Was als Sparmaßnahme begann wurde zu einer massiven Gesundheitsgefährdung 100.000er Einwohner. In Flint/Michigan wurde 2014 die Wasserversorgung umgestellt. Obwohl seit Monaten Anwohner über Gesundheitsprobleme klagten und Ärzte warnten, reagierten die Behörden nicht. Erst jetzt hat Präsident Barack Obama den Notstand erklärt.
Die Stadt Flint in Michigan, etwa eine Autostunde von Detroit gelegen, hat wirtschaftlich und sozial unter der Reformierung der Autoindustrie gelitten. Genau wie in der ehemaligen Autohochburg Detroit kam es zu Massenentlassungen. Über die Hälfte der Einwohner hat Flint verlassen und mehr als 40 Prozent der Anwohner leben unter der Armutsgrenze. Dennoch gibt es seit Monaten nur ein beherrschendes Thema: Die hohe Konzentration von Blei im Trinkwasser und die auftretenden gesundheitlichen Folgen.
Wie Detroit steht die bankrotte Stadt Flint unter einem von Gouverneur des Bundesstaats Michigan, Rick Snyder, ernannten Notverwalter. Dieser hatte als Sparmaßnahme entschieden, die Trinkwasserversorgung von Detroit abzukoppeln und stattdessen Wasser aus dem Flint River zu entnehmen. Das billige Flusswasser enthielt zu viele korrosive Stoffe und die Kläranlage konnte das Flusswasser nicht nach den Trinkwasservorschriften aufbereiten. Das korrosive Wasser löste Blei aus den alten Leitungen heraus. Schon sehr bald nach dieser Sparmaßnahme beklagten sich die Anwohner über schlechten Geruch und Geschmack sowie Rost im Wasser. Sie gaben dem schlechten Wasser auch die Schuld für die auftretenden Beschwerden wie Hautausschlag, Erbrechen und Haarausfall seit der Umstellung der Wasserversorgung. Die Behörden allerdings blieben tatenlos und nahmen die Kritik lange nicht ernst.
Erst im September 2015, eineinhalb Jahre später, gab Gouverneur Rick Snyder zu, dass das Trinkwasser nicht zum Verzehr geeignet ist und veröffentlichte eine Warnung. Er entschuldigte sich bei den Anwohnern. Die Konsequenzen der Umstellung von See- auf Flusswasser sei „nicht vollständig verstanden“ worden. Für die Anwohner kommt das Einlenken der Behörden zu spät. Ihr Blut ist mit Blei vergiftet. „Der Staat hat allen erzählt: ‘Es ist gut, entspannt Euch. Es ist sicher.’ Sie haben gelogen“, klagt Melissa Mays. „Wenn Flint ein reicher Vorort wäre, dann wäre eine so hohe Bleibelastung niemals akzeptiert worden“, sagte Bürgermeisterin Weaver.
Seit Oktober wird Flint wieder aus Detroit mit Wasser versorgt. Allerdings schätzen Experten, dass die Rohre mittlerweile so stark beschädigt wurden, dass sie erneuert werden müssen. Die Kosten würden sich auf rund 1,5 Milliarden Dollar belaufen. Snyder versprach nach einer langfristigen Lösung zu suchen. „Dies ist eine Krise. Darauf reagieren wir entsprechend.“ Und die Reaktion kam dann auch direkt aus dem Weißen Haus. Der amerikanische Präsident Barack Obama rief die Stadt Flint letztes Wochenende den Umwelt-Notstand aus und unterzeichnete die entsprechende Erklärung am Samstag. Darum hatte der Gouverneur den Präsidenten gebeten, damit Hilfsgelder des Bundes fließen können. Seit diesem Zeitpunkt können die Anwohner bei der Feuerwehr für jeden Haushalt abgefülltes Wasser und einen Wasserfilter abholen. „Wenn ich ein Elternteil in Michigan wäre, wäre ich außer mir vor Sorge“, sagte Obama am Dienstag in einem Gespräch mit Bürgermeisterin Karen Weaver. „Es ist eine Erinnerung daran, dass wir nicht an der Grundversorgung unserer Bürger sparen dürfen“, sagte der Präsident am darauffolgenden Tag. Der Notstand bleibt voraussichtlich für 90 Tage bestehen. Solange können sich die Anwohner mit Flaschenwasser und Wasserfilter versorgen.
