back to top
10.8 C
Berlin
Samstag, Oktober 12, 2024

Ein Familiendrama aus Bad Harzburg

Auf was sollte man Achten, wenn man dem eigenen Sohn die gesamte Immobilie Notariell vererbt.Ein Familiendrama aus...

The Knights of Rizal

Am 11. Juli 2020 fand in den historischen Räumlichkeiten der Äbtestube im Hof zu Wil die Gründung...

Wie die Schweiz über Jahre radioaktives Material im Meer entsorgte

Der Güterzug steht in Siggenthal im Aargau zur Abfahrt bereit, beladen mit rund hundert Behältern. Es ist...

Proteste gegen Mammut Projekt Nicaraguakanal

Im FocusProteste gegen Mammut Projekt Nicaraguakanal

Präsident Ortega hat das umstrittene Projekt im Schnellverfahren abgesegnet. Die geplante Schiffspassage zwischen Pazifik und Atlantik wird von einem Hongkonger Unternehmen realisiert. Über die Risiken lässt Ortega die Bevölkerung im Unklaren, weshalb es zu gewaltsamen Protesten mit dutzenden Verletzten kam. Für den Kanal werden zehntausende Menschen umgesiedelt, der Umwelt drohen massive Schäden und der größte Trinkwassersee Mittelamerikas ist gefährdet.

Trotz aller Proteste und gerichtlichen Klagen begann der Bau des umstrittenen Nicaraguakanals im Dezember. Es ging überhaupt alles sehr schnell. Das Projekt wurde in Rekordzeit durch alle Instanzen und Gremien gedrückt. Präsident Ortega will damit die Armut im Land reduzieren, doch viele glauben dies seien nur leere Worte. Viele kritisieren, dass Ortega das Land an die Chinesen verkauft habe. Sie befürchten Enteignungen und sorgen sich um die Umwelt sowie ihr größtes Trinkwasserreservoir. Zudem birgt der geplante Kanal geopolitischen Sprengstoff. Die Sorgen sind berechtigt, denn es begann schon damit, dass es erst gar keine aussagekräftigen Umweltgutachten oder Machbarkeits- sowie Rentabilitätsstudien gibt.

Bei den Demonstrationen von hunderten Bauern gegen den „Gran Canal Interoceánico“ wurden mindestens 21 Menschen verletzt und Dutzende festgenommen. Bei den Kämpfen mit der Polizei wurde nach Angaben der Demonstranten Tränengas gegen sie eingesetzt. Laut dem Anführer der Proteste Danilo Lorío aus dem Bezirk Río San Juan sowie einem oppositionellen Abgeordneten gab es zwei Todesopfer. Eine Sprecherin der Polizei dementierte, dass es Todesfälle gab. Es wurden 33 Menschen festgenommen und es gab 21 verletzte Personen. Unter den Verletzten waren 15 Polizisten, von denen sich einer mit einer Schusswunde in Lebensgefahr befände. Polizeichefin Aminta Granera erklärte, dass die Demonstranten eine Polizeiwache in Brand gesteckt und die Polizisten mit Macheten und Schusswaffen angegriffen hätten. Daraufhin haben die Sicherheitskräfte mit Tränengas und Gummigeschossen reagiert.

Die Proteste werden den Bau kaum verhindern können. Der Nicaragua Kanal wird 278 Kilometer lang werden und den Pazifik mit dem Atlantik verbinden. Er soll 30 Meter tief und zwischen 230 Meter bis zu 520 Meter breit werden. Damit können auch die gigantischen Containerfrachter der Post-Panamax-Klasse mit mehr als 18.000 Containern die Passage nutzen. Bisher gab es keine Abkürzung für diese Schiffsklasse, denn der weiter südlich gelegene Panama Kanal ist nicht tief und breit genug. Die geschätzten Kosten für den Nicaragua Kanal liegen bei 50 Milliarden US-Dollar. Die geplante Route führt von Brito am Pazifik über Rivas quer durch den Lago Cocibolca (Nicaragua-See) und anschließend vom Ostufer des Sees bei El Tule durch die breite Landmasse bis nach Punta Gorda zur Küste der Karibik.

