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Nachfrage nach Avocados und Ananas führt zu Waldrodung und Trinkwasserverseuchung

NewsNachfrage nach Avocados und Ananas führt zu Waldrodung und Trinkwasserverseuchung

Die exotische Frucht Ananas wird in Deutschland teilweise unter einem Euro angeboten. Dieser Preis ist nur mit Ausbeutung der Arbeiter, illegaler Waldrodung, hohem Pestizideinsatz und damit verbundener Trinkwasserverseuchung zu erzielen. Dem steigenden Heißhunger auf Avocados wird auf demselben Weg Rechnung getragen.

Ein wahrer Hype hat sich um die Avocado entwickelt. Es ist aktuell die Trend-Frucht in den USA und Deutschland. Die steigende Nachfrage des neuen Superstars unter den Früchten hat dramatische Folgen im weltgrößten Anbauland Mexico. Unzählige Rezepte kursieren aktuell im Internet zur neuen Superfrucht. Selbst EDEKA warb zuletzt auf Instagram mit der Avocado und US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow veröffentlichte in ihrem neuen Kochbuch „It’s all easy“ gleich drei Rezepte für Avocado-Toast.

Mit der global steigenden Nachfrage steigen die Preise und es wird für die Landwirte immer interessanter die Avocado anzubauen. Wissenschaftler und Umweltschützer warnen davor, dass es im weltgrößten Anbauland Mexico wegen der hohen Nachfrage zu illegaler Abholzung führen kommt. Besonders betroffen ist der Bundesstaat Michoacán im Westen Mexikos. In dieser Region werden 40 Prozent des weltweiten Avocado-Bedarfs angebaut und geerntet. „Pro Jahr werden 1.500 bis 4.000 Hektar Wald gerodet, um Platz für Avocado-Felder zu schaffen. Der Einsatz von Pestiziden in den Monokulturen verschmutzt das Trinkwasser“, sagt Navia von der mexikanischen Umweltschutzorganisation Gira.

Die mexikanische Regierung zeigt sich ebenfalls besorgt, doch stuft das Ausmaß illegaler Abholzungen als nicht so hoch ein wie Umweltschützer und Wissenschaftler. „Die Avocados wachsen unter den Nadelbäumen. Früher oder später werden die Bauern die Bäume fällen, damit die Avocadopflanzen mehr Sonnenlicht bekommen“, erklärt Mario Tapia Vargas vom Nationalen Forschungsinstitut für Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Fischfang.

Für die mexikanischen Landwirte ist die Avocado wegen der steigenden Nachfrage „grünes Gold“. Von 2000 bis 2010 haben sich die Anbauflächen von 95.000 Hektar auf über 134.000 Hektar vergrößert. 2013 wurden in Mexiko laut Welternährungsorganisation FAO mehr als 1,4 Millionen Tonnen Avocado geerntet. Für die aktuelle Saison werden 1,6 Millionen Tonnen geschätzt. Sind in Deutschland 2013 noch 10.700 Tonnen Avocado importiert worden, waren es zuletzt knapp 16.000 Tonnen. Der Pro-Kopf Verzehr von Avocado ist in den USA von einem Kilo in 2000 auf 3,5 Kilo aktuell gestiegen. „Der hohe Wasserbedarf und der verstärkte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln könnten negative Folgen für die Bevölkerung haben“, warnt die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Aufzucht von Avocado benötigt doppelt so viel Wasser wie die sonst üblichen Nadelwälder der Region.

Die Regierung versucht ihr Möglichstes, um gegen die Abholzung vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft für Umweltschutz in Michoacán beendete im August den Anbau auf vier illegalen Feldern. Im Juli nahm die Bundespolizei ein dutzend Verdächtige fest, die auf einem kürzlich gerodeten Feld die Trendfrucht anbauen wollten. Probleme bekommt der lange Arm des Gesetzes allerdings in den Hochebenen von Michoacán. In den schwer zugänglichen Regionen der Hochebene regieren Bürgerwehren und Verbrechersyndikate. Die Lage ist nach einer massiven Offensive mit Tausenden Soldaten und Polizisten einigermaßen unter Kontrolle, doch im Griff haben sie die Region nicht.

Nicht nur die Wälder und das Trinkwasser sind gefährdet. Auch die soziale Struktur der Region ist nach Einschätzung von Umweltschützer Navia in Gefahr. Die sogenannten Ejidos sind Dorfgemeinschaften, denen 80 Prozent der Wälder gehören. Die Dorfbewohner verwalten die Flächen gemeinsam, bestellen sie jedoch jeder für sich. „Wird das Land an mächtige Agrounternehmer verkauft, löst sich das soziale Gefüge auf“, ist Navia besorgt.

Fangen mit dem steigenden Avocadoanbau die Probleme in Mexiko erst an, zeigt sich in Costa Rica mit dem Ananasanbau, welche Folgen massive Landwirtschaft von Monokulturen beinhaltet. Im Gegensatz zur Avocado wird die Ananas zu Dumpingpreisen im Handel verkauft. In Deutschland ist sie teilweise unter einem Euro zu haben. Die Umweltfolgen des Ananasanbaus in Costa Rica sind gut dokumentiert, wie es nur selten in der Agrarindustrie ist.

