Justicia-Sonne-im-Hintergrund

Die Bundesregierung hat das bundesweite Nitratproblem lange nicht ernst genommen. Seit Jahren drohte die EU mit Klage beim Europäischen Gerichtshof, sollte die Bundesregierung nicht effektive Maßnahmen umsetzen. Nach wie vor sind an vielen Messstellen die Grenzwerte von Nitrat deutlich überschritten. Jetzt wird es teuer für Deutschland.

Eine Klage der EU-Kommission kommt nicht von heute auf morgen. Bevor die EU ihr letztes Mittel ausspielt, müssen verschiedene Instanzen durchlaufen werden. Die Bundesregierung hatte viel Zeit eine Novellierung der Düngeverordnung umzusetzen, doch nichts passierte. Auch andere vorgeschlagene Maßnahmen wurden ignoriert. Jetzt wird Deutschland dafür die Zeche zahlen müssen.

Ende April hat die Europäische Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik wegen der anhaltenden Verunreinigung der deutschen Gewässer durch Nitrat eingereicht. Die Klage stützt sich auf die von der Bundesrepublik übersandten Daten aus dem Jahr 2012 sowie mehrerer Berichte deutscher Behörden aus jüngster Zeit. Diese sprechen für sich, denn die Nitratbelastung deutscher Gewässer, des Grundwassers und der Ostsee nimmt zu. Im Meer fördern die Nitrate das Algenwachstum, die beim Absterben dem Wasser Sauerstoff entziehen. Andere Lebewesen ersticken, und es bilden sich sogenannte „tote Zonen“, wie sie in der Ostsee vorkommen.

Die Bundesregierung hat nicht nur ihre selbst gesteckten Ziele verfehlt, sondern auch die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie für die Küstengewässer nicht erfüllt, die Ziele der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der Nord- und Ostsee nicht erreicht, ganz zu schweigen von den Vorgaben der Grundwasserrichtlinie und Nitratrichtlinie.

„Die Nitratrichtlinie, die die EU-Staaten im Jahr 1991 beschlossen haben, hat zum Ziel, die Wasserqualität in Europa zu verbessern, indem die Verunreinigung von Grund- und Oberflächenwasser durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verhindert und der Einsatz beispielhafter landwirtschaftlicher Verfahren gefördert wird. Alle EU-Länder müssen ihre Gewässer überwachen und jene bestimmen, die durch Verschmutzung bedroht sind. Des Weiteren müssen sie Aktionsprogramme aufstellen, um Nitrat-Verunreinigungen zu verhindern und zu verringern. In Deutschland ist die Düngeverordnung der wesentliche Bestandteil des nationalen Aktionsprogramms zur Umsetzung der Richtlinie“, ist auf der Webseite der EU zu entnehmen.

Alle Instanzen des Vertragsverletzungsverfahrens sind jetzt durch. Das letzte Mittel der EU ist die Klage. „In Vertragsverletzungsverfahren können die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten Verstöße eines Mitgliedstaates gegen das EU-Recht geltend machen. Es besteht aus drei Stufen. Wenn die Kommission vermutet, dass europäisches Recht nicht fristgemäß, unvollständig oder überhaupt nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, sendet sie im Vorverfahren zunächst ein Fristsetzungsschreiben/Mahnschreiben, in dem sie einen Mitgliedstaat auffordert, innerhalb einer bestimmten Frist zu einem aufgetretenen Problem der Anwendung des Unionsrechts Stellung zu nehmen. Die zweite Stufe ist die mit Gründen versehene Stellungnahme. Hier wird der Mitgliedstaat aufgefordert, den Verstoß innerhalb einer bestimmten Frist abzustellen. Kommt der Mitgliedstaat dem nicht nach, kann die Kommission ein gerichtliches Verfahren vor dem EuGH einleiten. Wenn der Gerichtshof eine Vertragsverletzung feststellt, kann er z.B. ein Zwangsgeld oder andere Strafzahlungen verhängen“, teilte die EU-Kommission mit. Kommt es zu einer Verurteilung, muss Deutschland mit einer Geldstrafe rechnen, die sich nach Dauer und Schwere des Verstoßes sowie der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Staates richtet. „Wertvolle Zeit ist ungenutzt ins Land gegangen mit dem Ergebnis, dass uns nun Strafzahlungen von rund einer viertel Million Euro pro Tag drohen“, erklärt der SPD-Abgeordnete Wilhelm Priesmeier.

