Die Kritik von Gesundheitsexperten zu Kindermarketing der Lebensmittelindustrie nimmt zu. Sie fordern ein Werbeverbot im Internet, denn besonders online nehmen die zielgerichteten Werbungen an Kinder und Jugendliche zu. Teilweise sind die neuen Marketingmethoden wirklich perfide, um zum Konsum anzuregen.
Wie gezielt Kinder und Jugendliche von der Lebensmittelindustrie beworben werden, zeigt eine aktuelle Studie der Universität Hamburg im Auftrag des AOK-Bundesverbandes. Bei mehr als 60 Prozent aller Webseiten für Lebensmittel werden Kinder und Jugendliche mit speziellen Elementen zum Konsum animiert. Interessanter Aspekt: Von den 301 untersuchten Internetauftritten sind besonders viele Unternehmen, die sich mit dem sogenannten EU-Pledge verpflichtet haben auf Kinderwerbung in TV, Print und Internet zu verzichten, sofern das Produkt nicht bestimmte Nährwert Kriterien erfüllt.
Die Studie zeigt allerdings, dass es sich überwiegend um Produkte mit zu hohem Zucker-, Salz- oder Fettgehalt handelt, die von vielen Kritikern, Experten und Verbraucherorganisationen als Mitverursacher der zunehmenden kindlichen Fettleibigkeit gesehen werden. „Damit wir dieses Problem in den Griff bekommen, brauchen wir vor allem im Onlinebereich und TV ein Kindermarketingverbot für Lebensmittel“, fordert deshalb der Abteilungsleiter Prävention beim AOK-Bundesverband, Dr. Kai Kolpatzik.
Nach Hochrechnungen der Universität Hamburg kommen Kinder mit Online-Werbeaktivitäten von Lebensmittelherstellern täglich zwischen acht und 22 Mal in Berührung. Natürlich in typischen Interessenbereichen von Kindern wie Prominente, Comics oder Onlinespiele, die für die Werbezwecke eingesetzt werden. „Vor allem im Bereich der sozialen Medien haben die Lockrufe von Süßwarenherstellern und ähnlichen Anbietern deutlich zugenommen“, warnt Dr. Tobias Effertz, Studienleiter und Privatdozent an der Universität Hamburg. „Damit werden Kinder immer häufiger und drastischer von Werbung für ungesunde Lebensmittel angesprochen, ohne dass deren Eltern dies wirksam verhindern können.“
Die Unternehmen nutzen gezielt die sozialen Medien für ihr Kindermarketing, wie Facebook oder YouTube. Das Teilen und ‘Liken‘ solcher Beiträge hat gleich einen doppelten Effekt. Einerseits setzen sich die Kinder durch die Interaktion intensiver mit den Werbeinhalten auseinander als etwa bei üblicher Fernsehwerbung. Zu anderen kommt ein Multiplikatoreneffekt zustande. „Die direkte Empfehlung und Weitergabe von Onlineinhalten durch Freunde erzeugt im Regelfall eine besonders hohe Glaubwürdigkeit“, erklärt Effertz. Zudem wird von den Kindern die Werbung meist nicht erkannt, wie die gemeinsame Studie ‘Kinder und Onlinewerbung‘ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) zeigte.
Die Studie der Universität Hamburg zeigt auch, dass viele Unternehmen Kinder und Eltern täuschen. Besonders die als ungeeigneten Lebensmittel für Kinder bezeichneten Lebensmittel, wie Snacks, Süßigkeiten, Brotaufstriche und Süßgetränke suggerieren oftmals einen Gesundheitsnutzen. Näheres dazu hier: Achtung bei Produkten die mit Vitaminen werben!
„Die mobile Welt zeigt in diesem Fall besonders deutlich ihre Schattenseite. Junge Menschen sind heutzutage überall und jederzeit erreichbar und damit ein stückweit der Industrie und ihren Tricks ausgeliefert. Es ist ärgerlich, wenn wir als AOK in Schulen und Kindergärten über gesunde Ernährung aufklären und dieses Engagement gleichzeitig von der profitorientierten Lebensmittelindustrie durch aggressive Marketingstrategien konterkariert wird“, kritisiert Kolpatzik die teilweise perfide Ausnutzung des Onlineverhaltens von Kindern.
Die freiwillige Selbstverpflichtung auf Werbung in TV, Print und Internet von Produkten zu verzichten, die bestimmte Nährwert Kriterien nicht erfüllen, ist gescheitert. Die beiden Gesundheitsexperten Kolpatzik und Effertz verweisen darauf, dass Unternehmen, die die Selbstverpflichtung eingegangen sind, im Social-Media-Bereich noch stärker als die Nicht-Teilnehmer werben. Zudem ist das Ausmaß genutzter Kindermarketingmaßnahmen bei Pledge-Mitgliedern eher angestiegen als gesunken.
Auch foodwatch kritisiert den EU-Pledge. „Die Lebensmittelindustrie trägt eine gehörige Mitschuld an der Adipositas-Epidemie in Deutschland. Drei Viertel der Lebensmittel, die mit Comics und Spielzeugbeigaben an Kinder vermarktet werden, sind zu süß, zu fettig, zu salzig. Mehr als jedes zweite Erfrischungsgetränk ist überzuckert. Statt die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen setzt der zuständige Bundesernährungsminister Christian Schmidt seit Jahren auf freiwillige Vereinbarungen. Herr Schmidt muss endlich wirksame Maßnahmen gegen Fettleibigkeit durchsetzen: Wir brauchen Beschränkungen der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung, eine bessere Nährwert-Kennzeichnung und eine Zuckerabgabe für Getränkehersteller nach britischem Vorbild“, sagt Dario Sarmadi von der Verbraucherorganisation foodwatch. Eine Langzeit-Studie am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen mit 10.000 Kindern hat den Zusammenhang zwischen zielgerichteter Werbung von Snacks und Getränken an Kinder und der zunehmenden Fettleibigkeit in Europa bei Kindern untersucht. Fazit: An Kinder gerichtete Werbung fördert Übergewicht.