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Supermärkte dürfen Lebensmittel nicht mehr wegwerfen

Im FocusSupermärkte dürfen Lebensmittel nicht mehr wegwerfen

Das Französische Parlament hat im Mai ein Gesetz verabschiedet, welches Supermärkten verbietet Lebensmittel wegzuwerfen. Weltweit werden aus unterschiedlichsten Gründen rund 50 Prozent der Lebensmittel auf dem Weg vom Acker bis zum Teller unverbraucht weggeworfen. Mit dem Wegwerf-Verbot von Lebensmitteln für Supermärkte ist das Problem lange nicht gelöst, doch es ist ein Signal in die richtige Richtung.

Jeden Tag schmeißen Supermärkte der westlichen Welt große Mengen, teilweise noch nicht abgelaufene, Lebensmittel weg. In Europa und Nordamerika landet etwa die Hälfte der Lebensmittel auf dem Müll. Die meisten Lebensmittel bereits bevor sie beim Verbraucher landen. Jede zweite Kartoffel, jeder zweite Kopfsalat und jedes sechste Brot wird zu Müll, der noch nicht einmal als Tierfutter weiterverwertet wird, weil die EU dies verbietet.

Die zwei Mitarbeiter des großen französischen Supermarktes E.LECLERC aus dem Dokumentarfilm „Taste the Waste“ stehen stellvertretend für den alltäglichen, irrsinnigen Umgang mit Lebensmitteln. Alexandre Tschann sortiert gerade an der Milchtheke Joghurt-Becher aus. „Die Joghurt-Becher sind in sechs Tagen abgelaufen. Wir holen sie immer sechs Tage vor Ablauf aus dem Regal. Das ist zwar schade, aber wenn sie nicht verkauft werden, geht es nicht anders. Das entscheiden nicht wir, sondern die Kunden. Wenn sie sehen, das ist bald abgelaufen, werden sie es nicht nehmen. Wenn sie den Joghurt in den Kühlschrank stellen und nicht gleich verbrauchen, dann werfen sie ihn weg. Da ist es besser, wir werfen ihn direkt in den Müll“, erklärt Alexandre Tschann im Dokumentarfilm „Taste the Waste“. Sein Kollege Sylvain Sadoine ergänzt: „Wir können nicht vorhersagen, was die Kunden essen. Das ist sehr schade. Wir können das Fleisch noch nicht einmal dem Roten Kreuz spenden, weil das Verbrauchsdatum extrem schnell abläuft. Da kann man nichts machen. Es muss in den Abfall. Jeden Morgen kontrolliere ich die Waren im Regal, ob das Datum noch in Ordnung ist. Ein Supermarkt wie dieser produziert etwa 500 bis 600 Tonnen Abfall im Jahr. Unglücklicherweise landen auch viele Produkte im Müll, die noch nicht abgelaufen sind. Gleichzeitig wird das Prinzip der Vorsorge immer wichtiger. Die Haltbarkeitsfristen werden deshalb immer kürzer. Ich habe vor zehn Jahren im Handel begonnen, damals hielt ein Mineralwasser noch anderthalb Jahre. Heute hingegen läuft es bereits nach sechs Monaten ab“.

Mit diesem Irrsinn ist in Frankreich nun laut Gesetz Schluss. Die Abgeordneten haben im Parlament einstimmig einen Gesetzeszusatz verabschiedet, der den Lebensmittelläden verbietet Waren einfach wegzuwerfen. Diese Maßnahmen sind ein Teil des Gesetzesentwurfs zum Energiewandel von Umweltministerin Segolene Royal. „Es ist ein Skandal, Lebensmittel wegzuwerfen, wenn andere Hunger leiden“, sagt der sozialistische Abgeordnete Guillaume Garot, der die Gesetzesinitiative einleitete. Rund 20 bis 30 Kilo Lebensmittel landen pro französischen Bürger auf dem Müll, sieben Kilo davon sogar originalverpackt.

