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Umweltgerechtigkeit in Berlin

Im FocusUmweltgerechtigkeit in Berlin

Umweltbelastungen sind in der Hauptstadt ungleich verteilt. Die sozial schwachen sind auch beim Bioklima sozial benachteiligt. Das ist das Ergebnis der ersten europäischen sozialen Umweltkarte. Mehr Verkehrslärm, schlechtere Luft, weniger Grünflächen und Wärmeentwicklung durch dichte Bebauung gehen mit einem geringeren sozioökonomischen Status einher.

Viele Menschen sind sich gar nicht darüber bewusst, dass sie in Bezug auf ihre Umwelt ungerechter Weise benachteiligt werden. Die Umweltgerechtigkeit hängt von der Wohnlage ab sowie dem sozialen Status der Bewohner ab. In den USA wurde bereits in den frühen 80er Jahren der Begriff „Environmental Justice“ durch die gleichnamige soziale Bewegung geprägt. Jetzt befasst sich auch Deutschland mit der Ungleichheit der Gesellschaftsschichten beim Bioklima und den damit verbundenen Auswirkungen für die Gesundheit. Als erstes Land in der EU hat Deutschland für die Stadt Berlin eine Umweltkarte veröffentlicht. Sie zeigt deutlich wie ungerecht es beim Bioklima zugeht.

Das Projekt „Umweltgerechtigkeit im Land Berlin“ startete 2009 und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, dem Umweltbundesamt, dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, sechs deutschen Universitäten und mehreren Forschungseinrichtungen eine detaillierte Umweltkarte für Berlin erstellt. Vier Kriterien wurden analysiert, nämlich Lärm, Luftbelastung, die Wärmebelastung im Sommer wegen zu enger Bebauung und Grünflächen. Die erhobenen Daten wurden mit dem sozioökonomischen Status abgeglichen, um zu sehen, ob es einen Zusammenhang des gesellschaftlichen Status und Umweltgerechtigkeit gibt. Es zeigte sich, dass die Annahme von gesundheitsgefährdenden Umweltbedingungen und sozialem Status zutreffend ist.

„Sozial benachteiligte Quartiere in Berlin sind überdurchschnittlich häufig im Hinblick auf ein gesundes Umfeld benachteiligt. Die Ergebnisse des Modellprojektes, das als Stadtbeobachtungssystem etabliert und in Zukunft weitergeführt werden soll, sind auf der sogenannten Berliner Umweltgerechtigkeitskarte zusammengefasst. Es ist ein Gesamtüberblick und eine Bestandsaufnahme zur Umwelt- und Wohnqualität in Berlin. Wir wollen die komplexen Sachverhalte auch für die Betroffenen in den belasteten Quartieren transparent und nachvollziehbar darstellen“, erklärt Leiter des Projektes Heinz-Josef Klimeczek gegenüber der Berliner Morgenpost. Die Umweltkarte hat sich als Stadtbeobachtungssystem etabliert und wird zukünftig weitergeführt und ständig aktualisiert.

Die Karte ist in sogenannte „Lebensweltlich orientierte Räume“ aufgeteilt, in denen im Schnitt 7.500 Menschen wohnen. Es gibt in Berlin 447 solcher unterschiedlich großen Areale. Besonders betroffen von Umweltungerechtigkeit ist die Scharnweberstraße in Reinickendorf. Das schwarze Areal auf der Karte bedeutet eine fünffache Belastung. Das hängt natürlich auch mit dem nur drei Kilometer entfernten Flughafen zusammen und die im Minutentakt startenden und landenden Flieger. Die Luftverschmutzung und der Lärm sind hoch, durch die enge Bebauung staut sich Hitze und Grünflächen sind Mangelware. Nur etwa 20 Kilometer weiter in der Sven-Hedin-Straße das genau Gegenteil. Dieser lebensweltlich orientierte Raum ist unbelastet. Hier stehen Villen, die Grünflächen sind weitläufig, es gibt keinen Lärm und die Luft ist gut.

Neben Reinickendorf gehören die Gebiete mit sozialer Problemdichte Nordneukölln, Mitte und in Tempelhof-Schöneberg zu den ebenfalls sozial benachteiligten Umweltarealen. „Ein wesentliches Ziel des neuen Stadtbeobachtungssystems ist, die Realität in den Berliner Stadtteilen widerzuspiegeln“, sagt Michael Thielke, Leiter der Abteilung Umweltpolitik in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Die Karte verdeutlicht aber auch, dass in der Stadtmitte die Umweltbelastungen höher sind als in den Außenbezirken. In Marzahn-Hellersdorf gibt es eine hohe soziale Problemdichte, doch das Gebiet ist bezüglich der Umwelt unbelastet, wo hingegen das beliebte Gebiet Friedrichshain-Kreuzberg dreifach belastet ist. Horst-Dietrich Elvers von der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit in Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt sich mit der Umweltgerechtigkeit, denn „man muss sich die Frage stellen, wo es sich Menschen mit geringem Einkommen leisten können zu leben und was sie dafür in Kauf nehmen, zum Beispiel an gesundheitlichen Folgen.“

Die gesundheitlichen Folgen wie Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen durch beispielsweise Feinstaub sind bekannt. Lärm führt zu psychischem Stress, verursacht Schlafstörungen und kann sogar bei chronischer Belastung Herzinfarkte verursachen. Bisher spielen Umweltbedingungen und Gesundheitsaspekte bei der Stadtplanung weniger eine Rolle, doch das könnte sich ändern. „Würde es sich nicht rechnen, die Umweltgerechtigkeit in der politischen Arbeit zu berücksichtigen? Denn was kostet eine Lungenerkrankung?“, fragt sich Horst-Dietrich Elvers aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und auch Michael Thielke ist überzeugt, „diese zusammenfassende Betrachtung der Umweltsituation ist ein neues Frühwarnsystem. Das gelte besonders in Hinsicht auf Teilbereiche der Stadt mit einer problematischen Sozialstruktur.“

Die Senatsverwaltung will den Bezirken noch dieses Jahr die Analyse zur Verfügung stellen, damit die soziale Umweltungerechtigkeit gemeinsam angegangen werden kann und eine Kooperation der diversen Ressorts optimiert wird. „Durch diese Zusammenführung der bereits vorhandenen Daten wollen wir das gemeinsame Verständnis und den Austausch von Wissen zwischen den politischen Entscheidungsträgern auf allen Entscheidungsebenen verbessern und frühzeitig auf umweltbezogene Risiken oder ungünstige Entwicklungen in Stadtteilen aufmerksam machen“, erklärt Heinz-Josef Klimeczek gegenüber der Berliner Morgenpost. Anfang 2015 werden die Ergebnisse des ersten deutschen Umweltgerechtigkeits-Projektes bundesweit für alle Bürger zugänglich sein. Wer also nach Berlin ziehen will, sollte da einen Blick drauf werfen.

 

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