Bolivien steckt in einer ernsthaften Wasserkrise. Wegen der Dürre hat Staatspräsident Evo Morales den Notstand ausgerufen. Die Stauseen sind fast leer und zwei große Seen des Landes sind völlig ausgetrocknet. In einigen Teilen kommt es zu handfesten Protesten der Bevölkerung und Geiselnahme von Politikern. Ein Land im Ausnahmezustand wegen Wassermangel.
Am Montag hat Staatspräsident Evo Morales den Notstand ausgerufen. Das Kabinett hat ein Dekret verabschiedet mit dem es möglich ist in vielen Regionen angesichts des Wassermangels den nationalen Notstand auszurufen. Dadurch können Kommunen und Staat Hilfsgelder freigeben, um das „Menschenrecht auf Zugang zu Wasser“ zu gewährleisten. „Ich appelliere an die Bevölkerung, sorgsam mit dem Wasser umzugehen“, erklärte Morales. Er setzte zudem den Direktor der Nationalen Wasserbehörde und den Vorsitzenden der staatlichen Wasserversorgung von La Paz mit der Begründung ab, sie hätten nicht rechtzeitig auf die sinkenden Wasserpegel der Stauseen reagiert.
Laut Morales ist dieses Jahr das heißeste seit einem Jahrhundert. In den letzten zwei Wochen war die Dürre so stark, dass sie zu Wasserknappheit in sieben der 10 größten Städte des Landes führte. Die Dauer der Trockenperiode ist die längste seit einem Vierteljahrhundert. Der staatliche Wasserversorger Epsas rationiert das Trinkwasser streng, auch in der Hauptstadt La Paz. Etliche Gebiete müssen bereits mit Tankwagen versorgt werden. Die 400.000 Einwohner in La Paz bekommen täglich für zwei bis drei Stunden pro Tag Wasser aus der Leitung. Wie Epsas ankündigte wird die Rationierung noch zunehmen, da die Meteorologen eine Abkühlung oder Niederschläge weitestgehend ausschließen. Laut Nachrichtenagentur ABI werden die Bewohner von La Paz in der nächsten Woche mit täglich drei Millionen Liter Wasser durch Tankwagen versorgt.
Die Wasserreserven des Landes sind weit über das Limit hinaus. Der Wasserspiegel der drei Stauseen um die Hauptstadt liegt bei acht Prozent ihrer Kapazität. Die Angst der Bewohner steigt und es kommt vielerorts zu Protesten, wie schon in der Hauptstadt seit Tagen zu sehen. In der Nachbarstadt El Alto wurden Regierungsmitglieder von Nachbarschaftsinitiativen als Geiseln genommen. In ländlichen Gebieten stehen die Landwirte vor den Trümmern ihrer Existenz und protestieren ebenfalls. Kein Wasser für die Felder ist der Ruin ganzer Familien und Dörfer. In Cochabamba haben Demonstranten Straßenblockaden errichtet. „Wasser und Gesundheit statt Paläste und Atomenergie“ ist unter anderem auf Schildern zu lesen. Die Menschen geben der Regierung eine große Mitschuld an der Situation.
Der Präsident macht das Wetterphänomen „El Niño“ und den Klimawandel für die schlimmste Dürre seit 25 Jahren verantwortlich. Bolivien gehört zu den 10 am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten. Selbst ist Bolivien nur für 0,35 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich (Europäische Union 12 Prozent). Ausgerechnet im Hochland, wo etwa 50 Prozent der Bevölkerung leben, sind die Auswirkungen des Klimawandels besonders ausgeprägt.
Die aktuelle Situation in Bolivien war jedoch schon lange abzusehen. Spätestens mit der Austrocknung des zweitgrößten Sees des Landes, dem Poopó, vor einem Jahr hätte die Regierung massiv reagieren müssen. Seit letztem Monat ist der Poopó auch offiziell als ausgetrocknet erklärt. Er trocknete auch in der Vergangenheit immer mal wieder aus, aber regenerierte sich auch wieder. Doch dieses Mal ist eine Regeneration nach Meinung von Wissenschaftlern beinahe ausgeschlossen. Es müsste schon an ein Wunder Grenzen, wenn statt einer Dürrelandschaft wieder ein See zu sehen sein sollte.
