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Rekord: Weltweit 60 Millionen Flüchtlinge

NewsRekord: Weltweit 60 Millionen Flüchtlinge

Die Vereinten Nationen (UN) haben in einem Bericht den aktuellen Stand der weltweiten Flüchtlinge aufgezeigt. Nie zuvor waren so viele Menschen auf der Flucht. Nie zuvor mussten so viele Menschen ihr Heim verlassen. Die UN prognostiziert ein Zeitalter von Flucht und Vertreibung. Die Welt ist auf der Flucht.

 

Am Donnerstag veröffentlichten die Vereinten Nationen, genauer die UNHCR (UN Flüchtlingsagentur) ihren Bericht „Mid-Year Trends 2015“ zum Thema Flüchtlinge. Daraus geht hervor, dass es weltweit knapp 60 Millionen Flüchtlinge gibt, knapp die Hälfte sind Kinder und Jugendliche. Das ist der höchste Stand seit der Gründung der UN vor 70 Jahren. Der Bericht hat allerdings die Daten nur bis zur Hälfte des Jahres 2015 erfasst. Bis zum Jahresende dürften durch den ansteigenden Flüchtlingsstrom aus Syrien noch einige dazukommen.

Die Vereinten Nationen warnen aufgrund der brisanten Situation vor einer gigantischen globalen Katastrophe. Es droht wegen der vielen Kriege und Krisenherde ein neues gefährliches Zeitalter von Flucht und Vertreibung. „2015 wird wahrscheinlich alle bisherigen Rekorde übertreffen“, warnte UNHCR. „In einem globalen Kontext bedeutet dies, dass ein Mensch von 122 gezwungen wurde, sein Haus zu verlassen“, ist dem Bericht zu entnehmen. Die Welt steht vor einem „unkontrollierten Abgleitens in eine Ära, in der das Ausmaß der globalen Vertreibung sowie die nötige Antwort alles Bisherige in den Schatten stellen“, sagte UN-Flüchtlingskommissar, António Guterres, am Donnerstag in Genf. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind mindestens 15 regionale Konflikte ausgebrochen oder neu entflammt.

2014 ist die Zahl der Flüchtlinge ins Ausland oder Geflohene aus ihren Heimatorten um 13,9 Millionen gestiegen. Das ist ein Vierfaches gegenüber 2010. Besonders viele Menschen flüchten aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Somalia. Flüchtlinge aufgenommen haben die Staaten Türkei, Pakistan, Libanon, der Iran und Äthiopien am meisten. Im Libanon kommen auf 1.000 Einwohner 232 Flüchtlinge. Laut UNHCR blicke die Weltgemeinschaft viel zu passiv auf die wachsende Problematik und das Elend der Menschen. „Es ist erschreckend, dass einerseits diejenigen, die Konflikte beginnen, mehr und mehr straffrei davonkommen und dass andererseits die internationale Gemeinschaft unfähig scheint, gemeinsam Kriege zu beenden und Frieden zu schaffen“, beklagte Guterres.

Knapp 20 Millionen der Flüchtlinge sind ins Ausland geflüchtet, 38 Millionen suchen in ihrer Heimat nach Schutz und 1,8 Millionen haben einen Asylantrag gestellt. Die bevorzugten Zielländer für Asyl sind Deutschland und Schweden. Wie brisant die Lage ist, zeigt auch, dass nur knapp 127.000 Menschen zurück in ihre Heimat gehen. Das sind so wenige wie seit 31 Jahren. „Auch wenn zahlreiche Durchbrüche in Afrika die Aussicht für einige Flüchtlinge in 2014 verbessert haben, bleiben dauerhafte Lösungen ein weit entfernter Traum für die große Mehrheit“, heißt es in dem UNHCR-Report.

Täglich fliehen 42.500 Menschen und verlassen ihren Wohnort, um Gewalt und Verfolgung zu entgehen. Nach dem Nahen und Mittleren Osten ist besonders in Afrika die Lage schlimm. Konflikte in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan, Somalia, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und anderen Staaten haben 15 Millionen Afrikaner in Nachbarländer oder andere Gegenden ihrer Heimat gezwungen. Auch in der Ukraine und in Kolumbien flüchten ganze Menschenmassen.

