Lernt Deutschland aus den Fehlern der USA?
Fracking – die neue Energie-Zukunft, mit der Unternehmen wie Exxon Mobile, BNK Deutschland oder Wintershall die Gasvorkommen aus dem Schieferstein fördern wollen, bekommt in Deutschland reichlich Gegenwind – nicht allein durch Proteste der Bürger. Auch die Politik steht dieser Fördermethode immer skeptischer gegenüber. Beim Fracking handelt es um eine sogenannte “unkonventionelle Fördermethode” von Gas. Beim Hydraulic Fracturing, so die genaue Bezeichnung, wird Gas nicht aus großen unterirdischen Hohlräumen gefördert, sondern aus kleinen eingeschlossenen Gasvorkommen in porösem Gestein gewonnen, wie beispielsweise im Schiefergestein. Um an diese Vorkommen zu gelangen, wird mit einer Methode der geologischen Tiefbohrtechnik
eine Stützmittelflüssigkeit (Frac Fluid) durch eine Bohrung in eine Erdmantelschicht mit hohem Druck gepresst, damit dort Risse im Gestein erzeugt und stabilisiert werden können. Der Druck in dem zu frackenden Bereich muss dafür die geringste anliegende Spannung überschreiten und sobald dies geschieht, drückt die Flüssigkeit das Gestein gegen die geringste anliegende Spannung hin auseinander. Am Ende dieser Prozedur wird ein Teil der Flüssigkeit wieder zurückgepumpt, doch die beigefügten Additive (Chemikalien und Sand) verbleiben in den Rissen, um diese offen zu halten.
Der im Erdreich verbleibende Teil der Frac-Flüssigkeit in den Gesteinsrissen entwickelt mit den umliegenden Gesteinsoberflächen so starke Adhäsionskräfte, dass auch die stärksten Pumpen die Frac-Flüssigkeit nicht mehr an die Oberfläche pumpen können. Obwohl das Fracking umstritten ist, lässt sich allein dadurch ein wirtschaftlicher Abbau von diesen “unkonventionellen Gasvorkommen” erzielen. Es ist also klar, weshalb die Großkonzerne auch zukünftig mit allen Mitteln versuchen werden, diese Fördertechnik der Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Noch vor kurzem wurde dieses Thema von der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, doch seit bekannt ist, dass in Nordrhein- Westfalen neben deutschen Unternehmen auch amerikanische und australische Firmen mögliche Gasvorkommen erkunden, regt sich Widerstand. Besonders hinsichtlich Meldungen aus den USA und Australien, wo bereits seit etwa einem Jahrzehnt gefrackt wird und es dadurch gewisse Erfahrungswerte hinsichtlich Umweltverschmutzung, Trinkwasserverschmutzung und Gefahrenpotenzial für den Menschen gibt. In den USA sind mittlerweile rund 90 Prozent der Gasbohrungen gefrackt und es kommt regelmäßig zur Kontaminierung von Grund- und Trinkwasser. Sogar die Luft ist teilweise so stark mit krebserregenden Stoffen belastet, dass die ländlichen Gebiete eine Smogbelastung wie in Großstädten aufweist. Zwar weist die Gasindustrie jegliche Verantwortung zurück, aber die mehr als 800 Verstöße gegen Umweltvorschriften allein in den USA von Januar bis August 2011 sprechen eine deutliche Sprache. Abgesehen von den lockeren Reglementierungen scheinen die großen Konzerne die Probleme bei der unkonventionellen Gasförderung nicht in den Griff zu bekommen. Sehr deutlich wird die Gefahr des Fracking im Dokumentarfilm “Gasland” von Josh Fox dargestellt.