Im Februar des letzten Jahres warnten Jorge A. Huete-Pérez, Präsident der nicaraguanischen Akademie der Wissenschaften und Axel Meyer von der Universität Konstanz vor den Umweltfolgen und sprachen von einem „ökologischen Desaster“. Rund 400.000 Hektar Regenwald und Feuchtgebiete würden zerstört. Damit würden den bereits gefährdeten Tierarten wie dem Mittelamerikanischen Tapir, dem Geoffroy-Klammeraffen, dem Jaguar oder dem seltenen Greifvogel Harpyie noch mehr Lebensraum entzogen. An beiden Seiten der geplanten Wasserstraße sind Mangrovensümpfe und Korallenriffe. Wahrscheinlich werden auch diese Legeplätze seltener Meeresschildkröten verschwinden. Der Weg führt zudem durch einen zentralen „Hotspot der Biodiversität“, wie es im Fachmagazin „Nature“ heißt. Noch 1997 haben Mexico und die zentralamerikanischen Länder, inklusive Nicaragua, vereinbart, Eingriffe von Menschen in dem parallel zur Atlantikküste verlaufenden Streifen aus Regenwäldern und Feuchtgebieten auf ein Minimum zu reduzieren.

Auch den dort lebenden Menschen wird Lebensraum entzogen. Es würden eine Vielzahl autonomer indigener Bevölkerungsgruppen die Rechte genommen und unberührte terrestrische und lakustrische Ökosysteme, die wissenschaftlich bedeutsam sind, gefährdet. Die geplante Strecke führt unter anderem durch das Cerro Silva Natural Reserve, wodurch die umliegenden Ökosysteme wie das Bosawás Biosphere Reserve oder das Indio Maíz Biological Reserve gefährdet wären, die der letzte Zufluchtsort vieler gefährdeter Spezies darstellt.

Der Weg durch den Nicaragua-See ist umwelttechnisch besonders relevant, da er das größte Trinkwasser-Reservoir Mittelamerikas ist. Bereits mit dem Bau zeichnet sich eine Umweltkatastrophe ab. Der See ist überwiegend seicht und flach, durchschnittlich gerade mal 13 Meter tief. Für die Fahrrinne sind knapp 30 Meter Tiefe und 520 Meter Breite nötig. Es müssen Millionen Tonnen Erde, Schlamm und Gestein ausgebaggert und irgendwo deponiert werden. „Die Ausbaggerungen werden das Leben im See praktisch zerstören. Zudem befürchten wir eine Versalzung und Überschwemmungen. Wir verkaufen unser wichtigstes Wasserreservoir an den Investoren Wang Jing“, sagt Umweltschützer David Quintana.

Der Grund besteht aus dicken Schichten Schlick und Sand. Darunter befindet sich vulkanisches Basaltgestein. Etwa 90 Prozent der 105 Kilometer langen Strecke durch den See muss ausgebaggert werden. An vielen Stellen wird das Basaltgestein gesprengt werden müssen. Welche Auswirkungen die Explosionen und das Aufwirbeln von Sediment auf den Lebensraum haben wird, kann niemand voraussehen. Umweltschützer rechnen mit einer Veränderung der Strömungen und des Sauerstoffgehalts, womit das sensible Ökosystem des Nicaragua-Sees kippen würde.

Eine Versalzung des Sees durch Meerwasser ist praktisch unvermeidlich. Hinzu kommt die Ansiedlung invasiver Spezies mit verheerenden Auswirkungen der lokalen Populationen des Nicaraguasees. Im Kielraum der Schiffe werden neue Arten von Fischen in den See gelangen. Das Fachmagazin „Nature“ erinnerte in einem kürzlich erschienen Artikel an die in den 80er Jahren von der damaligen sandinistischen Regierung ausgesetzten afrikanischen Buntbarsche im Nicaraguasee. Mangels natürlicher Feinde hat der Raubfisch sich schnell verbreitet und den Bestand des einzigartigen Cichlid-Fisch praktisch völlig dezimiert. Auch der seltene Süßwasserhai des Nicaragua-Sees ist gefährdet.