Schon 2012 hatte sich die sozialistische Regierung in Paris das Ziel gesetzt bis 2025 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren. Zuletzt wurden von den Abgeordneten der Regierung 39 Vorschläge eingereicht die Lebensmittelverschwendung zu verringern. Dazu gehörte beispielsweise, dass die Franzosen ihr nicht verzehrtes Essen in „Doggy Bags“ mit nach Hause nehmen sollen. Damit orientierte sich Frankreich an Belgien, die zuvor ein ähnliches Gesetz verabschiedeten. Auch die EU will die Lebensmittelverschwendung eindämmen. Sie appellierte an die Mitgliedsstaaten das Mindesthaltbarkeitsdatum bei Lebensmitteln wie Kaffee, Reis, Nudeln, Hartkäse und Marmelade abzuschaffen. Auch in Deutschland gibt es diese Überlegungen. „Das System der Mindesthaltbarkeitsdaten muss überprüft werden. Bei Lebensmitteln wie Nudeln, Reis oder Wasser macht es ganz einfach keinen Sinn. Wenn da ein Datum draufsteht, trägt das zur Lebensmittelverschwendung bei. Nicht nur die Supermärkte sortieren dann aus. Auch Verbraucher werden verunsichert. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, denken viele Menschen: Dann muss ich es wohl besser wegwerfen. Die Bundesregierung könnte noch viel mehr gegen Lebensmittelverschwendung tun. Zu viel gutes Gemüse und sogar Fleisch werden noch vor dem Supermarkt aussortiert, weil es nicht in irgendeine Norm passt“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter gegenüber der ‚Huffington Post‘.

Mit dem neuen Gesetz für Lebensmittelläden geht Frankreich einen weiteren Schritt. Vor allem soll es den Supermärkten verboten sein, unverkaufte Lebensmittel für den Konsum unbrauchbar zu machen. Ein Abgeordneter bezeichnete die Maßnahme als „skandalös“ mit der einige Händler arbeiten. Sie schütten Chlor über die unverkauften Lebensmittel, damit sie nicht mehr verzehrt werden können. Das ist mit dem neuen Gesetz untersagt worden. Zudem sind die Händler und Supermärkte mit einer Fläche von mehr als 400 Quadratmetern verpflichtet bis zum 01. Juli 2016 eine Kooperation mit einer Hilfsorganisation einzugehen, welche die aussortierten Lebensmittel erhält, um Bedürftige zu unterstützen. „Diese Regelung stärkt die Partnerschaft, die seit langem zwischen uns und den Supermärkten besteht“, teilten die Banques alimentaires mit, eine mit der Tafeln in Deutschland vergleichbare Organisation. Bereits vor dem Gesetz erhielten solche Hilfsorganisationen in Frankreich etwa 35 Prozent ihrer Lebensmittel von Supermärkten. Jetzt dürften es noch mehr werden.

In Deutschland funktioniert dies auch ohne Gesetz bereits sehr gut. Große Supermarktketten wie Rewe Group, Aldi und Real unterstützen auf freiwilliger Basis die Tafeln. „Über 90 Prozent unserer bundesweit über 300 Märkte beliefern die Tafeln“, sagt Alja-Claire Dufhues, Sprecherin der Real SB-Warenhaus GmbH. Rewe arbeitet seit 1996 mit rund 900 Tafel-Initiativen, Penny engagiert sich erst seit 2007. Es ist allerdings nicht viel was die Tafeln erhalten. „Mittlerweile verkaufen die Märkte und Discounter im Jahresschnitt 99 Prozent ihrer Lebensmittel. Modernste Prognosesysteme – teilweise unter Berücksichtigung der Wettervorhersage – und automatisierte Bestellverfahren ermöglichen eine sehr gute und bedarfsgerechte Versorgung der Märkte mit Ware“, so Alja-Claire Dufhues.

Insgesamt begrüßen die Tafeln jedoch das Gesetz in Frankreich, auch wenn so etwas in Deutschland bisher unnötig scheint. „Hierzulande funktioniert es auch ohne Gesetz. Hier greifen die Rädchen der Logistik zusammen. Das ist ein gut funktionierendes, ausgeklügeltes und erprobtes System“, sagt Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes. Allerdings kommen auf die französischen Hilfsorganisationen nun größere Herausforderungen hinsichtlich Transport, Lagerung und Verwaltung. „Ohne eine reibungslos funktionierende Logistik ist es wahrscheinlich, dass die Einrichtungen schnell an ihre Grenzen stoßen“, mahnt Brühl. Daher fordern auch die Hilfsorganisationen das „die neue Regelung […] nicht zu zusätzlichem Druck für die Hilfsorganisationen werden“ darf. Die Supermarktkette Carrefour ging mit gutem Beispiel voran. Sie stellte den Banques alimentaires 200 Kühltransporter für den Transport der Lebensmittel zur Verfügung.

Aufgrund der Rekordarbeitslosigkeit in Frankreich scheint das Gesetz zur richtigen Zeit zu kommen, denn die Nachfrage nach Lebensmittelspenden wächst. „Auch wenn viele Supermärkte sich zur Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen verpflichtet haben, machen es nicht alle regelmäßig“, heißt es in einem Bericht. Dies hat möglicherweise mit dem höheren Aufwand für die Supermärkte zu tun, die nun Platz für die sonst weggeworfenen Nahrungsmittel schaffen müssen. „Es ist gut, die Verschwendung zu verbieten, aber das Sammeln der Lebensmittel muss auch organisiert werden“, sagt Michel-Edouard Leclerc von der Supermarktkette E.LECLERC.

