Mitsingkonzert

Wer von uns kann das schon leugnen, dass wir in einer sehr schwierigen Zeit leben? Die Nachrichten schonen unsere Augen und Ohren nicht; jeden Tag kommen schreckliche Bilder aus den Kriegsgebieten: Elend, Tod, Leid der unschuldigen Kinder, Ungerechtigkeit, missachtete Menschenrechte. Wir werden mit furchtbaren Tatsachen konfrontiert, auf die wir keinerlei Einfluss haben.

Was könnte in unserer Zeit richtiger, wohltuender sein - und eine Antwort auf die zahllosen Fragen unserer Welt - als wenn Menschen sich zum gemeinsamen Singen versammeln?“ – fragt sich der ungarische Sänger Michael Nagy anlässlich des diesjährigen Mitsingkonzerts des Rundfunkchores Berlin, in dem er auch solistisch mitwirkt.

Richtig und wohltuend? Ja! - Da möchte ich auch hin - denke ich mir.

Der Rundfunkchor Berlin lädt nun schon zum 14. Mal hunderte singende Menschen unter das Dach der Berliner Philharmonie ein. Unter der Leitung von Simon Halsey singen Sängerinnen und Sänger aus ganz Europa gemeinsam Maurice Duruflés Requiem op. 9 für Solisten, Chor, Orgel und Orchester. Dieses Konzertformat genießt den absoluten Kultstatus. „(…)Wo die 1300 Mitsingkarten für das Konzert 2015 nach 20 Minuten vergeben waren, so waren sie für 2016 bereits nach elf Minuten ausverkauft – und das um sieben Uhr morgens.“ – lese ich auf der Webseite des Rundfunkchores Berlin.

Kultstatus? Hunderte passionierte Sänger aus ganz Europa? Da muss ich hin - entschließe ich mich voller Begeisterung.

Wie gedacht, so auch getan. Ich gehe voller Vorfreude in die Berliner Philharmonie. Vorfreude auf das wunderschöne, leider so selten in Deutschland aufgeführte Werk sowie auf die Begegnung mit so vielen Menschen, die die gemeinsame Leidenschaft fürs Singen teilen.

Gespannt und erwartungsvoll warten wir auf den Dirigenten, Herrn Simon Halsey, der mit fröhlichem Gesicht und mit dem Stichwort „enjoy it“ auf den Lippen auf die Bühne kommt und uns die erste Aufgabe erteilt, nämlich unsere Nachbarn zu begrüßen. Irgendwie so selbstverständlich und trotzdem herrlich. Was so ein friedensvolles Händeschütteln von den um mich herum stehenden Menschen auswirkt, weiß z. B. jeder Christ - so gibt man sich im Gottesdienst nach dem Friedensgebet das Friedenszeichen, was ein Zusammengehörigkeitsgefühl auslöst.

Da der Komponist Maurice Duruflé aus Frankreich kommt, entführt uns Simon Halsey gedanklich in dieses wunderschöne Land, „wo die Pfarrer mit viel Freude Fußball spielen“, und steckt uns mit seiner Begeisterung an.

Es geht los und Herr Halsey beweist, dass er nicht nur ein hervorragender Dirigent ist, sondern auch ein erstklassiger Entertainer, der uns ständig zum Lachen bringt: tiefe, lange Töne findet er „interessant wie ein 2-Wochen alter Cammembert“, „Christe eleison“ wird „von Frauen leise gesungen, weil sie unschuldig sind“ und erst dann kommen „die lauten Männer, die sowieso problematisch sind“.

Was mir auch unglaublich gefällt , ist die amüsante und trotzdem respektvolle Erklärung von den lateinischen Texten, die ja Gebete sind. So wird uns deutlich, was uns der Komponist mit seinem Werk theologisch sagen wollte.

Das Stück ist ein Wechselbad der Gefühle: mal erniedrigen wir uns vor dem Lamm Gottes, das „uns zuhört und dann - OK! - denkt" (da könnte manch langweiliger Prediger von Herrn Halsey wirklich noch viel lernen); mal geraten wir in Panik (Dies Illa), und dann „sehen wir den Himmel für 5 Takte".

So wie der Chor so auch die Musiker (Deutsche Streicherphilharmonie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)). „Orchester geht crazy“ und danach „macht es gar nichts“. Der Bariton Michael Nagy, der mit seiner kräftigen Stimme sehr überzeugend vor dem Tag des Zorns warnt und die verzaubernde Stimme der Altistin Wiebke Lehmkuhl, die in „Pie Jesu“ um die ewige Ruhe betet, runden das Gesamtereignis ab.

Zum Schluss „landen“ wir im Paradies. und singen lange (!) Noten, "Himmel dauert ja immer (!)" und die "Message lautet: alles wird gut.“ Und wenn Herr Halsey dies mit Überzeugung und mit einem Lächeln auf dem Gesicht sagt, dann glaube ich ihm das. Ich glaube ihm, dass ALLES GUT WIRD.

Nachtrag für die Berliner Musikliebhaber: der Bariton Michael Nagy ist am 25.06.2017 in der Berliner Philharmonie bei einem Gemeinschaftskonzert von der Berliner Singakademie und dem Philharmonischen Chor Berlin zu hören. Aufgeführt wird WAR REQUIEM von Benjamin Britten.

www.philharmonischer-chor.de