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Pestizideinsatz weiterhin enorm

Im FocusPestizideinsatz weiterhin enorm

Hochgiftige Pestizide im weltweiten Einsatz

Wird von Pestiziden, Biosiden oder Pflanzenschutzmitteln gesprochen, handelt es sich in der Regel um toxische Chemikalien, die Unkraut, Pilze oder Insekten abtöten sollen. In der heutigen intensiven Landwirtschaft wird durch den Einsatz von Pestiziden der Ertrag gesteigert. Nicht alle Pflanzenschutzmittel sind biologisch abbaubar. Viele der rund 600 eingetragenen Pestizide arbeiten auf toxikologischer Basis, wie Atrazin, Lindan, Simazin oder Trianzine. Zwar belegen Studien, dass mittlerweile die Hälfte der Landwirtschaftsbetriebe auf Pestizide verzichtet, doch die andere Hälfte reicht völlig aus, um eine ernsthafte Gefährdung für Mensch und Umwelt darzustellen. Auch bei sachgemäßer Anwendung gelangen die toxischen Stoffe in das Grundwasser und schließlich ins Trinkwasser. Diverse physikalische, chemische und biologische Prozesse sind verantwortlich für die Belastung des Grundwassers mit Pestiziden oder deren Abbauprodukte (Metaboliten). Neben den spezifischen Eigenschaften der Pestizide kommen je nach Region die Faktoren des Untergrunds, wie hydrogeologische Eigenschaften, hinzu.

Weder Pestizide noch Metabolite gehören ins Grund- oder Trinkwasser. Vor allem die Abbauprodukte sind oftmals persistenter, toxischer und grundwassergängiger als das ursprüngliche Pflanzenschutzmittel. Im Gegensatz zur Mineral- und Tafelwasserverordnung hat die Trinkwasserverordnung in Anlage 2 Teil I Nummern 10 und 11 zu § 6 Abs. 2 Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte festgesetzt. Für Einzelsubstanzen gilt ein Maximalwert von auf 0,1 µg/l und für die Gesamtbelastung aller Pflanzenschutzmittel 0,5 µg/l. Zum Tragen kommt zusätzlich das Minimierungsgebot nach § 6 Abs. 3 der Trinkwasserverordnung. Danach soll die Konzentration von chemischen Stoffen, die das Wasser für den menschlichen Gebrauch verunreinigen, gering gehalten werden, soweit es nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik mit vertretbarem Aufwand unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles möglich ist.

So gut die gesetzten Grenzwerte auch sind, gibt es dennoch ein wesentliches Detail, welches eine Ausnahme der Belastung durch Metabolite beinhaltet. Bei den Abbauprodukten von Pestiziden wird in „relevante Metaboliten“ und „nicht relevante Metaboliten“ unterschieden. Relevante Metaboliten weisen hinsichtlich ihrer pestiziden Wirkung gleiche bzw. ähnliche Eigenschaften aus wie das ursprüngliche Pflanzenschutzmittel. Daher bilden sie aufgrund ihrer giftigen Eigenschaften eine Gefährdung für das Grundwasser, andere Ökosysteme sowie für Mensch und Tier. Für diese Metaboliten gelten, wie für das ursprüngliche Pflanzenschutzmittel, der Grenzwert von 0,1 µg/l für die Einzelsubstanz und 0,5 µg/l für die Gesamtbelastung. Die nicht relevanten Metaboliten gelten nicht mehr als gefährlich, da sie eine geringe Toxizität aufweisen. Daher fallen sie nicht unter die Grenzwertregelung aus der Trinkwasserverordnung. Es gibt lediglich eine Empfehlung des Umweltbundesamtes, jedoch keine rechtsverbindlichen Grenzwerte. Das Umweltbundesamt und das Bundesinstitut für Risikobewertung haben zudem eine Liste für eine Vielzahl der nicht relevanten Metaboliten mit Orientierungswerten herausgegeben. Welche Gefahr nicht relevante Metaboliten für den Menschen darstellen, ist wissenschaftlich nicht gesichert, dennoch gibt es bisher nur Orientierungswerte und keine Grenzwerte.
Aber letztendlich geben selbst Grenzwerte keine Sicherheit, denn heute noch werden vereinzelt längst verbotene Pestizide im Oberflächen- und Grundwasser in nicht unerheblicher Konzentration nachgewiesen. Zwei sehr bekannte und extrem toxische Vertreter von Pflanzenschutzmitteln, die in Deutschland längst nicht mehr verwendet werden, sind DDT und Atrazin. Trotzdem finden Wissenschaftler vereinzelt beide Substanzen als Bestandteile eines Pestizidcocktails im Oberflächen- und Grundwasser, das zur Trinkwassergewinnung genutzt wird.