Dem schließt sich auch der Einzelhandelsverband FCD an, der vor allem Probleme bei kleinen Läden sieht, die Lebensmittel zu lagern. Zudem gibt der FCD zu bedenken, dass die Supermärkte sowieso nur fünf Prozent der Lebensmittelverschwendung verursachen. Für die größte Verschwendung sei der Verbraucher verantwortlich. Eine Studie der Universität Stuttgart scheint das zu bestätigen. Während der Handel pro Jahr in Deutschland etwa 550.000 Tonnen wegwirft, schmeißen die Bundesbürger jährlich 6,67 Millionen Tonnen in den Abfalleimer. Zudem seien in den Abfällen des Handels auch Blumen und Pflanzen enthalten. „Die auf deutschen Großmärkten tatsächlich entsorgte Lebensmittelmenge dürfte eher geringer sein“, steht in der Studie.

Laut dem Dokumentarfilm „Taste the Waste“ sieht dies aber in der Realität anders aus. Auf dem Großmarkt werden täglich enorme Mengen entsorgt, wie der Film auf einem Großmarkt in Frankreich zeigt. „Hier haben wir 880 Orangen-Kisten mit einem Nettogewicht von 8800 Kilogramm. Auf Antrag des Händlers stelle ich jetzt eine Genehmigung aus, dass sie vernichtet werden können. Hier ist das Lieferdatum. Das ist gar nicht lange her. Die Orangen sind vorgestern erst angekommen. Schon etwas ermüdet sozusagen […] Also etwas mehr als achteinhalb Tonnen. Für den Großmarkt ist das nicht viel. Manchmal werden noch größere Mengen auf den Müll geworfen“, sagt Tony Apfelbaum. Der Händler José Vinas der die Genehmigung zur Vernichtung beantragte erklärt: „Die Orangen sind schon überreif angeliefert worden. Wir konnten nur einen Teil verkaufen. Den Rest müssen wir jetzt wegwerfen“. Ob man die schlechten nicht aussortieren könne? „Nein, nein, das lohnt sich nicht. Wenn in einer Kiste mal eine einzelne Orange mit einem Schimmelfleck ist, dann vielleicht, aber wenn es zwei oder drei sind, dann nerven wir uns nicht länger damit. Entweder wir verkaufen sie billiger, oder ab damit in die Mülltonne. Wir sind keine Klitsche, die nur ein oder zwei Paletten verkauft. Bei uns gehen täglich viele Paletten raus. Wenn die Qualität stimmt, klappt das auch. Aber wenn die Früchte nicht mehr frisch sind, können wir sie nicht mehr verkaufen. Dann müssen sie vernichtet werden“, so José Vinas. Am Ende werden die durch das neue Gesetz verpflichtenden Spenden von Lebensmitteln an die Hilfsorganisationen zeigen wie viel tatsächlich bisher im Müll landete.

Für den menschlichen Verzehr ungeeignete, verdorbene Lebensmittel dürfen nach dem neuen Gesetz ebenfalls nicht weggeworfen werden. Sie müssen dem Kompost zugeführt oder als Tiernahrung verwendet werden. Allerdings dürfen laut EU derzeit unverbrauchte Lebensmittel zwecks Seuchenvorbeuge nicht an Tiere verfüttert werden. Deutschland hat 2014 einen Vorschlag bei der Europäischen Kommission eingereicht, der unter anderem dieses Verbot aufheben möchte. Unter Punkt 24 und 25 steht. „Angesichts der negativen Auswirkungen der Lebensmittelverschwendung auf die Umwelt sollten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Mitgliedstaaten den Umfang der Lebensmittelabfälle in allen Sektoren auf vergleichbare Weise erfassen und melden, und nationale Pläne zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen aufgestellt werden, die darauf abzielen, das Aufkommen an Lebensmittelabfällen bis 2025 um 30 % zu verringern. Bei der Festlegung nationaler Programme zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen, sollten die Mitgliedstaaten Prioritäten auf der Grundlage der Abfallbewirtschaftungshierarchie – Vermeidung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, Verwertung und Beseitigung – aufstellen. Bei Lebensmittelabfällen sollte sorgfältig erwogen werden, ob und für welche Kategorien von Lebensmittelabfällen Spenden sowie der möglichen Verwendung ehemaliger Lebensmittel in Tierfutter Priorität vor der Kompostierung, Erzeugung erneuerbarer Energie oder Deponierung eingeräumt werden sollte. Bei dieser Bewertung sollten insbesondere wirtschaftliche Gegebenheiten, Gesundheitsaspekte und Qualitätsstandards berücksichtigt werden, und sie sollte immer im Einklang mit den Unionsvorschriften über die Sicherheit von Lebens- und Futtermitteln sowie die Tiergesundheit stattfinden“.

