Die Konzentration von Pflanzenschutzmitteln ist in vielen deutschen Gewässern höher als von den Behörden zugelassen. Die Artenvielfalt ist gefährdet und oftmals ist der Schaden längst angerichtet. Eine neue Studie aus Koblenz kommt zu überraschenden Ergebnissen. Im weltweiten Vergleich sind die Gewässer in Deutschland trotz restriktiver Umweltgesetzte nicht weniger Verunreinigt.
Eine neue Studie der der Universität Koblenz-Landau zeigt den Zustand und die Kontamination deutscher Bäche, Teiche, Flüsse und Seen durch Pflanzenschutzmittel. Im Ergebnis zeigt sich, dass in vielen deutschen Gewässern die Konzentration von Pflanzenschutzmitteln oftmals höher als von den Behörden zugelassen ist. Global betrachtet ist die Lage ähnlich. „Es ist in Deutschland ähnlich wie überall“, erklärt Mitautor Ralf Schulz vom Institut für Umweltwissenschaften. Dass es zwischen Ländern mit strengen Umweltgesetzen und Ländern mit weniger Restriktiven Auflagen kaum Unterschiede gibt überraschen indes.
Schulz und sein Kollege Sebastian Stehle werteten 838 Studien aus 73 Ländern aus und präsentierten ihre Ergebnisse in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Die beiden Landauer erfassten 11.300 Proben, in denen für Kleinkrebse und Insekten giftige Stoffe enthalten waren. In mehr als der Hälfte war die Konzentration höher als erlaubt, was nach Ansicht der Forscher eine große Bedrohung für die Artenvielfalt darstellt. Aus der Studie ging auch hervor, dass bereits beträchtliche Schäden verursacht wurden. Die beiden Forscher stützen sich da auf wissenschaftliche Artikel aus den Jahren 1962 bis 2012, wobei sich zudem zeigt, dass neuere Stoffe bedenklicher sind als ältere.
Laut Ralf Schulz lässt die Studie nur ahnen, wie das wahre Bild aussieht. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich weitaus höher. Weltweit liegen gerade mal rund Daten für zehn Prozent der Gewässer vor. „Auch in hoch belasteten Gewässern findet man nur an wenigen Tagen im Jahr Insektizide, weil sie sehr schnell abgebaut oder im Fall von Fließgewässern abtransportiert werden. Aber bei hohen Konzentrationen reicht eine kurze Zeit, um alle Insekten im Gewässer zu töten“, so Schulz. Die Ursache könnte auf eine fehlerhafte Anwendung der Insektizide und Fehler bei der Zulassung der Stoffe zurückzuführen sein. Die Einschätzung der Höchstkonzentrationen sei bei der Markteinführung nicht realistisch eingeschätzt.
Auch Jörn Wogram vom Umweltbundesamt (UBA) findet die Ergebnisse der Studie alarmierend. Für ihn liegt die Vermutung nahe, dass Landwirte nicht unbedingt die Bestimmungen beim Pestizideinsatz einhalten. Außerdem würden für ein Gesamtbild des Problems weitere Daten benötigt. Gewässer mit einem Einzugsgebiet von weniger als zehn Quadratkilometer würden unzureichend überwacht. Dabei gehören sie zum größten Teil der Fließgewässer. Zudem liegen Tümpel und Bäche meist viel näher an landwirtschaftlichen Flächen, somit weit mehr den Pestiziden ausgesetzt. Hier setzt das Umweltbundesamt an und führt eine Vorstudie zum Monitoring kleinerer Gewässer durch. Schon 2018 könnten bei planmäßigem Verlauf erste aussagekräftige Daten vorliegen.
Aber auch bei der Untersuchung großer Gewässer besteht Potenzial zur Verbesserung des Monitorings. Anstatt gezielt Proben zu nehmen, würde nach einem starren Muster vorgegangen, kritisiert Wogram. Daher sei es schwer nachzuweisen, ob eventuell nur kurzfristig Grenzwerte überschritten wurden. Genauere Daten würden sich ergeben, würde das Wasser untersucht, wenn die Bauern die angrenzenden Felder besprühen beziehungsweise wenn Niederschläge die Pestizide von den Feldern spülen.
