Anschlag vom 11. September bereits mehr als 15 Jahre zurückliegt und durch die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in Flugzeugen und auf Flughäfen so ein Anschlag praktisch ausgeschlossen ist, scheint Strobl nicht davon abzuhalten den Bundeswehreinsatz zu propagieren und die Polizei als unzureichend zu bezeichnen.
“Die Hilfe, die wir benötigen, kann die Bundeswehr überhaupt nicht bieten“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow dem ZDF. „Wir brauchen Ermittler, wir brauchen Polizisten, die rechtsstaatlich ausgebildet sind und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel dann die notwendigen Maßnahmen treffen.“
Bei der Bundeswehr ist die Anzahl der Soldaten, die dem KSK (Kommando Spezialkräfte) dienen, wie etwa für Geiselbefreiung und gezielte Angriffe auf Terroristen, ist bereits heute zu klein. Die Personalsorgen beim KSK sind hoch. Außerdem habe die Bundespolizei eine Sondereinheit, die zu den besten der Welt gehört – die GSG 9.
Die Grenzschutzgruppe 9, entspringt aus einer Zeit als Deutschland noch über eine paramilitärische Polizei verfügte. Die Mitglieder der GSG 9 sind ständig am Trainieren und am Abhalten taktischer Übungen. Anstatt der Bundeswehr mehr Mittel zukommen zu lassen für einen Innerdeutschen Einsatz, sollte die Bundespolizei mehr Mittel bekommen und die GSG 9 ausgeweitet werden. Sonderpolizeien wie die GSG 9 haben auch viele unserer europäischen Nachbarn, wie die die Gendarmerie nationale in Frankreich, Guardia Civil in Spanien, Guarda Nacional Republicana in Portugal oder die Carabinieri in Italien. Meist unterstehen die kasernierten und schwerbewaffneten Polizisten sogar dem Verteidigungsministerium.
Viele europäische Staaten verfügen über kasernierte und schwerbewaffnete Polizisten, die meist sogar dem Verteidigungsminister unterstehen. Sie werden dauerhaft im Inland eingesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass durch diesen ersten Schritt die Kompetenzen der Bundeswehr im Inneren nach und nach erhöht werden und am Ende doch noch irgendwann gegen Demonstranten vorgegangen wird. Auch wenn der stellvertretende Ministerpräsident Strobl beschwichtigt: „Die Polizei entscheidet, wann sie die Bundeswehr ruft“, will niemand bewaffnete Soldaten der Bundeswehr auf deutschen Straßen sehen.