WARNENDES BEISPIEL “GASLAND” USA
In dem ersten Dokumentarfilm über den Gasförderboom in den USA werden die ökologischen Risiken nach mehr als einem Jahrzehnt Fracken sichtbar. Dabei kam Josh Fox eher unfreiwillig mit dem Thema “unkonventionelle Gasförderung” in Berührung. Im Mai 2008 erhielt der Filmemacher von einem Gasförderunternehmen ein schriftliches Angebot über rund 100.000 $ für die Pacht an seinem Grundstück, um die Gasvorkommen auf seinem Land zu erschließen. Bevor er sich entscheiden wollte, reiste er durch die vier Bundesstaaten Pennsylvania, New York, Ohio und West Virginia, um sich zu informieren, welche Folgen das für sein Land haben könnte. Was er daraufhin von Betroffenen zu hören und zu sehen bekam, ließ ihn nicht mehr los. Er bereiste vier weitere Bundesstaaten (Colorado, Wyoming, Utah und Texas), in denen schon seit über zehn Jahren gefrackt wird. Als um die Zeit des Jahrtausendwechsels Gas als schwindender Rohstoff galt, begannen Unternehmen wie Exxon Mobile oder Halliburton, die unkonventionelle Fördermethode Fracking einzusetzen, um an das Shale Gas (Schiefergas) heranzukommen. Das Land von Josh Fox selbst liegt im sogenannten Marcellus Shale (siehe Karte), dem größten Schiefergasvorkommen der USA. Nach der Entdeckung der vielen riesigen Shale-Gas-Vorkommen hat ab 2005 in den USA ein wahrer Fracking-Boom eingesetzt. Mehrere zehntausend Male haben sich die großen Energiegiganten mittlerweile in 34 Bundesstaaten der USA in das Erdreich gebohrt. Schön für die Konzerne, denn der amerikanische Gasmarkt ist heute mehrere Milliarden Dollar schwer.
Kein Wunder, dass sich das Gasland immer weiter ausdehnt. Seit der amerikanische Kontinent im Jahr 2009 Russland als weltweit größten Gaslieferanten abgelöst hat, greift das Frackingfieber auf andere Kontinente über. Wie gefährlich der Boom nach dem unkonventionellen Gas ist, zeigen Bilder in dem Dokumentarfilm, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Kilometerweite aneinandergereihte Bohrtürme, Sprinkleranlagen, die chemikaliengetränktes Wasser in die Luft sprühen, Wasserbrunnen, die aufgrund des Gases explodieren, Pferde und Katzen, denen die Haare ausfallen, Menschen mit Atemwegserkrankungen, fließendes Wasser aus Wasserhähnen, das brennt, wenn man ein Feuerzeug dranhält oder eine Luftverschmutzung wie in Los Angeles, obwohl dort nur ein Einwohner pro Quadratmeile lebt. „Wir erleben einen Umweltskandal, den die US-Regierung erst jetzt ernsthaft zu untersuchen beginnt – Jahre, nachdem der Förderboom begonnen hat“, sagte Josh Fox gegenüber SPIEGEL ONLINE und sieht in dieser Fördermethode eine “ökologische Katastrophe”. Ein wenig ins Absurde driftet der Film, wenn Josh Fox vor dem Hintergrund einiger Bohrtürme und Kompressoren mit einer Gasmaske den alten Song von Woody Guthries „This Land Is Your Land” auf seinem Banjo spielt, was die US-Gasindustrie auch gleich zum Anlass nimmt, diesen Film als unseriös zu bezeichnen.
Allerdings lassen sich Fakten, egal wie Sie filmisch umgesetzt werden, nicht von der Hand weisen. So gibt es unabhängig vom Film zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass durchaus für Umwelt und Mensch Risiken bestehen. So haben beispielsweise Einwohner aus Dimock/ Pennsylvania GasrückstaÅNnde im Grundwasser nachweisen können. Grund dafür waren schlecht zementierte Bohrlöcher, die durch Gesteinsschichten mit Grundwasser führten, so die Feststellung von Inspektoren. In einem anderen Fall ist es in einem Wohngebäude laut einem Bericht des Ohio Department of Natural Resources sogar zu einer Explosion aufgrund von gelöstem Gas im Trinkwasser gekommen. Hier lag es am durch Fracken aufgebrochenen Gestein. Laut der US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) verschmutzt jede einzelne Gasförderstätte Millionen von Litern Wasser, das nicht immer fachgerecht gereinigt werden konnte, da die Kläranlagen solche Mengen nicht bewältigen konnten. Die Organisation “The Endocrine Disruption Exchange” sammelt seit 2003 Informationen über die beim Fracken eingesetzten Chemikalien. Darunter sind Dutzende gesundheitsschädigende und krebserregende Stoffe. Vor dem Hintergrund, dass zwischen 15 und 80 Prozent des Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisches im Boden verbleiben und es kaum Untersuchungen zu den möglichen Folgen gibt, lässt sich nur erahnen, was für eine ökologische Zeitbombe in den Tiefen schlummert. „Die Energiekonzerne verweigern obendrein Informationen über die genaue Zusammensetzung vieler Chemikalien, die sie verwenden“, erklärt Theo Colborn, Gründerin von “The Endocrine Disruption Exchange”, gegenüber SPIEGEL ONLINE. Auch die Luftverschmutzung durch die eingesetzten Kompressoren ist beachtlich. In der Nähe der Anlagen wurden Emissionen gemessen, die von bestimmten Grenzwerten den Faktor 100 überschreiten. Handelt es sich hierbei um Einzelfälle oder um ein grundsätzliches Problem bei der Förderung von unkonventionellem Gas? Leider fehlen immer noch unabhängige Untersuchungen, obwohl seit Jahren überall in den USA gefrackt wird.
