Die Diskussionen über eine mögliche Islamisierung Deutschlands, die Rekrutierung junger Männer unserer Gesellschaft des IS oder die zunehmende Zahl von Asylbewerbern mehren sich. Seit Wochen werden in großen Städten Demonstrationen gegen neue Flüchtlingsheime und gegen die Islamisierung Deutschlands abgehalten. Begründete Angst oder übertriebene Panik?
Die Proteste in Deutschland gegen neue Flüchtlingsheime und gegen Muslime nehmen zu. Demonstrierten zuvor fast ausschließlich rechte Gruppen und Hooligans zu diesen Thematiken, ist jetzt auch die bürgerliche Mitte auf der Straße. In Dresden, Berlin und Hamburg zeigen sich brave Bürger engagiert gegen die „wachsenden Probleme der Gesellschaft“ und betonen nicht rechtsradikal oder gewaltbereit zu sein. In Dresden werden seit sechs Wochen immer Montags Demonstrationen der Bürgerbewegung „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“, kurz PEGIDA, abgehalten. Laut einem Handzettel demonstrieren sie „für eine Änderung der Zuwanderungspolitik nach den Modellen von Kanada, Australien, der Schweiz oder Südafrika und eine konsequente Ausschöpfung und Durchsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Zuwanderung und Abschiebung“. Es sei auch eine Nulltoleranz-Politik gegenüber radikalreligiösen Gruppierungen und eine sofortige Abschiebung ebensolcher Mitglieder nötig. Es geht der PEGIDA um die Bewahrung und den Schutz der Identität sowie der christlich-jüdischen Abendlandkultur.
Die PEGIDA will sich von Gruppen wie HOGESA (Hooligans gegen Salafisten) abgrenzen und erklärt friedlich und gewaltfrei für ihre Sache einzustehen. „Wir sind keine Rassisten“, sind die Mitglieder nicht müde zu betonen. „Radikale Islamisten sind keine Rasse, also sind wir keine Rassisten“, verkündete Pegida-Gründer Lutz Bachmann in der vergangenen Woche. Auf den Schildern stehen dann auch Zitate vom gebürtigen Erich Kästner wie „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“, anstatt stumpfer Hetze. Die PEGIDA sei auch nicht gegen den Islam, sondern gegen die Islamisierung des Abendlandes und radikale Islamisten. Der Grat zu Nationalsozialismus und Fremdenhass ist schmal, doch die PEGIDA Mitglieder erklären das sie zwar Deutschland lieben aber gegen Sozialismus sind. Daher sind sie keine Nazis.
Die Nazi-Keule ist schnell ausgepackt, was Aufgrund der deutschen Geschichte nicht verwundert. Selbst Politiker und Prominente treten regelmäßig mit unüberlegten Äußerungen schnell in das rechte Fettnäpfchen. Alleine die mediale Diskussion um Thilo Sarrazin hat zu seinen Thesen in seinen Büchern Deutschland wochenlang gespalten. Wo fängt rechts an und was gilt noch als politisch korrekt, wenn es um Fragen zum Islam oder die Islamisierung sowie Zuwanderung in Deutschland geht? Sind die Ängste vieler Bürger berechtigt oder ist das grundlose Panik? Diese Fragen sind beinahe unmöglich zu beantworten. Den Medien kann durchaus eine Mitschuld für die derzeitige Situation gegeben werden. Nicht umsonst wird vermehrt die Frage gestellt, warum radikale Gläubige wie Pierre Vogel regelmäßig in politische Talkshows eingeladen werden und ihnen somit eine Bühne gegeben wird. Kein Wunder, dass die Angst vor dem Islam wächst, wenn solche Personen augenscheinlich als Vertreter dieser Religion präsentiert werden.
Ex-Bundespräsident Wulff sagte 2010 „Der Islam gehöre zu Deutschland“. Bundespräsident Gauck distanzierte sich von dieser Aussage, denn er könne „diesen Satz so nicht übernehmen, aber seine Intention nehme ich an. Ich hätte gesagt, die Muslime die hier leben, gehören zu Deutschland“. Viele Islam-kritiker wiederum werfen der Religion Intoleranz vor. Wenn es um den Koran und den Islam geht, sind die Befindlichkeiten groß. Dies spürte zuletzt der Kabarettist und Comedian Dieter Nuhr, auf den sowohl viel Zustimmung als auch harsche Kritik niederregnete, weil er den Islam durch den Kakao gezogen hat, wie übrigens die Bibel auch, jedoch ohne ein Einhergehen von überkochenden Emotionen.
Islam, Islamisierung und Zuwanderung ist zu einem riesen Thema geworden, das durch alle gesellschaftlichen Schichten geht. Im noblen Hamburger Stadtteil Harvestehude, in dem überwiegend alteingesessene Bürger, Ärzte, Anwälte, Geschäftsleute und Menschen aus der Medienbranche leben und Neubauten pro Quadratmeter 6.000 Euro kosten, wird protestiert. Neben den Villen soll das Kreiswehrersatzamt für fünf Millionen Euro zu einem neuen Flüchtlingsheim umgebaut werden. Mehrere Anwohner halten die Unterbringung in dem „geschützten Wohngebiet“ für rechtswidrig und haben Klage einegereicht. Auf Bürgerversammlungen kochte die Stimmung hoch. Die Anwohner sind besorgt wegen einem möglichen Wertverlust ihrer Immobilien und befürchten steigende Kriminalität.
Einige zeigten sich besorgt, dass die Flüchtlinge Hunger leiden könnten, denn es gebe da keinen Penny oder Lidl. Ist das nun Fremdenhass, Kabarett oder begründete Sorge. „Nichts gegen Flüchtlinge, aber man muss nicht unbedingt die Gegend nehmen“, sagte ein Anwohner gegenüber SPIEGEL TV. Das genaue Gegenteil zu Harvestehude ist der Berliner Stadtteil Marzahn. Die Mieten sind niedrig, die Arbeitslosenquote hoch, aber man ist sich mit den Hamburgern in einem Punkt einig. „Asylanten gehören einfach nicht hierher“. Auch hier wurde gegen die Errichtung von Containern protestiert, die Flüchtlinge aufnehmen sollen.
Die in einem Buch veröffentlichte Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt auf wie es um Toleranz und Offenheit in Deutschland steht. Fast jeder zweite Deutsche äußert sich abfällig über Asylsuchende und vertritt die Meinung, dass Flüchtlinge ihre Notlage überwiegend vortäuschen, um Sozialleistungen zu erschleichen. Die Thematik der Zuwanderung und der wachsenden Angst vor dem Islam wird noch größer werden. Von Januar bis Juli 2014 haben 97.093 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, was 62 Prozent mehr als im Vorjahr des gleichen Zeitraumes waren. Für das gesamte Jahr wird mit 200.000 Asylbewerbern gerechnet. Allein in Nordrhein-Westfalen werden es schätzungsweise 37.000 sein nach 15.000 aus dem Jahr 2012.