BWIZ pestizideDeutschland gehört mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu den weltgrößten Herstellern von Pestiziden. 75 Prozent der in Deutschland produzierten Pestizide von 9.000 Tonnen werden exportiert, was im Umkehrschluss bedeutet, dass 2.250 Tonnen Pflanzenschutzmittel in Deutschland eingesetzt werden. Umgerechnet kommt auf ein Kilogramm geerntetes Getreide rund ein Gramm Pestizid. Neben der Landwirtschaft ist die Deutsche Bahn AG ein großer Anwender von Pestiziden. Die Deutsche Bahn setzt sogenannte Totalherbizide ein, die alle Pflanzen abtöten. Damit sollen die Gleise und Bahnhöfe von jeglichem Pflanzenbewuchs freigehalten werden.

Bis Ende der achtziger Jahre wurden mit Spritzzügen Hunderte von Tonnen Atrazin und Bromacil versprüht, selbst in Regionen, die heute als Wasserschutzgebiete ausgewiesen sind. Erst als Schadensfälle bekannt wurden, stellte die Deutsche Bahn auf die Sorten Diuron und Glysofat um, die auch in Wasserschutzgebieten eingesetzt werden dürfen. Im Gegensatz zur Landwirtschaft versickern die toxischen Stoffe wegen des Schotters im Gleisbett sehr schnell in den Untergrund und binden sich an Bodenpartikel, was den Abbau verhindert. Die in der Landwirtschaft verbrachten Pestizide reichern sich ebenfalls am Ende im Boden ab und gelangen über vielfältige Wege in die Umwelt. Je nach Ausbringung und Flüchtigkeit verdampfen die Pestizide oder werden durch den Regen in Bäche und Flüsse geschwemmt. Schwerstarbeit wartet auf die Wasserwerksbetreiber bei Regentagen kurz nach Ausbringen der Pestizide im Frühjahr und Herbst. In diesen Zeiten erreichen die Werte in Fluss- und Talsperrenwasser auch mal 10,0 µg/l, was das Hundertfache des Grenzwertes für Trinkwasser ist. Im Herbst ist der Pestizideinsatz noch schlimmer, da nach dem Sommer besonders die lehmigen Böden Risse bilden und die Giftstoffe noch leichter ins Grundwasser gelangen. Ein kompletter Grundwasseraustausch dauert viele Jahre bis Jahrzehnte, weshalb auch die bereits verbotenen hochgiftigen Pestizide noch immer nachgewiesen werden können. Technisch wäre eine aufwendigere Trinkwasseraufbereitung durchaus möglich, scheitert aber letztlich an den Kosten.

Wesentlich schlimmer ist der der Umgang mit Pestiziden in den südlichen Ländern der Erde. Wurde DDT bereits in vielen Industrieländern in den siebziger Jahren verboten, folgte das weltweite Verbot erst 2004 mit der Stockholm-Konvention. Dies zeigt, wie stark die Lobby der Pestizidindustrie ist und dass extrem gefährliche Pestizide viel zu lange im Handel sind. In Asien und Afrika werden noch immer Pestizide von den Herstellern aus Deutschland, USA und Schweiz eingesetzt, die bei uns verboten sind. So sind Lindan oder Endosulfan in vielen Ländern außerhalb Europa immer noch erlaubt. Millionen von akuten Vergiftungen und chronische Gesundheitsschäden bei den Anwendern sowie Umweltzerstörung durch hormonschädigende Stoffe, Zerstörung der Ozonschicht, Verseuchung des Grundwassers und Bienensterben sind die Folgen des heutigen weltweiten Pestizideinsatzes.

BWI apfelWie viele Menschen jährlich akute Vergiftungen erleiden, ist schwer zu erfassen, da die Mehrheit der Vergiftungen in Entwicklungsländern passiert. Die WHO schätzte zu Beginn der neunziger Jahre die Zahl von schweren Vergiftungen auf eine Million. Chronische Folgeschäden wie Krebs oder Parkinson sind nicht mit eingerechnet. Die jährliche Zahl der Todesfälle schätzte die WHO auf 20.000 Menschen. Die Dunkelziffer liegt aber wahrscheinlich in allen Fällen höher. Besonders langlebige Stoffe sind ein globales Problem. Im September 2011 berichteten Wissenschaftler von einem vier Monate alten Mädchen, welches bereits die Menstruation und entwickelte Brüste hatte. Im Blutplasma des Mädchens wurden Spuren von DDT, Lindan und Endosulfan gefunden. Diese hormonell wirkenden Pestizide werden für die frühzeitige sexuelle Entwicklung des Mädchens als Ursache in Betracht gezogen. Die drei Pestizide sind in Europa zwar verboten, doch da sie zu den langlebigen organischen Schadstoffen zählen, sogenannte POPs (persistent organic pollutants), zersetzen sich die Chemikalien sehr langsam. Dadurch reichern sie sich im Fettgewebe in der Nahrungskette an und aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften können sie weite Strecken in der Atmosphäre zurücklegen. Sie breiten sich praktisch über die ganze Erde aus.