Bereits am 18. Oktober 2013 hatte die EU-Kommission Deutschland als erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens ein Fristsetzungsschreiben zustellen lassen. Da Deutschland trotzdem keine effektiven Maßnahmen einleitete, hat die EU-Kommission auf Empfehlung des EU-Umweltkommissars Janez Potočnik im Juli 2014 die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet sowie eine mit Gründen versehene Stellungnahme übersandt. Deutschland musste der EU darlegen, wie die Nitratproblematik angegangen werden wird. Sollte die Bundesrepublik nicht darauf reagieren, könnte die EU-Kommission nach Ablauf von zwei Monaten eine Klage einreichen. Deutschland spielte auf Zeit, doch die ist nach Ansicht der EU-Kommission nun abgelaufen. Die EU-Kommission vertritt die Auffassung, dass die Bundesrepublik die Verunreinigung von Nitrat aller Gewässer selbst im Rahmen der aktuellen Überarbeitung des nationalen Aktionsprogramms nicht ausreichend ist.

Der Ende April erfolgte Beschluss zur Klage folgte „auf eine sogenannte mit Gründen versehene Stellungnahme, die den deutschen Behörden im Juli 2014 übermittelt wurde. Darin wurde Deutschland aufgefordert, stärker gegen die Verunreinigung von Gewässern vorzugehen. Trotz der wachsenden Nitratbelastung hat Deutschland aber keine hinreichenden Zusatzmaßnahmen getroffen, um seine einschlägigen Rechtsvorschriften entsprechend der EU-Nitratrichtlinie zu überarbeiten. Da die Europäische Kommission der Auffassung ist, dass die Verunreinigung der Gewässer durch Nitrat auch im Rahmen der laufenden Überarbeitung des nationalen Aktionsprogramms nicht ausreichend angegangen wird, hat sie beschlossen, Deutschland vor dem Gerichtshof der EU zu verklagen“. Die Düngeverordnung ist in Deutschland das Hauptinstrument zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie, doch sie ist in der jetzigen Form wirkungslos. Am Ende kam die Klage nicht überraschend, denn die EU Kommission hat mehrmals darauf hingewiesen, die halbherzigen Versuche der Bundesrepublik die Richtlinie umzusetzen, nicht lange hinzunehmen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sprach von einer längst überfälligen „Ohrfeige für die deutsche Landwirtschaftspolitik“. „Die Nitratbelastung der Gewässer und Böden in Deutschland stellt seit Jahren eines der größten Probleme der Wasserwirtschaft dar“, sagte Hauptgeschäftsführer Martin Weyand.

Eine wirksame Maßnahme wäre eine Reduzierung der Einträge durch die Landwirtschaft festzusetzen. Dazu konnte sich die Regierung jedoch bisher mit der Novelle von Düngegesetz und Düngeverordnung nicht durchringen. Dabei haben unter anderem die wissenschaftlichen Beratungsgremien der Regierung in einer gemeinsamen Stellungahme 2013 solch eine Reduzierung angemahnt. Nach Angaben des Sachverständigenrast für Umweltfragen ist die Landwirtschaft mit fast 80 Prozent der Einträge der Hauptverursacher des Nitrat-Problems.