Seit Jahren können im mittelamerikanischen Costa Rica Tausende Menschen das Trinkwasser nicht mehr trinken. Das Trinkwasser ist mit Pestiziden aus dem Ananasanbau extrem stark kontaminiert. Bereits 2007 warnten die Behörden vor dem Konsum und versorgen El Cairo sowie drei andere Dörfer mit Trinkwasser durch Tanklastwagen. Für die multinationalen Agrarunternehmen zählt nur der globale Wettbewerb. Genau wie bei Bananen oder Orangen gilt es durch den harten Preiskampf große Mengen nach Deutschland und den Rest der westlichen Welt zu bekommen. Was den Endverbraucher aufgrund der kleinen Preise freut, führt in den Schwellenländern zu menschlichen Katastrophen und Umweltzerstörung. Die Agrarkonzerne als Initiator haben kein Interesse daran wie produziert wird, Hauptsache der Nachschub kann um jeden Preis konstant gesteigert werden.

Wie hart umkämpft die Gunst um den Kunden ist, beweist Del Monte. In den letzten Jahren wird die Gen-Forschung und Züchtung auch bei Obst stark vorangetrieben. Der Fruchtriese Del Monte hat sich schon 2011 ein Patent auf eine transgene Ananas mit modifiziertem Carotinoidgehalt (EP1589807) eintragen lassen. Ursprünglich ist Carotinoid Lycopin in Tomaten zu finden und ist ein gutes Antioxidans. Die genetisch veränderte Ananas mit dem Radikalfänger der Tomate hat eine rötliche Färbung. Wegen dem angeblichen gesundheitsrelevanten Inhaltsstoff, wird die Gen-Ananas als HEALTH FOOD vermarktet. In den USA ist diese Ananassorte erhältlich. Eine gentechnik-rechtliche Zulassung war nicht erforderlich.

Eine weitere Gen-Sorte hat Del Monte mit einer rosa Ananas im Angebot. Sie ist als Zierpflanze in den USA sehr beliebt. Das rosa Fruchtfleisch wurde durch Gene der Zierananas und Tangerine hervorgerufen, die zur Bildung von natürlichen rosa Lycopenen (Farbstoffen) führen. Der Anbau dieser Ananas soll ebenfalls in Costa Rica stattfinden. Sie ist derzeit nur als Zierpflanze erhältlich, weil die Zulassung als Lebensmittel in den USA noch aussteht, genau wie noch der Massenanbau in Costa Rica.

Die Ananas hat eine lange kulturelle Geschichte. Sie wurde schon in präkolumbianischer Zeit angebaut und verbreitete sich über weite Teile Südamerikas sowie bis in den Norden nach Mexiko. Sie wurde als Nahrungsmittel, Heilmittel und für die Weinherstellung verwendet. Nach Europa gelangte die Ananas mit der Rückkehr von Christoph Kolumbus nach seiner zweiten Reise von Guadeloupe. Die indigene Bevölkerung überreichte dem Seefahrer die Ananas als Willkommensgeschenk.

Der Anbau von Ananas fand früher anders statt als heute in der modernen pestizidreichen Monokultur. Sie wurde fast ausschließlich als Zwischenkultur auf Feldern angebaut, auf denen Pflanzen mit kurzem Wachstumszyklus angebaut wurden, wie etwa Erdnuss, Reis, Bohnen und Gemüse. Sie wurde auch als Zwischenkultur unter Avocado, Mango, Ölpalmen, Dattelpalmen oder Zitrusbäumen angepflanzt.

Die Deutschen mögen die Ananas, wie die Importzahlen deutlich belegen. Jährlich werden 129,7 Tonnen Ananas importiert. Im September 2012 lag der Durchschnittspreis in den Supermärkten noch bei rund 1,59 Euro. Aktuell liegt die Preisspanne zwischen 0,79 Euro und zwei Euro.
Knapp 75 Prozent der importierten Ananas kommen aus Costa Rica. Dabei ist Costa Rica kleiner als Bayern und versucht dennoch laufend neue Flächen für den Ananasanbau zu schaffen. Der Regenwald muss der steigenden Nachfrage weichen. 1999 waren die Ananas Anbauflächen 9.900 Hektar groß. Heute wird auf 40.000 Hektar die Tropenfrucht kultiviert. Costa Rica exportiert heute mehr Ananas als Bananen. Das profitable Geschäft teilen sich zu 90 Prozent die drei großen Frucht-Multis Chiquita, Dole und Del Monte.