„Das liefert ein Bild von der Zukunft des Klimawandels“, erklärt Dirk Hoffmann, ein deutscher Forscher am Bolivian Mountain Institute. Der Forscher untersucht den Zusammenhang des Abschmelzen der Andengletscher und den Temperaturanstieg. In einer Höhe von 3700 Metern liegt auch der Poopó bzw. wo der See einst lag.
Nach Angaben der Nicht-Regierungs-Organisation Oxfam hat sich das Volumen der Gletscher innerhalb 30 Jahre um 40 Prozent verringert. Mit dem Schwinden der Gletscher verliert der See seine Regenerationsquelle. Neben dem Klimawandel kommt das Wetterphänomen El Niño hinzu, welches für eine lange und heiße Dürre sorgt. Ein weiterer Faktor ist menschengemacht. Die Umleitung von Wasser für den Bergbau aus den natürlichen Zuläufen des Sees führte zur Austrocknung.
Dieser langfristige Trend aus Klimaerwärmung und Trockenheit bedrohe das ganze Andenhochland, wie der Biologe Mark Bush vom Florida Institute of Technology erklärt. Bereits 2010 hat der Biologe an einer Studie mitgewirkt, die davon ausging, dass die Hauptstadt La Paz von einer katastrophalen Trockenheit heimgesucht wird, die mit einer Wasser- und Lebensmittelknappheit für die drei Millionen Einwohner einhergeht. Auch eine Studie der bolivianischen Regierung kam 2013 zum Schluss, dass dem Poopó etwa 160 Milliarden Liter Wasser fehlten, um seinen Wasserstand zu halten. „Es könnte zu irreversiblen Veränderungen im Ökosystem kommen, die massive Wanderungsbewegungen und größte Konflikte auslösen“, ist der Studie zu entnehmen. Warum wurde nicht rechtzeitig gehandelt?
Die Regierung muss sich jetzt nicht über die Vorwürfe der Bevölkerung wundern, wie etwa von einer örtlichen Bürgerinitiative, dass sie die Hinweise auf die Austrocknung ignoriert haben. „Man hätte etwas tun können, um die Katastrophe zu verhindern. Die Bergbauunternehmen leiten seit 1982 Wasser um“, sagt deren Vorsitzender Ángel Flores. Präsident Morales spielt die aktuelle Situation herunter und verwies auf eine Anekdote seines Vaters. „Mein Vater hat mir erzählt, er habe den trockenen See schon einmal auf einem Fahrrad überquert“, so Morales im vergangenen Monat. Er geht davon aus, dass sich der See auch diesmal wieder erholt.
Umweltschützer und Organisationen kritisieren dennoch das Handeln der Regierung. Das Management der Wasserressourcen war katastrophal und auch die Umweltverschmutzung durch den Bergbau wurde völlig ignoriert. Die über 100 Minen leiten ihre Abwässer ungeklärt in die Zuflüsse des Poopó. 2014 verendeten beispielsweise Tausende Fische. Die Technische Universität in Oruro untersuchte das Wasser und wies hohe Konzentrationen von Schwermetallen wie Cadmium und Blei nach. Die Beschwichtigung des Präsidenten des Bergbauverbands, Saturino Ramos, klingt dann auch wie blanker Hohn. Seiner Meinung nach sind die Verschmutzungen durch den Bergbau „unbedeutend im Vergleich zum Klimawandel“.
Die bolivianische Regierung bittet die EU um Hilfe in Höhe von 130 Millionen Euro für Wasseraufbereitungsanlagen. Zudem will die Regierung Zuflüsse ausbaggern, wie den Desaguadero, der vom Titicaca-See gespeist wird. Für viele kommen die Maßnahmen zu spät und bezweifeln eine Regeneration des ehemals zweitgrößten Sees des Andenstaates. „Ich glaube nicht, dass wir den blauen Wasserspiegel des Poopó wiedersehen werden. Ich glaube, wir haben ihn verloren“, sagt Milton Perez, Wissenschaftler an der Technischen Universität.