Laut UNO landen weltweit etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Damit könnte das Hungerproblem auf der Welt gleich viermal gelöst werden. Nach Angaben des UNO-Welthungerberichts vom Oktober 2012 hat jeder Achte Mensch auf der Welt nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung. Diese rund 870 Millionen Menschen könnten allein mit den 300 Millionen Tonnen Lebensmitteln ernährt werden, welche die Industrienationen jährlich wegwerfen. Könnte die Lebensmittelverschwendung insgesamt eingedämmt werden, würden auch die globalen Preise der Lebensmittel sinken. Das Vernichten von Lebensmitteln verursacht den Hunger in der Welt. In vielen armen Ländern geben die Menschen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Laut der Studie schmeißt jeder Europäer und Nordamerikaner jährlich zwischen 95 und 115 Kilogramm Lebensmittel weg. In Asien und Afrika liegt die Menge bei lediglich sechs bis elf Kilogramm pro Person. In Entwicklungsländern geht schon zu Beginn der Versorgungskette viel Nahrung verloren. Diese Nationen kämpfen mit schlechter Erntetechnik, Insekten, mangelnde Kühlung und Logistik sowie Lagerbedingungen.

„Afrika importiert inzwischen einen erheblichen Anteil der Lebensmittel. Mit den Preisexplosionen im Sommer 2008, mit den Demonstrationen in 40 Ländern, mit Toten auf der Straße, mit den Lebensmittelunruhen, die einige Regierungen gestürzt haben, das hat wachgerüttelt. Ich glaube aber auch wenn der nächste Welternährungsschock kommt, und der wird kommen, vielleicht nicht in den nächsten zwei Jahren, aber dann wird´s wieder eng. Was weg ist weg. Es ist aus der Lebensmittelkette herausgenommen, treibt die Preise, macht die Lebensmittelmärkte sehr viel volatiler. Das ist ein großes Problem, nicht nur das die Preise hochgegangen sind, sondern das sie auf hohem Niveau zu schwanken angefangen haben. Wenn sie nun Brot backen oder den Weizen verarbeiten, um ihre Familie zu ernähren und der Weizenpreis sich verdoppelt, wie er das ja gemacht hat, dann können sie den Gürtel noch so eng schnallen, sie können sich eine hinreichende Kalorienversorgung nicht mehr leisten. Das ist vielen Menschen so gegangen, den ultraarmen auf der Welt wegen der Preissteigerung. Diese Preissteigerungen werden bei uns mit ausgelöst. Nun werden Sie sagen, wenn wir nun aber die altbackenen Brötchen oder die Brote die wir am Abend da haben, die können wir doch nicht nach Afrika oder nach Bangladesh schicken. Natürlich nicht. Wir schicken sie aber schon dorthin und zwar in negativer Weise durch das Preissignal. Dadurch, dass wir sie wegwerfen, geht im Rest der Welt und auch bei uns der Preis hoch. Je mehr wir wegwerfen, desto höher ist der Preis. Also unser Wegwerfen führt damit indirekt zu Hunger in der Welt“, erklärt Prof. Joachim von Braun, Director of The Center for Development Research, Bonn im Film „Taste the Waste“.

Genau wie in den Entwicklungsländern werden bei den Industrienationen bereits große Mengen an Lebensmitteln bereits am Beginn der Versorgungskette entsorgt. Hier sorgt der Gesetzgeber, meist auf Druck des Handels, bei den Landwirten für Kopfzerbrechen. Die EU-Gurke ist eine mittlerweile legendäre politische Maßnahme für diesen Irrsinn. „Immer wieder die alte Geschichte von der krummen Gurke. Der Punkt dabei ist: Die EU-Kommission hatte die Gurken-Norm deswegen erlassen, weil der Handel gerade Gurken wollte, sie sind einfacher zu verpacken und im Supermarkt zu verkaufen. Jetzt haben wir die Normen gestrichen, wenn jemand krumme Gurken verkaufen will, dann wird die EU nicht sagen: Nein, du darfst das nicht. Aber in der Praxis wollen sie die Supermärkte nicht, weil sie nicht in die Kisten passen. Äpfel zum Beispiel dürfen nicht verkauft werden, wenn sie zu klein sind, weniger als 55 Millimeter Durchmesser, dann können sie nicht auf den Markt gebracht werden. Das heißt nicht unbedingt, dass sie vernichtet werden müssen. Sie können zu Kompost oder Tierfutter verarbeitet werden. Aber sie dürfen nicht für den menschlichen Verzehr verkauft werden, weil sie nicht dem EU-Standard entsprechen“, sagt Roger Waite, Sprecher der Europäischen Kommission für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.