Auch wenn die Datenlage in Zukunft mal eindeutig ist und das ganze umweltschädliche Ausmaß der Pestizideinsätze sich offenbart, besteht das Problem der Pestizideinsätze weiterhin. Nicht nur in Deutschland, auch weltweit ist der Pestizideinsatz weiterhin enorm. Deutschland gehört mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu den weltgrößten Herstellern von Pestiziden. 75 Prozent der in Deutschland produzierten Pestizide von 9.000 Tonnen werden exportiert, was im Umkehrschluss bedeutet, dass 2.250 Tonnen Pflanzenschutzmittel in Deutschland eingesetzt werden. Umgerechnet kommt auf ein Kilogramm geerntetes Getreide rund ein Gramm Pestizid. Neben der Landwirtschaft ist die Deutsche Bahn AG ein großer Anwender von Pestiziden. Die Deutsche Bahn setzt sogenannte Totalherbizide ein, die alle Pflanzen abtöten. Damit sollen die Gleise und Bahnhöfe von jeglichem Pflanzenbewuchs freigehalten werden.
Eine Abkehr vom weltweiten enormen Pestizideinsatz ist nicht in Sicht. Monsanto brachte 1996 die gentechnisch veränderten RoundUp-Ready-Sojabohnen auf den Markt, die schnell von den Landwirten in den USA und in anderen Ländern gepflanzt wurden. Diese Sojabohnen waren gegen das Herbizid Glyphosat (RoundUp) resistent, und so konnte das ganze Feld damit besprüht werden, und nur die Sojabohne überlebte. Heute sind rund 75 Prozent aller Sojabohnen gentechnisch verändert. Alle großen Pestizidhersteller entwickeln ebenfalls Saatgut, welches gentechnisch gegen das eigene produzierte Pestizid resistent ist. Nicht nur das Saatgut ist resistent, denn die Industrie hat die Natur unterschätzt. Schon 2002 waren gewisse Arten von Unkraut in den USA gegen RoundUp resistent. Heute hat sich das Problem mit den „Superunkräutern“ vervielfacht. Millionen Hektar von Anbauflächen in den USA, Argentinien und Brasilien sind mit den „Superunkräutern“ verseucht. Die Landwirte setzen also zusätzliche Pestizide ein, was dazu führte, dass einige Pflanzenarten Mehrfachresistenzen entwickelten. Im US-Bundesstaat Illinois gibt es nun Unkraut, das gegen fünf Herbizide resistent ist.
Die Lösung der Pestizidindustrie ist keine Abkehr von einem anscheinend falschen System, sondern eine Steigerung derselben, bereits eingesetzten, Mittel. Dow AgroScience verkauft neue Mais- und Sojasorten, die gegen RoundUp und 2.4 D resistent sind, und Bayer CropScience entwickelt Pflanzen, die drei Herbizide überleben. In Argentinien wurde eine Maissorte von Pioneer zugelassen, die gleich einer ganzen Gruppe von Pestiziden gewachsen ist. Andere Länder gehen wieder zurück zum Einsatz von Syngentas hochgiftigem Paraquat, um das Unkraut zu besiegen. Viele amerikanische Landwirte haben aufgrund der Monopolisierung des Saatgutmarktes sowieso keine andere Wahl, als das gentechnisch veränderte Saatgut zu kaufen und mit einer Tankmischung unterschiedlichster Pestizide ihre Felder zu besprühen. Natürlich führt auch das wieder zu noch stärker resistentem Unkraut.
Die Studie der beiden Forscher Ralf Schulz und Sebastian Stehle ist schon Besorgnis erregend. Die weltweite Tendenz von immer mehr und immer wirkungsvolleren Pestiziden auf den Feldern, um die immer größeren Resistenzen zu bekämpfen, macht die Sorgen nur größer. Einer wirklichen Lösung zum Schutz der Gewässer ist man nicht näher gekommen. Schulz betonte, dass trotz der Ergebnisse der Studie für die Menschen in Deutschland keine direkte Gefahr bestehe, denn das Trinkwasser sei gut überwacht. Aber hinsichtlich der wahrscheinlich höheren Dunkelziffer, den bisher nicht erfassten kleinen Gewässern und dem unveränderten Umgang mit Pestiziden sollte die Gefahr nicht ausgeschlossen werden.