Europa gilt bei Flüchtlingen als sicherer Hafen. Etwa 218.000 Menschen aus Asien und Afrika versuchten im vergangenen Jahr über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die Berichte aus Italien, über Lampedusa und menschliche Dramen auf dem Meer sind den meisten noch wohl bekannt. Laut dem Bericht sind mindestens 3.500 Menschen auf der Überfahrt ums Leben gekommen. Tatsächlich werden es mehr sein.

Aktuell flüchten die meisten Menschen aus Syrien. Das Bürgerkriegsland löst damit den vorherigen Spitzenreiter Afghanistan ab, welches drei Jahrzehnte die Spitzenposition hielt. Für viele Syrer ist das Ziel Deutschland. Vor drei Jahren war Syrien nicht einmal unter den Top 30 gelistet. Über die Gründe und die Ursachen des Krieges soll hier nicht weiter eingegangen werden, doch der Westen ist nicht unschuldig an der Krise um den Machthaber Baschar al-Assad. Etwa 1,11 Millionen Menschen flüchten vor Terror und Gewalt aus Somalia. Allein aus diesen drei Ländern kommen mehr als die Hälfte aller Vertriebenen. Wer nicht aus dem Land flieht, sucht innerhalb ein sichereres Leben. Von den 38,2 Millionen wurde 32,3 Millionen durch das Uno-Flüchtlingswerk geholfen, insbesondere im Irak, in Syrien, in der Demokratischen Republik Kongo und im Südsudan.

Türkei ist erstmals Spitzenreiter in der Aufnahme von Flüchtlingen mit 1,59 Millionen Menschen. Danach folgt Pakistan mit 1,51 Millionen. Wird jedoch die Flüchtlingszahl in Relation mit der Einwohnerzahl genommen, ist der Libanon an erster Stelle. Das vier Millionen Einwohner Land hat 1,15 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland liegt hier an 50ster Stelle. Das diese Länder vorne liegen, hat den Grund, dass Flüchtlinge zunächst in das Nachbarland gehen. Die meisten wollen die Flüchtlingsstationen, wie im Libanon oder in Libyen verlassen. Sie sind nur Durchgangsstationen. Auch für die meisten der Flüchtlinge derzeit in der Türkei ist das erklärte Ziel Europa, vornehmlich Deutschland und Schweden. Hier wird 2016 noch einiges auf Deutschland zukommen. Europa hat insgesamt 3,1 Millionen aufgenommen, wobei hier Spitzenreiter Türkei mit reingerechnet wird.

In Schweden und Deutschland werden die meisten UASCs aufgenommen. Das sind Kinder ohne Begleitung, die ein Aufenthaltsrecht möchten. Mehr als 34.300 solcher Anträge wurden in 82 Ländern gestellt. Ein Drittel davon in Deutschland, zumeist aus Afghanistan, Eritrea oder Syrien. Kinder und Jugendliche, allein, auf der Flucht. Hier sollte Deutschland besonders intensiv daran arbeiten diesen jungen Menschen langfristig zu helfen. Es wäre fatal diese jungen Menschen an radikal-islamistische Gruppen zu verlieren, nur weil sie sich im Stich gelassen fühlen.

Das globale menschliche Elend hat sich zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Ein Rechercheteam hat das Geschäft rund um die Flüchtlingsströme analysiert. Allein Europa hat seit 2000 rund 12,9 Milliarden ausgegeben, um Flüchtlinge abzuwehren oder abzuschieben. Die Flüchtlinge zahlten eine noch höhere Summe an die Schlepper, um über den Seeweg oder über Land nach Europa zu gelangen. Die Flüchtlinge hätten demnach seit 2000 rund 15,7 Milliarden Euro an Schlepper bezahlt, um in Europa ein besseres Leben zu finden.

Zu diesen Ergebnissen kam ein internationales Journalistenteam. 20 Journalisten, Programmierer und Statistiker errechneten den wirtschaftlichen Faktor der Flüchtlingsströme. Koodiniert hat die Recherche der „The Migrant Files“ die Datenjournalismus-Agentur „Journalism++“. Der SRF Zürich und das italienische Magazin „L’espresso“ beteiligten sich an dem Projekt. Abschiebungen verursachen nach dem Bericht den Gr0ßteil der Kosten. In den letzten 15 Jahren haben die EU Staaten sowie Norwegen, Schweiz und Island 11,3 Milliarden gekostet. Zur Zeit fallen jährlich dafür rund eine Milliarde Euro an.

