Das Grundwasser in Baden-Württemberg ist seit Jahren weitläufig mit Düngemittel-Rückständen verunreinigt. Die Wasserwirtschaft und die Landwirtschaft liegen in einem dauerhaften Zwist. Die Wasserbetriebe sagen die Bauern düngen zu viel und zu ungenau. Die Landwirte kontern, sie halten sich an die Regelungen und düngen „bedarfsgerechter“. Seit 2013 macht auch die EU-Kommission Druck und bereitet ein Vertragsverletzungsverfahren vor.
Bernhard Röhrle, Sprecher des Zweckverband Landeswasserversorgung (LW), der zweitgrößten Wasserversorgung von Baden-Württemberg, betrachtet mit Sorge die Entwicklung der Nitratbelastung im Donauried. Aus dem wichtigsten Grundwasserspeicher Baden-Württembergs werden etwa zwei Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt. Eine Grafik verdeutlicht die Sorge von Röhrle. Eine der Linien steigt kontinuierlich nach oben. Es ist die Konzentration von Düngemittelrückständen über einen Zeitraum von 100 Jahren. „Im Vergleich zu 1917 haben wir heute die dreifache Belastung“, so Röhrle. Noch liegt die Konzentration unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte, doch es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis diese überschritten werden.
Die steigende Nitratbelastung des Grundwassers sorgt für andauernde Konflikte zwischen der Wasserwirtschaft und der Landwirtschaft. Die Wasserversorger wollen der Bevölkerung ohne viel Aufbereitung und Filtrierung ein sicheres und günstiges Trinkwasser anbieten. Die Bauern wollen eine möglichst gute Ernte einfahren, was durch die Düngemittel nicht unerheblich beeinflusst wird. Die unterschiedlichen Interessen beider Parteien kollidieren zwangsläufig, wie zuletzt vor wenigen Monaten. Die Landeswasserversorgung lud die Landwirte, die Felder im Wasserschutzgebiet im Donauried bewirtschaften, zu einer Aussprache ein. Die Medien berichteten anschließend „von einer hitzigen Debatte“. Laut Röhrle sei man trotz großer Bemühungen zu keiner Annäherung gekommen. Die Fronten bleiben verhärtet. Weiterhin sind also 85 Prozent der Nitratbelastung von der Landwirtschaft zu verantworten, was auch Daten der EU-Kommission bestätigen. Laut EU kommen 60 Prozent der Phosphoreinträge im Grundwasser ebenfalls aus der Landwirtschaft.
Nicht nur im Donauried ist die hohe Nitratkonzentration von Böden und Grundwasser ein Konfliktherd. Das Problem ist ein bundesweites. Ende August 2015 brachte die Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag Klarheit. Etwa 25 Prozent der 1200 Grundwassersystem in Deutschland sind wegen zu hoher Nitratbelastung „in einem schlechten chemischen Zustand“. Laut Bundesregierung sind die Konzentrationen an 106 von 739 Messstellen die Nitratwerte über dem Grenzwert. 22 Überschreitungen liegen in Baden-Württemberg.
Die „regionalen Belastungsschwerpunkte“ werden vom Südwest-Bauernverband LBV nicht angezweifelt, doch sie weisen auch darauf hin, dass die Nitratbelastung im Grundwasser im Ganzen zurückgehe. Seit den 1990er Jahren um rund 20 Prozent. Dies liege im genaueren und „bedarfsgerechten“ Düngen der Landwirte, erklärt LBV-Kreisgeschäftsführerin Anette Herbster. Dies mag für den Anbau auf den Feldern gelten, doch bei der Massentierhaltung nicht. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Teilen Ostdeutschlands, den Viehhaltungszentren Deutschlands, steigen die Nitratwerte weiterhin. Die hohen Einträge in die Flüsse sorgten dafür, dass die Küstenregionen von Ost- und Nordsee mittlerweile als Problemregionen gelten.
Die EU-Kommission macht schon seit 2013 Druck auf die Bundesrepublik wegen der hohen Nitratbelastung von Böden und Grundwasser. Seither ist nicht viel passiert das Problem anzugehen. Es wurde nur schlimmer. Die EU-Kommission sah sich deswegen gezwungen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten. Die Bundesregierung muss bis 2027 die Flüsse, Seen und Grundwasser wieder in einen guten Zustand bringen. Vorgesehen war dieses Ziel bis 2015 zu erreichen, was mehr als verfehlt wurde. Letztlich wurde seitens der Politik zu wenig getan und kaum Maßnahmen ergriffen. Nun wird die EU-Kommission den nötigen Druck ausüben, damit die Gewässer in Deutschland, und somit das Trinkwasser, besser geschützt werden.
Nicht nur Nitrat macht der Europäischen Union, der Wasserwirtschaft und Umweltschützern sorgen. Das Grundwasser ist „immer stärker mit Spritzmitteln belastet“, wie Röhrle anmerkt. Über kurz oder lang wird auch der massive Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung zu einem Problem für das Grundwasser werden. In Regionen Norddeutschlands mit hoher Nutztierdichte wurden Rückstände von Antibiotika bereits in mehreren Brunnen nachgewiesen. Die Landwirtschaft wird zunehmend intensiver, was das Grundwasser in Zukunft stärker belasten wird.
Das schlimmste wird den Wasserversorgern noch bevorstehen. Es dauert Jahre und Jahrzehnte bis die heutigen Sünden durch die Böden im Grundwasser ankommen. Die Landeswasserversorgung hat heute mit Atrazin zu kämpfen. Ein Herbizid, welches seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr verwendet wird. Atrazin ist der Vorgänger des heute von der WHO als krebserregend eingestuften Herbizids Glyphosat. Doch „hohe Werte“ von Atrazin finden sich noch heute Grundwasser, bestätigt Röhrle.
Ein Liter Atrazin kostete die Landwirte damals umgerechnet fünf Euro. Die Wasserbetriebe haben Kosten von 50.000 Euro, um einen Liter des Herbizids wieder aus dem Wasser zu filtern. Letztlich tragen die Kosten die Endverbraucher über einen höheren Wasserpreis. Die Wasserpreise könnten deutlich steigen, sind die Wasserversorger gezwungen die teuren Nitratfilter-Anlagen nachzurüsten. Besonders die Verbraucher von kleinen Wasserversorgungsbetrieben werden es bemerken. Der Energieverband VfEW sieht eine Preissteigerung von 95 Euro auf 140 Euro pro Jahr für einen Zweipersonenhaushalt für denkbar. Röhrle rechnet für den Zweckverband Landesversorgung mit einem Anstieg von fünf bis acht Cent pro Kubikmeter, sollte die Nitratbelastung flächendeckend über die Grenzwerte steigen. Wie bereits zuvor erwähnt, ist dies für den Sprecher des Zweckverband Landeswasserversorgung nur eine Frage der Zeit.