In Niedersachsen sind viele Stellen mit giftigem Bohrschlamm verunreinigt. Obwohl seit den 70er Jahren kein Bohrschlamm mehr aus der Öl- und Gasförderung direkt neben den Förderanlagen in Gruben gefüllt wird, liegen zehntausende Tonnen der giftigen Altlasten allein in Niedersachsen. Jetzt wurden die Altlasten auch in Wasserschutzgebieten nachgewiesen.
In vielen ländlichen Gebieten von Niedersachsen liegt giftiger Bohrschlamm aus der Öl- und Gasförderung. Sie stammen noch aus einer Zeit, als die Bohrschlämme ohne besondere Sicherungsmaßnahmen direkt an den Bohrplätzen vergraben wurden. Heute gelten sie als gefährlicher Sondermüll, weil sie unter anderem Schwermetalle wie Quecksilber, Arsen, radioaktiven Partikel wie Radium 226 und Mineralölkohlenwasserstoffe enthalten. Das zuständige Landesbergamt Niedersachsen hat zuletzt eine dieser „Altdeponien“ in einem Wasserschutzgebiet nachgewiesen. Die Behörde teilte mit, dass es hunderte solcher Gruben geben könne. Nach Angaben des Umweltministeriums gibt es in Niedersachsen mindestens 519 sogenannte Verdachtsfälle. Bundesweit gibt es mehr als 1.500 solcher Gruben. Betroffen sind die Bundesländer Bayern (170), Mecklenburg-Vorpommern (345), Schleswig-Holstein (100) und Brandenburg (400).
Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie schätzt die Anzahl der Bohrschlammgruben in Niedersachsen auf wenige hundert bis mehrere tausend. Lediglich 38 Gruben stehen unter Bergaufsicht und werden vom Landesbergamt beaufsichtigt. Alle anderen Gruben liegen in der Zuständigkeit der Landkreise, in denen sich die Gruben befinden. Eine Arbeitsgruppe recherchiert unter Leitung des niedersächsischen Umweltministeriums systematisch nach Bohrschlammgruben. Verdächtige Flächen können auch von Anwohnern gemeldet werden.
In einem Beitrag von Markt des NDR kündigte Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) an, dass sich die Industrie an den Analysekosten beteiligen werde. Das Umweltministerium und der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. haben eine Vereinbarung zur Förderung von Untersuchungen von Altlastenverdachtsflächen an Standorten ehemaliger Öl- und Bohrschlammgruben getroffen. Die Erdöl- und Erdgasunternehmen beteiligen sich demnach mit bis zu fünf Millionen Euro an den Analysen der Verdachtsflächen. Exxon Mobile erklärte zudem, dass auch die Kosten für eine Sanierung der Böden übernommen werden, wenn die Behörden einen Sanierungsbedarf feststellen.
Die Bauschuttdeponie Steimbke im Landkreis Nienburg/Weser muss jetzt dringend untersucht werden, denn es sind bereits vor Jahren giftige Schadstoffe ins Grundwasser gelangt, wie die Wasserproben bis 2009 zeigen. Doch irgendwie ist das vergessen worden, denn seit diesem Zeitpunkt wurden keine weiteren Wasserproben genommen oder Maßnahmen gegen die Verunreinigung unternommen. Der Pressesprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums, Stefan Wittke, erklärte der Fall sei liegengeblieben. Jetzt wurden jedoch erneut Wasserproben genommen. Ergebnissen wird es zu diesem Fall noch dieses Jahr geben.
Im Trinkwasserschutzgebiet Winsen/Stelle/Ashausen im Landkreis Harburg liegen zwei der untersuchten Schlammgruben. Laut Landesbergamt sind in einer der Gruben rund 5.000 Kubikmeter Bohrschlamm, der bis zu 4.241 Milligramm pro Kilogramm Mineralölkohlenwasserstoff enthält. Der unter dem Bohrschlamm liegende Sand enthält in der Trockensubstanz bis zu 20 Milligramm pro Kilogramm Mineralölkohlenwasserstoffe. Eine Gefahr für das Grundwasser sieht die Behörde allerdings nicht. Weiter Verdachtsflächen werden im Laufe des Jahres untersucht.
Anders sieht das bei einer Grube in Sothel im Landkreis Rotenburg aus. Eine Untersuchung des Sickerwassers ergab eine zehnfache Überschreitung des Prüfwertes für Chrom, wie Schadstoffexperten der Technischen Universität Harburg festgestellt haben. Sollte solch ein Wasser als Trinkwasser genutzt werden, müsste der Schadstoff von den Wasserwerken herausgefiltert werden. Diese Grube liegt jedoch nicht in einem Wasserschutzgebiet.