Das Team kam durch datenjournalistische Methoden einer Vielzahl an öffentlich zugänglichen Quellen wie Medienberichte und Regierungsdokumente auf diese Zahlen. Die einzelnen Staaten nämlich haben keine Gesamtstatistiken für diese Fälle. Das Journalistenteam hat Kosten verschiedener Ministerien zusammengefasst. Das waren unter anderem Kosten von Deportationen, Personal- und Sachausgaben in Abschiebelagern oder Zahlungen an abzuschiebende Personen. Es wurden zudem 39 Forschungs- und Entwicklungsprojekte untersucht. Das Ergebnis: Große europäische Rüstungsunternehmen wie Airbus oder Finmeccanica profitieren vom Abwehrkampf gegen die Flüchtlinge.

Bei den Flüchtlingen griffen die Journalisten auf Aussagen von Flüchtlingen zurück, die sie zu den Kosten der „Schleppung“ gemacht haben. Dies waren Berichte aus Medien, NGOs und Forschern. Daraus wurden Durchschnittspreise für die von Frontex identifizierten Routen ausgerechnet. Die Route über den Westbalkan war demnach mit 2.500 Euro pro Person die teuerste. Laut dem Bericht sind die Kosten auf Seiten der Flüchtlinge wahrscheinlich noch höher. So konnten nicht diejenigen erfasst werden, die mit gefälschten Pässen unerkannt ins Land gelangen. Ebenso wenig konnten die Ausgaben der 29.000 Menschen erfasst werden, die auf dem Weg in die Sicherheit Europas umgekommen sind.

Europa steht vor einem gigantischen Problem. Merkels „wir schaffen das“ ist an seine Grenzen gekommen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière warnte einige EU Länder und drohte mit dem Ende der offenen Grenzen. Bleibt es wie derzeit und Asylbewerber können weiterhin ungehindert ihr Ankunftsland verlassen, ist für den Bundesinnenminister das Schengen-Abkommen in Gefahr.

Die aktuelle Flüchtlingskrise bedroht das grenzkontrollfreie Reisen. „Wir streben keine Änderungen von Schengen an, wir wollen keine systematischen Grenzkontrollen wieder einführen“, sagte de Maizière am Dienstag am Rande eines Treffens der EU-Innenminister in Luxemburg. Aber „wenn Verantwortlichkeiten nicht erfüllt werden, dann könnte am Ende das Ende vom freien Verkehr in Europa stehen.“

Damit meinte er das Dublin-Abkommen, welches besagt, dass Asylbewerber ihren Antrag in dem Land stellen müssen, in dem sie die EU betreten haben. Italien und Griechenland sollten sich an das Abkommen halten und die Flüchtlinge nicht einfach weiter reisen lassen. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve warnte ebenfalls. Ohne Verantwortung und Solidarität ist Schengen bedroht. Zuletzt gab es Spannungen zwischen Frankreich und Italien. Frankreich habe Hunderte Flüchtlinge zurück nach Italien geschickt. Cazeneuve erklärte jedoch, die Grenze sei nicht abgeriegelt gewesen.

Frankreichs und Deutschlands Innenminister bestanden darauf, dass bei dem diskutierten Quotensystem zur Aufnahme von Flüchtlingen, nur solche mit einer „wirklichen Bleibeperspektive“ umverteilt werden sollten. Sei diese nicht gegeben, müssten die Flüchtlinge in Italien und Griechenland bleiben. Wirtschaftsflüchtlinge sollten dann von dort aus wieder in ihr Heimatland abgeschoben werden.

In Ventimiglia, einem Ort nahe der italienisch-französischen Grenze, kam es zwischen Flüchtlingen und Polizisten während der Räumung zu Auseinandersetzungen. Laut Italiens Innenminister Angelino Alfano zeigt dies, dass die Flüchtlinge nicht in Italien bleiben wollen. Diese Situation sei ein „Schlag ins Gesicht für Europa“. Alle Staaten sollten daraus ihre Lehre ziehen. Theresa May, britische Innenministerin, forderte vor allem härtere Maßnahmen gegen Schlepper. „Um langfristig mit diesen Thema umzugehen, müssen wir den kriminellen Banden nachstellen, die aus diesem schrecklichen, herzlosen Handel mit menschlichen Leben ein Gewerbe machen“, so May.

 

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