Der enorme Wasserverbrauch der Schleusen ist ein weiteres Problem. Nur um einen Frachter auf das Niveau des Nicaragua-Sees zu heben, sind mehrere Millionen Liter Süßwasser nötig. Diese fließen anschließend ins Meer. Laut Umweltingenieur Pedro Álvarez müsste ständig Nachschub vorhanden sein, um den Wasserpegel des Sees künstlich hoch zu halten. Das funktioniere nur, wenn der Abfluss des Sees über den Rio San Juan in den Atlantik mit dem Staudamm reguliert wird. Im Regenwald, den der Rio San Juan durchquert, „wird sich die Hydrologie vieler Flüsse und Seen verändern. Ein paar von ihnen könnten austrocknen“.

Die Bevölkerung Nicaraguas wird bis 2050 um 37 Prozent zunehmen. Auch ohne den massiven Verbrauch von Süßwasser durch die Schleusen und den durch die Schiffe verursachten Schadstoffeintrag in den Nicaragua-See ist eine Wasserknappheit abzusehen. Das Land müsse „langfristige Maßnahmen für den Schutz der Umwelt in Angriff nehmen, statt sich selbst Spekulanten zu opfern“. Das Schleusensystem wird zudem in einem erdbebengefährdetem Gebiet errichtet, was zu einem erhöhten Flutrisiko führt.

Präsident Ortega lässt sich von all dem nicht beirren und will den „Gran Canal Interoceánico“ um jeden Preis bauen. Er will das seit gut hundert Jahren bestehende Monopol des Panama-Kanals auf die Schiffspassage durch Mittelamerika durchbrechen und den jahrhundertealten Traum des Nicaragua-Kanal wahr werden lassen. „Der Tag, die Stunde ist gekommen, in der wir aufbrechen ins gelobte Land“, sagte Präsident Ortega bei einer Pressekonferenz und versprach „Wohlstand und Glück für alle Nicaraguaner“. Auf die Sorgen der Bevölkerung nimmt der Präsident keine Rücksicht und lässt die Menschen über das Großprojekt weitestgehend im Dunkeln. Das Land selbst ist zu arm, um den Kanal zu errichten, weshalb der Kanal-Beauftragte der Regierung Laureano Ortega, Sohn des Präsidenten, in Peking um Investoren warb und fündig wurde. Der Kanal wird von der eigens dafür gegründeten HK Nicaragua Canal Development Investment Corporation Limited, kurz: HKND realisiert. Der Sitz des Unternehmens ist in Hongkong und registriert ist es auf den Kaimaninseln. Hinter der HKND steckt der chinesische Geschäftsmann Wang Jing, so jedenfalls die offizielle Version.

Das Parlament von Nicaragua hat im Juni 2013 auf Drängen des Präsidenten den Kanalbau durch die HKND durchgewunken, ohne eine vorherige öffentliche Ausschreibung. Wang Jing hatte in aller Stille mit der Regierung von Nicaragua verhandelt, 2012 die HKND gegründet und hatte bereits 2013 den unterschriebenen Konzessionsvertrag in der Hand. Daran änderten auch die 32 Verfassungsklagen nichts. Alle 32 Verfassungsklagen wurden vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Das Wort des Präsidenten wiegt schwerer als jedes Gesetz.