„Trotz beachtlicher Fortschritte in den letzten zwanzig Jahren werden zentrale, mit der Düngegesetzgebung verfolgte Umweltziele im Agrarbereich Deutschlands nach wie vor nicht erreicht. So ist die Einhaltung maximaler nationaler Stickstoffsalden von + 80 kg N/ha/Jahr noch lange nicht in Sicht. Darunter leidet nicht nur die Qualität der Oberflächen- und Grundgewässer, auch die biologische Vielfalt wird durch die Art und Weise der Düngung deutlich beeinträchtigt. Das zentrale Steuerungsinstrument zur Sicherstellung einer guten fachlichen Praxis der Düngung und der Reduktion von Nährstoffüberschüssen aus der Landwirtschaft ist die Düngeverordnung (DüV). Gleichermaßen ist die Düngeverordnung das zentrale Element des Aktionsprogramms Deutschlands zur Erfüllung der Vorgaben der Nitratrichtlinie. Das Aktionsprogramm ist alle vier Jahre zu überprüfen und ggf. fortzuschreiben. Deutschland hat die DüV im Jahr 2012 durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) evaluieren lassen, die eindeutigen Änderungsbedarf festgestellt hat“, ist der gemeinsamen Stellungnahme der wissenschaftlichen Beratungsgremien der Regierung zu entnehmen.

Die Regierung hingegen ist der Meinung genug getan zu haben und aktuell genug zu tun. Das Umweltministerium in Berlin erklärte, die Bundesregierung arbeite schon an einer Neuauflage der Düngeverordnung. Es seien in einem Entwurf bereits weitreichende Verbesserungen enthalten. Es werde mit dem federführenden Landwirtschaftsministeriums an Lösungsmöglichkeiten gearbeitet. Seitens der Bewertung der EU zum Nitratproblem der Bundesrepublik, beruhe diese „möglicherweise auf Missverständnissen“. Der Deutsche Bauernverband DBV kritisiert, dass die Klage auf dem geltenden nationalen Recht basiere und die weitreichenden Änderungen der derzeit in Brüssel zur Notifizierung vorliegenden Novelle der Düngeverordnung nicht berücksichtige. Gleichzeitig fordert der DBV die Bundesregierung auf, dem Europäischen Gerichtshof und der EU-Kommission deutlich darzulegen, dass der Entwurf der Düngeverordnung die geforderten Maßnahmen zur Umsetzung der Nitratrichtlinie enthalte. Der DBV befürchtet, dass die zuständigen Ministerien und die Bundesländer wegen der Klage die Novelle der Düngeverordnung und des Düngegesetzes zügig umzusetzen und warnt davor die Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit der Verordnungen aus den Augen zu verlieren.

Die SPD sieht sich durch die EU-Klage bestätigt. Schon lange forderte die SPD eine weitreichende Reform des Düngerechts. Der agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Wilhelm Priesmeier, forderte die die CDU/CSU und das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu auf, „nun endlich bei der Novellierung des Düngerechts einen Gang zuzulegen“. Es dürfe nicht passieren, „dass am Ende die EU-Gerichte vorgeben, was zu tun ist“. Eine Einführung einer flächenbezogenen Hoftorbilanz ist aus Sicht der SPD unumgänglich. Zudem sollten laut SPD-Abgeordneten Wilhelm Priesmeier unsinnige Vorschläge wie die pauschalisierte Anrechenbarkeit von Futterverlusten wegfallen. „Damit die Landwirte auch Planungssicherheit erhalten“, müssen alle EU-Vorgaben zu Nitrat, Phosphat und Ammoniak mit einbezogen werden.

„Düngegesetz und Düngeverordnung hätten längst entsprechend novelliert sein müssen“, kommentierte Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter schickt seine direkt Kritik an Bundeslandwirtschaftminister Christian Schmidt (CSU). Er sei seit Monaten tatenlos zu diesem Thema und verhindere, dass „Güllefluten aus der Massentierhaltung eingedämmt werden können“. Die Klage sei „eine Schelle mit Vorankündigung“. Noch könnte der Minister Strafzahlungen in Millionenhöhe abwenden. Schmidt müsse die Warnungen der EU ernst nehmen und ein tragfähiges Düngegesetz und eine neue Düngeverordnung zum Schutz des Grundwassers zur Beschlussfassung auf den Tisch legen, erklärte Grünen-Agrarsprecher Friedrich Ostendorff.

 

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