Wie groß der Druck des Handels ist weiß Landwirt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf ganz genau. „Es sind Kartoffeln dabei die sind entweder zu klein, die sortiert die Erntemaschine ohnehin durch das Sieb aus. Dann gibt es Kartoffeln die sind zu dick, welche die Verbraucher nicht wollen, vor allen Dingen nicht bei Frühkartoffeln, die werden auch rausgeschmissen. Dann gibt es noch Kartoffeln die Macken haben, wobei manche Macken haben wie, dass etwas verwachsen ist oder eine kleine Delle hat, die sind dann nicht mehr verkaufsfähig, gelten als nicht verkaufsfähige Ware. Die werden dann auch weggeschmissen. Also insgesamt werden 40 bis 50 Prozent aussortiert“, so Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Dokumentarfilm. Bevor Produkte in Deutschland auf dem Tisch landen, werden sie rund 33-mal geprüft und aussortiert.

In den USA ist es ein ähnliches Bild. „Auf den Farmen in den USA werden fünf bis zehn Prozent der Ernte vernichtet. Die Früchte werden gar nicht erst geerntet, sondern einfach untergepflügt. Selbst wenn sie perfekte Qualität haben, gut essbar sind und auch nicht schlecht aussehen. Einfach deshalb, weil sie den Normen des Handels nicht entsprechen. Wenn die Normen von den Farmern gemacht würden, gäbe es eine viel größere Vielfalt an Obst und Gemüse, als wir sie heute im Supermarkt finden. Der Handel hat keine Ahnung von der Landwirtschaft. Er zwingt die Farmer, immer gleich aussehendes anzupflanzen. Sie haben Farbtabellen und scannen die Farbe der Tomate sogar per Computer. Der Scanner kontrolliert, ob die Tomaten die richtige Farbe haben. Wenn das Rot zu hell oder zu dunkel ist, dann werden sie aussortiert und weggeworfen. Genauso die Größe. Es gibt bestimmte Normgrößen, und alles dazwischen ist nicht korrekt. Wir wollten so viel wie möglich von der Infrastruktur loswerden, die zwischen Farm und Haushalt existiert. Die ganzen Einzelhändler, Großhändler, Lagerhäuser, Speditionen. Das ist nicht nachhaltig, braucht einfach zu viel Energie“, erklärt Timothy Jones, Landwirt und Aktivist.

Die Lebensmittelverschwendung sorgt nicht nur für hohe Preise und den Hunger in der Dritten Welt, sondern schädigt das Klima. „Wir haben den Inhalt der Müllwagen untersucht. Wir sortierten den Müll über mehrere Jahre, jeden Tag. Schließlich kannten wir die Zusammensetzung. Die Zahlen überprüften wir in sechzig Müllkippen in ganz Nordamerika. In Kanada, in Florida, in Seattle und hier in Tucson. Wir gruben uns quer durch die Müllschichten, mit einem gigantischen Bohrer, Durchmesser: 2,5 Meter. Dann untersuchten wir die Bohrkerne aus der Müllkippe. Unter der Oberfläche einer Kippe verrottet der Müll nur sehr langsam. Man muss nicht tief bohren, und schon stößt man auf Methan. Das Gas wird von Bakterien produziert, die den Müll zersetzen. Der Lebensmittel-Müll produziert rund 15 Prozent der globalen Methan-Emissionen. Methan ist ein Klimagas, das auch die Ozonschicht zerstört. Wenn wir nur halb so viel wegwerfen würden, dann könnten wir damit auch das Methan um die Hälfte reduzieren, auf 7,5 Prozent. Das ist eine Menge. Und bedarf keiner großen Anstrengung“, sagt der Aktivist. Die Halbierung des Lebensmittelmülls würde ebenso viele Klimagase vermeiden wie die Stilllegung jedes zweiten Autos, denn Methan ist ein Klimakiller, 25-mal so wirksam wie CO2. Das neue Gesetz in Frankreich mag in den Augen der Pessimisten nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, für die Optimisten ist es ein Signal in die richtige Richtung.

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