Es hat lange gedauert bis die Industrie bei Wasser in Plastikflaschen auf die Kritik von Bisphenol A reagiert hat. Viele Hersteller verzichten mittlerweile auf diesen Weichmacher. Doch längst ist Wasser aus Plastikflaschen gesundheitlich bedenkenlos wie eine neue Studie zeigt. Wissenschaftler haben mehr als 24.000 Chemikalien im Wasser entdeckt.
Lange ist es her, als die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt anlässlich der Unternehmertage des Verbandes Deutscher Mineralbrunnen erklärte, dass Mineralwasser einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsprävention leiste. Wasser in Plastikflaschen kann sie jedenfalls nicht gemeint haben. Lange war die Verwendung des Weichmachers Bisphenol A (BPA) mit seinen hormonverändernden Eigenschaften in Plastikflaschen, Lebensmittel-und Getränkeverpackungen ein zentrales Thema. Die massive Kritik, unzählige Studien und die Nachfrage der Verbraucher nach bisphenolfreien Produkten hat die Hersteller zu positiven Veränderungen gezwungen. Zwar ist der Weichmacher Bisphenol A nicht mehr so weit verbreitet, doch ohne Weichmacher geht es nicht. Der Verbraucher kommt scheinbar vom Regen in die Traufe.
Jörg Oehlmann, Leiter des Institutes für Ökologie, Evolution und Diversität an der Goethe Universität in Frankfurt am Main und sein Kollege Martin Wagner haben 18 verschiedene Mineralwasser-Marken untersucht. Sie entdeckten als 24.520 verschiedene Chemikalien in den Wässern. Besonders im Fokus waren sogenannte „Endokrine Disruptoren“ (EDCs), die das Wachstum und die Fortpflanzung negativ beeinflussen können. EDCs, Di (2-ethylhexyl) Fumarat oder DEHF, sind freie Basen, die die Augen reizen können und bei Augen, Schleimhäuten und Haut als Kontaktallergen wirken. Zudem wirken sie vielfältig auf das Hormonsystem ein. Sie können bösartige Tumore erzeugen sowie Stoffwechselstörungen, Entwicklungsstörungen, Geburtsdefekte oder Herzkranzgefäßerkrankungen verursachen. Auch Diabetes Typ I und II wird begünstigt.
„Ich hab gedacht, Mineralwasser ist H2O plus Mineralien, wie man das als Unvorbelasteter denkt. Als wir dann östrogene Aktivität gefunden haben, sagten wir: Mensch, da müssen wir natürlich weiter forschen“, so der Autor der Studie Dr. Martin Wagner. Bei den 18 Mineralwassersorten wurden fortgeschrittene Kombinationen von Biotests und hochauflösender Massenspektrometrie angewandt. Sie konnten zudem nachweisen, dass die in den Proben enthaltenen vorhandenen Östrogene tatsächlich wie aktive Hormone wirken. Dafür wurde eine Versuchsreihe an Schnecken durchgeführt, die besonders sensibel auf geringe Belastungen reagieren.
Ein Teil der Schnecken lebte acht Wochen in Plastikflaschen und der andere Teil in Glasflaschen. In dem Versuch werden die Anzahl der Embryos der beiden Schneckengruppen verglichen. Anhand der Anzahl der Embryos können Rückschlüsse auf die östrogene Aktivität festgestellt werden. Es zeigte sich, dass je nach Mineralwasser-Marke völlig unterschiedliche Embryo-Anzahlen von den Schnecken produziert wurden. Dies ist allein auf die Plastikflaschen zurückzuführen.
„Während die Schnecken in Glasflaschen ganz normale Mengen Embryonen produzieren, stellen wir bei denen in den Plastikflaschen erhöhte Zahlen fest, was uns natürlich den Hinweis gibt, dass etwas aus dem Material herausgelaugt ist. Wir haben überall das gleiche Wasser eingefüllt, das heißt die einzige Variable war die Verpackung“, so Wagner. Das Ergebnis war mehr als deutlich. Die Schnecken in Plastikflaschen produzierten etwa doppelt so viele Embryone wie die in Glasflaschen.
Obwohl die Wissenschaftler 24.520 Chemikalien entdeckt haben, wurde DEHF zum Kern der Studie. Laut den Ergebnissen ist dieser Weichmacher in den getesteten Wässern konsequenteste und offensichtlichste Verursacher für anti-östrogene Aktivitäten. Es war scheinbar das einzig mögliche EDC, welches fähig ist solch eine Aktivität zu induzieren. Bei 13 de 18 untersuchten Mineralwässern wurden „signifikant“ anti-östrogene Aktivitäten beobachtet. 16 der 18 Proben hemmen die körpereigenen Androgen-Rezeptoren zu 90 Prozent. Doch auch die anderen mehr als 24.000 Chemikalien wurden als antagonistische Aktivitäten erkannt, was im Endeffekt bedeutet, dass auch sie auf das körpereigene Hormonsystem wirken. Das DEHF konnte nämlich nicht als spezifisch antiandrogen identifiziert werden, doch es wirkten auch antiandrogene Chemikalien auf die Hormonsysteme.
„Wir bestätigen die Identität und die biologische Aktivität von DEHF und weiteren Isomeren, von Dioctylfumarat und Maleat, mit authentischen Standards“, so die Forscher. „Weil DEHF anti-östrogen ist aber nicht antiandrogen, so schließen wir, dass zusätzliche noch nicht identifizierte EDCs, auf die antagonistische Wirkung von Wasser in Flaschen beitragen müssen.“
Diese neuen Erkenntnisse über DEHF sind wegweisend. Es bedeutet zugleich, dass wesentlich mehr Studien erforderlich sind, um die Risiken der unzähligen Chemikalien, die aus dem Plastik in die Lebensmittel und Getränke diffundieren, zu bestimmen und zu untersuchen. „Diese Arbeit ist ein ‘Tour de Force‘ bei der Identifizierung von hormonaktiven Substanzen in Verpackungsmaterialien“, sagt Bruce Blumberg von der University of California. Solche unabhängigen Studien werden „für unsere Zukunft wichtig sein zu verstehen, welchen Chemikalien wir routinemäßig ausgesetzt werden und welche von diesen Gefahren zeigen, weil sie hormonaktive Substanzen sind.“
Deutschlands größter Mineralwasser-Hersteller Gerolsteiner sowie der Verband Deutscher Mineralbrunnen verweigerten zu der Studie jegliche Stellungnahmen. Auch eine Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern wurde verweigert. Es wäre für Jörg Oehlmann und Martin Wagner natürlich wesentlich einfacher, wüssten sie welche Chemikalien von den Herstellern eingesetzt werden. Aber die Hersteller sagen es handelt sich hier um Unternehmensgeheimnisse. „Insofern tappen wir ein bisschen im Dunkeln und suchen nach der Nadel im Heuhaufen“, so Wagner. Als Verbraucher bleibt einem zwischenzeitlich nur die Möglichkeit weitestgehend auf Plastikflaschen und –verpackungen zu verzichten. Ist natürlich viel leichter gesagt als getan, ist Plastik ja praktisch überall.