Der Kampf um den milliardenschweren Krebsmarkt ist unter den Pharmakonzernen längst entbrannt. Das neue Segment ist die Immun-Onkologie. Die Pharmakonzerne forschen fieberhaft in diesem Bereich um die Vorherrschaft. Erst eine Handvoll Medikamente auf Basis der Immuntherapie gegen den Krebs sind zugelassen. Während die Pharmakonzerne wegen des Profites immer auch die Patenrechte im Auge behalten, verfolgten die Wissenschaftler der Universität Oslo und das Niederländische Krebsinstitut einen anderen Immuntherapie-Ansatz und erzielten einen Durchbruch.
Krebs gehört zu der am meisten verbreiteten und gefürchteten Krankheit. Gleichzeitig ist die Therapie von Krebs für die Pharmawirtschaft ein großer, unerschöpflicher Markt. Eine erfolgreiche Krebstherapie gibt es bis heute nicht. Je nach Patient, Krebserkrankung und Stadium überleben manche und andere nicht. Manchmal kommt der Krebs nach der ersten Heilung wieder zurück und bei wenigen glücklichen ist der Krebs auf Dauer besiegt. Soweit der medizinische Fortschritt auch ist, bei der Krebstherapie gehört die Chemo-Therapie immer noch zum Standardverfahren. Die Chemo-Therapie ist eine besonders aggressive Therapie, die neben den Tumorzellen auch das Immunsystem des Patienten angreift. Bei einem geschwächten Immunsystem eines Patienten kann sich der Krebs einfacher ausbreiten. Für die Onkologen ist die Dosierung der Chemotherapie ein Vabanquespiel. Der Patient kann nur auf die Fähigkeiten sowie Entscheidungen seines Arztes vertrauen. Es bleibt nicht viel mehr als zu hoffen.
Die medizinische Forschung konzentriert sich neuerdings verstärkt auf die Heilung von Krebs durch Immun-Therapie. Längst ist ein Kampf der größten Pharmakonzerne in diesem Bereich entbrannt. Es geht schlicht und einfach um die Vorherrschaft des künftigen Milliardenmarktes. Wie heftig das Engagement der Pharmariesen ist, zeigt das Beispiel USA. Branchenweit entfallen alle in der fortgeschrittenen Entwicklung befindlichen Projekte auf die Onkologie.
Waren in den 80er und 90er Jahren die größten Betätigungsfelder der Pharmariesen noch die Neurologie und Infektionskrankheiten, so haben diese extrem an Bedeutung eingebüßt. Der Nachteil des großen Konkurrenzkampfes ist, dass sich die Pharmakonzerne nicht besonders auf Indikationen wie Leukämie, Brust-, Lymphdrüsen- oder Prostatakrebs konzentrieren, denn dafür gibt es reichlich patentierte Medikamente auf dem Markt. Sie forschen eher in Bereichen, die einen „ungedecktem medizinischen Bedarf“ decken könnten, wie es im Fachjargon heisst. Die Pharmakonzerne brauchen für eine profitable Vermarktung ein Alleinstellungsmerkmal.
Dafür eignen sich vor allem neue Technologien, wie die im vergangenen Jahrzehnt eingeführte „personalisierte Medizin“ bei Brustkrebs. Damals hatten Roche und Genentech mit dem Brustkrebsmittel Herceptin Pionierarbeit geleistet und einen Diagnosetest mitgeliefert, der zeigte, ob die Patienten auf die Medikamente ansprechen oder nicht. Heute gehört so ein Test bei der Lieferung der Medikamente zum Standard.
Die Immuntherapie bietet den Pharmakonzernen die Möglichkeit sich mit einer erfolgreichen Therapie von der Konkurrenz abzugrenzen. Dadurch wächst die Hoffnung, dass in wenigen Jahren die Krebstherapie deutlich voranschreitet. Wenn Krebs bis dann vielleicht immer noch nicht heilbar ist, so kann er doch eventuell in ein chronisches, nicht lebensbedrohliches, Leiden umgewandelt werden. Zudem könnte in wenigen Jahren Schluss sein mit der Chemo-Therapie und sie Vergangenheit angehören.
Aktuell sind es nur wenige Unternehmen, die bei der Immuntherapie von Krebs über entwickelte oder gar marktreife Wirkstoffe verfügen. Am weitesten Fortgeschritten sind derzeit Bristol-Myers Squibb, mit einem Präparat namens Nivolumab, sowie Merck mit MK-3475 oder Pembrolizumab und zuletzt Roche mit RG 7446. Ebenfalls in diesem Gebiet tätig sind das deutsche Unternehmen Merck KGaA, der britische Konzern AstraZeneca, der US-Konkurrent Eli Lilly und nicht zuletzt Novartis.