Der Chinese Wang Jing ist Eigentümer eines Konglomerats aus knapp zwei Dutzend Unternehmen, darunter Telekommunikation, Finanzdienstleistungen und Baugewerbe. Die bisherigen Geschäftserfolge und die Kapitalsumme von Wang Jing sind überschaubar. Alleine kann er das Großprojekt nicht stemmen. Der Chinese will mit dem Börsengang der HKND Kapital einsammeln, was jedoch aufgrund der benötigten Summe von 50 Milliarden US-Dollar utopisch ist. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass im Hintergrund andere Investoren stehen. Wang soll gute Beziehungen zum chinesischen Militär haben und vieles spricht dafür, dass die Kommunistische Partei in Peking hinter dem Projekt Nicaragua-Kanal steckt.

Geopolitisch macht das für die chinesische Regierung durchaus Sinn. Was die USA vor mehr als hundert Jahren in Panama gemacht haben, wollen die Chinesen jetzt in Nicaragua erreichen. Dadurch könnten sie sich unabhängigen Zugang zu den Rohstoffen Lateinamerikas sichern. Die Pekinger Regierung ist sich dessen bewusst, dass Amerika, trotz der Rückgabe des Panama-Kanals 1999, immer noch ein Interventionsrecht vorbehalten hat. Bei einem Konflikt wäre der Weg durch die mittelamerikanische Landenge für China schnell verschlossen. Der Nicaragua-Kanal ermöglicht China einen schnellen und sicheren Zugang zum Öl in Venezuela, dem Land mit den weltweit zweitgrößten Ressourcen des schwarzen Goldes.

Das Unternehmen HKND hat völlig freie Hand beim Bau der Schifffahrtsstraße und wird den Kanal für mindestens 50 Jahre in Konzession betreiben. Danach kann eine Option für weitere 50 Jahre gezogen werden. Laut Vertrag wird die HKND zudem zwei Hochseehäfen, eine Ölpipeline, eine Eisenbahn, einen internationalen Flughafen und eine Freihandelszone errichten. Dafür dürfen alle nötigen Ressourcen zu Lande, zu Wasser und in der Luft nach Belieben genutzt werden. Über Design, Bau, Finanzierung und Betrieb darf Wang Jing ebenfalls frei entscheiden. Er kann Flüsse umleiten und sogar von der Regierung in Nicaragua verlangen, wer umgesiedelt werden muss.
Bereits im Vorfeld hat sich HKND sogar zusichern lassen von allen ökonomischen und ökologischen Folgekosten freigesprochen zu werden. Auch die für den Bau notwendigen Umweltgutachten werden nicht von unabhängigen Fachleuten erstellt, sondern von der HKND selbst. Auch hat Wang Jing das Recht auf Entschädigungszahlungen, sollten sich die Bauarbeiten wegen eines Rechtsstreits oder anzupassender nationaler Gesetze verzögern.

Westliche Diplomaten wundern sich, dass Amerika bisher Wort- und Tatenlos zusieht, während sich scheinbar die Pekinger Regierung für die nächsten hundert Jahre in deren „Hinterhof“ in Lateinamerika einnistet. Wahrscheinlich weil der Kanal nicht einmal rentabel sein wird. „Aus heutiger Sicht macht das Projekt wirtschaftlich gesehen keinen Sinn“, sagt Jean-Paul Rodrigue, Transportexperte an der Hofstra University in New York. Der Panama-Kanal wird derzeit mit einem neuen Schleusensystem umgebaut. Damit wird die Kapazität der Schiffe verdoppelt. Auch fraglich wird sein, ob der dreimal so lange Nicaragua-Kanal mit den Mautgebühren des Panama-Kanal konkurrieren kann. Es bleiben dann nur die lediglich vier Prozent der Ozeanriesen, die nicht den Panama-Kanal nutzen können. Vielleicht bleibt deshalb die USA so gelassen, weil der Nicaragua-Kanal finanziell auf Dauer untragbar ist. Wang Ling ist mit seinem Vertrag fein raus, sollte das Projekt scheitern. Den Schaden werden die Bevölkerung und die Umwelt von Nicaragua haben.

Check out our other content

Check out other tags:

Most Popular Articles