In Schleswig-Holstein könnte sich nach Angaben des Umweltministeriums an etwa 100 Orten giftiger Bohrschlamm befinden. „Es handelt sich hierbei um Verdachtsflächen, der Sachstand ist noch nicht geklärt“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Donnerstag in Kiel. Weitere Untersuchungen und ein Gutachten sind bereits geplant. Neun Trinkwassereinzugsgebiete gehören zu den Verdachtsflächen. „Ölrückstände können Potenzial haben, die Umwelt zu gefährden, in vielen Fällen aber dürfte von den Bohrschlammgruben gar keine Umweltgefahr ausgehen, da das abgelagerte Bohrgut keine Verunreinigung aufweist. Trinkwasser ist nicht gefährdet“, erklärte Umweltminister Robert Habeck (Grüne). „Das Trinkwasser ist sicher. Das Wasser wird so intensiv wie kein anderes Lebensmittel untersucht. Würden die Verdachtsflächen jedoch das Trinkwasser berühren, wäre das längst gesperrt worden. Auch dort kann man unbedenklich weiter das Wasser aus dem Wasserhahn trinken.“ Habeck verwies auf die kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) an die Landesregierung. Dr. Breyer fragte darin unter anderem welche dieser Gruben in Wasserschutzgebieten oder in Trinkwassereinzugsgebieten liegen und ob der Boden dort gesundheits-, umwelt- oder wassergefährdende Stoffe enthält.
Die Landesregierung antwortete hierauf: „Nach den der Landesregierung vorliegenden Angaben liegen vier Standorte in Wasserschutzgebieten und zusätzliche neun Standorte in Trinkwassereinzugsgebieten. Unter Bezug auf die Vorbemerkung kann diese Frage (zu Giftstoffen) nur im Einzelfall durch die zuständige uBB nach Abschluss der jeweiligen Altlastenbearbeitungsschritte beantwortet werden. Allgemein kann festgestellt werden, dass in Bohr- und Ölschlämmen typischerweise unterschiedliche Anteile von Mineralölen und Zusätzen aus dem Bohrprozess enthalten sind. Im Wesentlichen handelt es sich um Mineralölkohlenwasserstoffe mit unterschiedlichen Anteilen von polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Eine pauschale Aussage zur Toxizität der abgelagerten Schlämme ist nicht möglich.
Kann die Landesregierung eine Gefährdung von Mensch oder Umwelt durch diese Stoffe ausschließen (bitte begründen)?
Ob eine von den abgelagerten Abfällen ausgehende Gefährdung vorliegt, kann nur im Einzelfall nach Abschluss der Gefährdungsabschätzung durch die uBB beantwortet werden. Eine von den Standorten ausgehende akute Gefährdung insbesondere der Verbrauchergesundheit ist der Landesregierung bisher nicht bekannt. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ist das Gefährdungspotenzial für viele Standorte vergleichsweise gering einzustufen. Gleichwohl kann eine Gefährdung nicht für jeden Fall von vorn herein ausgeschlossen werden. Wird im Rahmen der Gefährdungsabschätzung eine schädliche Bodenveränderung festgestellt, greifen die üblichen bodenschutzrechtlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. c) Welche Schritte zur Untersuchung oder Sanierung sind gegebenenfalls geplant? Die Notwendigkeit einer Untersuchung oder Sanierung ergibt sich nach Entscheidung der zuständigen uBB im Zuge der Einzelfallbearbeitung aus dem Ergebnis des jeweiligen Arbeitsschrittes und kann nicht pauschal beantwortet werden.“
Nach Recherchen von NDR Info sind die Gruben quer über Schleswig-Holstein verteilt. Unter anderem befinden sie sich in Naherholungs- sowie in Wasserschutzgebieten – darunter Preetz, Schwentinental (beide Kreis Plön) und Glinde (Kreis Stormarn). Betroffene Trinkwassereinzugsgebiete sind laut Umweltministerium die Gemeinden Sterup (Kreis Schleswig-Flensburg), Schwedeneck (Kreis Rendsburg-Eckernförde), Boksee (Kreis Plön), Wacken (Kreis Steinburg), Lankau, Schwarzenbek, Escheburg (alle Kreis Herzogtum Lauenburg) und Grube (Kreis Ostholstein).
Wenn es zu Sanierungen und Entsorgung der Altlasten kommt, steht die Erdöl- und Erdgasindustrie in Deutschland vor einem großen Problem. Bei der Sanierung der drei alten Bohrschlammgruben Wietingsmohr, Eydelstedt und Emlichheim in Niedersachsen fielen in den vergangenen zehn Jahren etwa rund 720.000 Tonnen Giftmüll an. Da Niedersachsen jedoch über keine geeigneten Deponien verfügt, muss der Sondermüll in anderen Bundesländern entsorgt werden. 335.000 Tonnen wurden von der Firma Remondis nach Nordrhein-Westfalen auf die Sonderabfalldeponie Hürth-Knapsack in der Nähe von Köln gebracht. Rheinland-Pfalz hat 260.000 Tonnen Giftmüll erhalten. Die Behörden haben in rund 40 weiteren Gruben weitere zwei Millionen Kubikmeter giftiger Bohrschlämme erfasst. Nicht nur die Lagerung, sondern bereits der Transport dieser enormen Mengen beinhaltet Risiken. Es wurden bei ähnlichen Sanierungsvorhaben teils ungeeignete Fahrzeuge eingesetzt und es kam gefährlichen Zwischenfällen. So hatte sich eine Fahrerin bei der regelmäßigen Reinigung der Fahrzeuge eine mutmaßliche Quecksilbervergiftung zugezogen.