Das dieses Thema überhaupt bis ins Weiße Haus gelangte, ist der Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton zu verdanken. Sie warf den Behörden bei einer Fernsehdebatte der Demokraten am Sonntag Rassismus vor. „Wir hatten eine Stadt in den Vereinigten Staaten, in der die arme und überwiegend schwarze Bevölkerung bleihaltiges Wasser getrunken und darin gebadet hat. Und der Gouverneur hat so getan, als ginge ihn das nichts an“, so Clinton. Wäre dies ein Vorort mit überwiegend weisser Bevölkerung wäre viel eher was geschehen. Durch Hillary Clinton nahmen die nationalen Medien das Thema auf. Einen Tag danach entschuldigte sich Gouverneur Snyder gezwungener maßen. Er gab 28 Millionen Dollar frei, um bleihaltige Leitungen und Hähne in Schulen, Altersheimen und Spitälern zu ersetzen.
Den rund 8000 Kindern, die monatelang mit Blei verseuchtes Wasser getrunken haben, ist dies nur ein schwacher Trost. Das Schwermetall kann irreversible Schäden verursachen. Es zerstört Nervenzellen und das Gehirn. Gerade bei Kindern kann Blei Lern- und Verhaltensstörungen verursachen. Im Kinderkranenhaus Hurley wurden über 2000 kinder untersucht mit schrecklichen Ergebnissen. Mona Hanna-Attisha vom Kinderkrankenhaus Hurley machte noch vor Hillary Clinton auf das Problem aufmerksam, doch die Behörden wiesen ihre Sorgen von der Hand. „Es war frustrierend, dass es so lange gedauert hat“, sagt Hanna-Attisha.
Eigentlich war schon seit Sommer 2014 bekannt, dass das Trinkwasser mit Blei verseucht sein könnte. Das Umweltschutzamt ging dem allerdings nicht nach. Auch die Umweltbehörde EPA in Washington war informiert, doch die betrachtete sich als nicht zuständig. Der Gouverneur veröffentlichte am Mittwoch den E-Mailverkehr der letzten beiden Jahre. So soll festgestellt werden wer ab wann was wusste. Eine Mail besagt, dass selbst nachdem Ärzte über hohe Bleikonzentrationen im Blut einheimischer Kinder berichtet hatten, seitens des Staates nichts unternommen wurde. Laut New York Times müssten die Beamten der Stadt und nicht der Staat „damit klarkommen“. Weiterhin zeigen die E-Mails, dass selbst nachdem Tests positiv waren, die Behörden zögerten das Problem zuzugeben.
Zuletzt gab der Gouverneur zu, dass während der Zeit in der das Trinkwasser aus dem Fluss entnommen wurde in dem Bezirk die Legionärskrankheit aufgetreten sei. Zehn Menschen verstarben daran. Die Gesundheitsbehörde sagte jedoch, dass der Ausbruch nicht auf die Wasserversorgung mit Flusswasser zurückzuführen sei. Andere sind jedoch sehr wohl der Meinung, dass die Sparmaßnahme an all den gesundheitlichen Problemen schuld ist. Zwar haben die Anwohner nun Wasserfilter und abgefülltes Trinkwasser. Doch erstmal nur für 90 Tage. Die Sorge was danach kommt, und welche gesundheitlichen Konsequenzen sich noch nach den zwei Jahren Verzehr von Bleihaltigem Wasser zeigen werden, ist groß.