Eigentlich ist es unmöglich, sich den Giften zu entziehen. Mineralwasser, Trinkwasser und Nahrung sind betroffen. Im Oktober 2009 gab das Verbraucherministerium in Baden-Württemberg eine Warnung für den Verzehr von türkischen Birnen aus. Alle untersuchten Proben enthielten eine so hohe Konzentration von Amitraz, dass eine Gefährdung für den Menschen nicht ausgeschlossen werden konnte. 2010 gab es 284 Meldungen der europäischen Gemeinschaft über potenziell gefährliche Pestizidkonzentrationen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies nur ein Bruchteil ist, da nicht jedes staatliche Labor in der EU in der Lage ist, alle Pestizide zu entdecken. In vielen Ländern werden aus Kostengründen nur wenige Analysen durchgeführt. Ein Großteil der 350 in den Lebensmitteln entdeckten Pestizide steht im Verdacht, Krebs zu erzeugen, das Hormonsystem zu beeinflussen oder das Erbgut zu schädigen.

Die beiden von Syngenta vertriebenen Fungizide Cyprodinil und Fludioxonil kamen 2009 und 2010 in 60 verschiedenen Obst- und Gemüsesorten vor. Rückstände des von BASF 2002 vermarkteten Fungizids Boscalid werden heute am häufigsten in Obst und Gemüse nachgewiesen. Die US-Umweltbehörde stuft es als ein mögliches „Karzinogen“, also krebserregend, ein. Obwohl es, genau wie bei der Trinkwasserverordnung, Höchstwerte für Nahrungsmittel gibt, sind die Langzeitfolgen ungewiss. Die Risikobewertung erfolgt nach veralteten Annahmen und Daten. Außerdem werden Stoffe nur vereinzelt bewertet, obwohl in manchen Lebensmittelproben über 20 verschiedene Pestizide gefunden wurden.

Eine Abkehr vom weltweiten enormen Pestizideinsatz ist nicht in Sicht. Monsanto brachte 1996 die gentechnisch veränderten RoundUp-Ready-Sojabohnen auf den Markt, die schnell von den Landwirten in den USA und in anderen Ländern gepflanzt wurden. Diese Sojabohnen waren gegen das Herbizid Glyphosat (RoundUp) resistent, und so konnte das ganze Feld damit besprüht werden, und nur die Sojabohne überlebte. Heute sind rund 75 Prozent aller Sojabohnen gentechnisch verändert. Alle großen Pestizidhersteller entwickeln auch Saatgut, welches gentechnisch gegen das eigene Pestizid resistent ist. Aber nicht nur das Saatgut ist resistent, denn da hat die Industrie die Natur unterschätzt. Schon 2002 waren gewisse Arten von Unkraut in den USA gegen RoundUp resistent. Heute hat sich das Problem mit den „Superunkräutern“ vervielfacht. Millionen Hektar von Anbauflächen in den USA, Argentinien und Brasilien sind mit den „Superunkräutern“ verseucht. Die Landwirte setzen also zusätzliche Pestizide ein, was dazu führte, dass einige Pflanzenarten Mehrfachresistenzen entwickelten. Im US-Bundesstaat Illinois gibt es nun Unkraut, das gegen fünf Herbizide resistent ist.

Die Lösung der Pestizidindustrie ist keine Abkehr von einem anscheinend falschen System, sondern eine Steigerung derselben Mittel. Dow AgroScience verkauft neue Mais- und Sojasorten, die gegen RoundUp und 2.4 D resistent sind, und Bayer CropScience entwickelt Pflanzen, die drei Herbizide überleben. In Argentinien wurde eine Maissorte von Pioneer zugelassen, die gleich einer ganzen Gruppe von Pestiziden gewachsen ist. Andere Länder gehen wieder zurück zum Einsatz von Syngentas hochgiftigem Paraquat, um das Unkraut zu besiegen. Die Pestizidindustrie freut sich, sprudeln doch die Gewinne. Viele amerikanische Landwirte haben aufgrund der Monopolisierung des Saatgutmarktes sowieso keine andere Wahl, als das gentechnisch veränderte Saatgut zu kaufen und mit einer Tankmischung unterschiedlichster Pestizide ihre Felder zu besprühen. Natürlich führt auch das wieder zu noch stärker resistentem Unkraut, denn die Natur lässt sich so nicht besiegen. Dabei ist die Lösung einfach. Die richtige Unkrautkontrolle gelingt mit der Abkehr von der Monokultur der Felder und einer Fruchtfolge, denn mit dem Wechsel der angebauten Nutzpflanzen wird das Aufkommen von Unkräutern im Vorhinein unterbunden. Eine solche Veränderung der Landwirtschaft führt zu gesünderer Umwelt, gesünderen Lebensmitteln, saubererem Wasser und somit einem gesünderen Leben.

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