Um die Produktion hoch zu halten, wird auch vor massivem Pestizideinsatz nicht zurückgeschreckt. Costa Rica liegt mit geschätzten 52 Kilogramm pro Hektar Agrarfläche weltweit an der Spitze, wie Studien des ‘Instituto Regional de Estudios en Sustancias Tóxicas‘(IRET), der Nationaluniversität Costa Ricas, zeigen. Der hohe Pestizideinsatz ist nötig, weil die Pflanzen anfällig für Schädlinge sind. Wegen dem Monokulturanbau fehlen natürliche Fressfeinde der Schädlinge, weshalb immer intensiver mit chemischen Mitteln die Felder besprüht werden. Die chemischen Gifte sickern durch die Böden in das Grundwasser und verseuchen die Trinkwasserreserven.

Die Niederschläge spülen die Gifte zudem in die naheliegenden Bäche und Flüsse. Orte wie Milano, Cairo, Francia und Lousiana sind von Ananasplantagen regelrecht umzingelt. Das Gesundheitsministerium warnte erst kürzlich wieder die Anwohner der Dörfer mittels Flugblättern „kein Wasser aus der Wasserleitung zu trinken, da es kontaminiert ist. Es darf nur zum Waschen der Kleidung und für die Sanitäranlagen genutzt werden“. Seit 2003 ist das Trinkwasser nicht mehr zum Verzehr geeignet, doch erst seit 2007 kommt zweimal die Woche ein Tanklastwagen, um die Dorfbewohner mit Trinkwasser zu versorgen.

Clemens Ruepert vom Toxikologischen Institut der Nationaluniversität Costa Ricas in Heredia hat 2003 Wasserproben entnommen und im Labor untersucht. Unter anderem konnte er das von der Environmental Protection Agency (EPA) als „möglicherweise krebserregend“ eingestufte Pestizid Bromacil in einer Konzentration von bis zu 5,25 Mikrogramm nachweisen. Bis zu seinen zuletzt durchgeführten Untersuchungen bis Mai 2011 konnte Clemens Ruepert im Quellwasser der Gemeinde Milano regelmäßig Konzentrationen von Bromacil zwischen 2,5 bis 6,7 Mikrogramm pro Liter nachweisen. Bestätigt wurden diese Werte auch von dem staatlichen Wasserwerk AYA. Es werden allerdings keine Maßnahmen ergriffen, da es keine Grenzwerte für Pestizide gibt.

Davon abgesehen, dass dieses Pestizid seit 1993 in Deutschland ausdrücklich verboten ist, liegen die Grenzwerte für Pestizide in der Europäischen Union im Trinkwasser bei 0,1 Mikrogramm/Liter. Bromacil wurde deshalb in der Bundesrepublik verboten, „weil der Wirkstoff zur Versickerung neigt und damit das Grundwasser gefährdet“, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit damals feststellte. Würden also europäische Standards auf Costa Rica angewendet, läge die Belastung bis zu 67-mal höher als erlaubt.

Die Wissenschaftlerin und politische Aktivistin Eva Carazo Vargas und die Umweltaktivistin Xinia María Briceño aus Costa Rica berichten über die Umweltzustände rund um Milano. Seit sechs Jahren lebt Xinia Briceno in Milano und kämpft seitdem für ihr Recht auf sauberes Trinkwasser. Immer wieder versuchte sie einen Dialog mit dem Fruchtkonzern Del Monte, einer der Betreiber der umliegenden Felder. Doch Del Monte zeigte nie Gesprächsbereitschaft. Seit den 90er Jahren kauft Del Monte von der Plantage in El Cairo. Gegenüber der Zeitung Sonntaz weist der Konzern die Verantwortung von Del Monte und der Verseuchung des Trinkwassers als „falsche sensationalistische Behauptungen“ zurück. Die Plantage habe „2008 aufgehört, Bromacil zu benutzen“, was im Gegenzug bedeutet, dass bis dahin Bromacil eingesetzt wurde.

Gegenüber dem WDR zeigte Del Monte sich auf Anfrage zu dem Thema reserviert und lehnte jedwede Stellungnahme ab. Im Laufe der Dreharbeiten der Sendung für das Format WDR-Markt konnten die TV-Leute Einblick in eine Studie eines renommierten europäischen Instituts nehmen. Auf Anfrage über die Ergebnisse der Studie zu reden, lehnten die Wissenschaftler ebenfalls ab. Zudem wurde es den Wissenschaftlern untersagt den Auftraggeber der Studie zu nennen. Fest steht jedoch, dass auch nach 2011 Bromacil in Konzentrationen von 6,5 Mikrogramm/Liter im Trinkwasser von Milano nachgewiesen wurde.

Costa Rica hat wegen der Ananas sowie dem Druck der Konzerne dramatische Umweltschäden und eine massive Gesundheitsgfährdung in Kauf genommen. In Mexiko droht dieselbe Katastrophe wegen der aktuell sehr beliebten Avocado. Deutsch Supermärkte sehen sich selbst auch nicht in der Verantwortung. Als Verbraucher muss jeder selbst für sich erkennen, wo sein moralischer Kompass steht und ob Ananas aus Costa Rica und Avocado aus Mexiko das wert sind.

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