Zugelassen ist bisher nur Nivolumab von Bristol-Myers Squibb und auch nur in Japan. Die Zulassungen für die USA und Europa stehen noch aus. Dennoch lässt sich das Marktpotenzial in Zahlen festlegen. Laut Fabian Wenner, Analytiker bei Kepler Cheuvreux, liegt die Zahl potenzieller Patienten in den USA und Europa, die für die gegenwärtig in der Entwicklung befindlichen Therapien in Frage kämen, bei etwa 320.000. Bei einem Preis von 60.000 US-Dollar für eine einjährige Behandlung liegt das Marktvolumen bei 19,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Optimistischere Schätzungen gehen sogar von 35 Milliarden US-Dollar aus. Zum Vergleich. 2013 lagen die weltweiten Ausgaben des Onkologie-Geschäftes bei 91 Milliarden US-Dollar (Marktforschungsinstitut IMS).
Um sich von der Konkurrenz abzugrenzen wird nicht nur die Krebsart ausgesucht, für die sich wenige interessieren. Es wird auch ein anderer Therapieansatz gewählt. So entwickeln BMS und Merck Antikörper, die sich an die T-Zellen anbinden (PD-1). Roche/Genentech nutzen die Variante mit Antikörpern die sich an die Tumorzellen bindet (PDL-1). Dieses Molekül wurde im eigenen Haus entwickelt und man verspricht sich bessere Resultate von dieser Therapieform. Bei den Nebenwirkungen gibt es scheinbar keine Unterschiede bisher. Obwohl beide Verfahren das gleiche Ziel haben, binden sie sich an andere Zellen um den Krebs zu bekämpfen.
Jeden Tag entstehen in unserem Körper mutierte Zellen. Unser Immunsystem bekämpft diese Zellen, doch manchmal schaffen es Zellen sich vor dem Immunsystem zu tarnen. Das gelingt indem die entarteten Zellen die für die Tumorzerstörung zuständigen T-Lymphozyten, auch kurz T-Zellen genannt, vormachen sie seien harmlos. Dies schaffen die Tumorzellen, indem sie zwei auf den T-Lymphozyten befindliche Rezeptoren (PD-1 und B7.1) mit Hilfe eines passenden Gegenstücks (PDL-1) aktivieren. So gehen auch viele körpereigene gesunde Zellen vor, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Je mehr PDL-1 ein Tumor herstellt, desto besser kann er sich verbreiten. Der Unterschied in der Immuntherapieforschung liegt folglich darin, ob sich die Antikörper an die T-Zellen oder an die Tumorzellen binden. Ziel beider Verfahren ist es die Tumorzellen daran zu hindern das Immunsystem zu täuschen und das die T-Zellen dem Feind wieder verstärkt zu Leibe rücken.
Einen völlig anderen Ansatz verfolgten die Wissenschaftler der Universitätsklinik Oslo und des Niederländischen Krebsinstituts. Anstatt mit Antikörpern zu arbeiten, dachten sie darüber nach gleich ein Immunsystem eines anderen Menschen zu nehmen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass wenn das eigene Immunsystem Krebszellen nicht erkennen kann, die Aufgabe fremde Immunzellen übernehmen können. Durch das Hinzufügen von mutierter DNS aus Krebszellen zu Immunzellen von gesunden Spendern, haben die Zellen des an Krebs erkrankten eine Immunantwort gegeben. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.
Am Beginn der Forschung versuchten die Wissenschaftler vom Niederländischen Krebsinstitut festzustellen, ob es möglich ist ein geliehenes Immunsystem in einen an Krebs erkrankten Patienten einzusetzen. Die Befürchtung war, dass der Körper das geliehene Immunsystem als fremd erkennt und durch die T-Zellen angreift. Die T-Zellen erkennen fremde bzw. feindliche Zellen an fehlerhaften Proteinen, sogenannte Neoantigene. Tumorzellen stellen fehlerhafte Neoantigene her, weshalb sie in der Regel von den T-Zellen identifiziert und zerstört werden. Manchmal allerdings schafft es das Immunsystem nicht die Neoantigene zu erkennen und die Tumorzellen werden nicht vernichtet.
Die Niederländischen Wissenschaftler identifizierten zunächst alle in Frage kommenden Neoantigene an der Oberfläche von Melanomzellen von drei verschiedenen an Krebs erkrankten Personen. Sie wollten herausfinden, ob die T-Zellen auf alle von den Krebszellen hergestellten Neoantigene reagierten. Es stellte sich heraus, dass die Krebszellen viele verschiedene Neoantigene herstellten und die Immunzellen der drei Patienten diese nicht als fremd erkennen konnten. Daraufhin wollten die Forscher herausfinden, ob die T-Zellen gesunder Personen die Neoantigene der Krebszellen identifizieren können. Und tatsächlich haben die fremden Spender T-Zellen eine signifikante Anzahl von Neoantigenen erkannt, die vom Immunsystem des Patienten nicht gefunden werden, so die Mediziner.
Die Ergebnisse belegen, dass die Immunantwort von Krebspatienten verstärkt werden kann. Jetzt denken die Forscher über einen Weg nach, wie ein spezieller Spender pro Krebspatient identifiziert werden kann hinsichtlich der benötigten Neoantigene. Zum Beispiel könnte der Rezeptor als Vorlage dienen, der von den Spender T-Zellen genutzt wird. „Dadurch könnten diese dann wieder schädliche Krebszellen erkennen“, so Autor der Studie Ton Schumacher vom Niederländischen Krebsinstitut.