UMWELTGESETZE UMGANGEN
Josh Fox und viele andere Frackinggegner behaupten, dass der Gasboom in den USA nicht möglich wäre, hätte die Regierung die möglichen gesundheitlichen und umweltgefährdenden Risiken untersucht. Das flächendeckende Fracken in den USA ist keiner technologischen Innovation zu verdanken, denn die Technologie gibt es seit über 60 Jahren. “Die Innovation liegt vor allem in der breiten Anwendung des Prozesses“, wie es in einer Kurzstudie der Energy Watch Group und ASPO Deutschland bezeichnet wird. Und das wurde ermöglicht, weil die Regierung unter Bush strenge Umweltauflagen für die Gas- und Ölindustrie beseitigt hat. Mit der “Energy Bill”, die 2005 vom damaligen US-Vizepräsidenten und früheren Halliburton-Chef Dick Cheney durch den Kongress geboxt wurde, wurden Ausnahmen für die geltenden Umweltgesetze des Clean Air Act von 1970, Clean Water Act von 1972 und dem Safe Drinking Water Act von 1974 geschaffen. Ökoaktivisten nennen die Ausnahmen im Safe Drinking Water Act für die Gasförderung in großer Tiefe auch gerne das “Halliburton-Schlupfloch”. Seit der “Energy Bill” kam es zum großen Gas- Boom in den USA, da nur noch in Ausnahmefällen die EPA informiert werden musste, welche Chemikalien zum Einsatz kommen. Rechtfertigungen für die “Energy Bill” gehen von einer EPA Studie aus dem Jahr 2004 hervor. Der mittlerweile pensionierte EPA-Mitarbeiter Weston Wilson kritisierte damals die Studie, da wichtige Umweltrisiken nur ansatzweise untersucht worden waren. Nachdem der amerikanische Boden bereits zigtausend Mal durchbohrt wurde, holt die US-Regierung allmählich die Versäumnisse nach. Seit Beginn dieses Jahres fordert der Kongress genauere Informationen zu giftigen Chemikalien und Auswirkungen zu Luft- und Grundwasserverschmutzung. Auch die EPA prüft nach der “unzureichenden” Studie von 2004 nun in einer neuen Studie genauer die Auswirkungen des Fracking. Mit einer Veröffentlichung der neuen Studie wird 2012 gerechnet.
FRACKING IN DEUTSCHLAND
Dass Fracking ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial für die Umwelt und speziell für das Trinkwasser birgt, ist kaum von der Hand zu weisen. Dennoch sind bereits Genehmigungen zur Erkundung von Lagerstädten für eine Fläche halb so groß wie Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden. Beispielsweise hat BNK Deutschland ein großes Erkundungsfeld bei der Bezirksregierung Arnsberg beantragt. Die Fläche erstreckt sich grob gerechnet von Lippstadt im Norden über Paderborn und Marsberg im Osten und Soest im Westen bis nach Meschede im Süden. Bisher gab es für dieses Gebiet keine kommerziellen Erkundungsanträge. Deutschland – das neue Frack- Paradies für nationale und internationale Gasförderunternehmen? Ist die “unkonventionelle Gasförderung” innerhalb Deutschlands überhaupt noch aufzuhalten? Oder steht der Profit über der Erhaltung von Umwelt sowie Trinkwasser und damit über dem Schutz des Bürgers selbst?
DER WIDERSTAND WÄCHST
Es regt sich Widerstand in Deutschland und die kritischen Stimmen werden lauter. Bürgerinitiativen wie die “Interessengemeinschaft gegen Gasbohren” (IGGG), Bürgermeister vieler Gemeinden oder Politiker sprechen sich geschlossen gegen das Fracking in Nordrhein-Westfalen aus. Die einhellige Meinung lautet: Fracking? Nein, Danke! Jedenfalls nicht so wie bisher gefrackt wird. Bis auf die FDP haben sich alle Fraktionen im Landtag Nordrhein-Westfalens gegen dieses Gasgewinnungsverfahren ausgesprochen. 11 “Fracking ist eine Methode der Erdgasförderung, die wir ablehnen”, machte CDU-Fraktionsvorsitzender Karl-Josef Laumann seinen Standpunkt deutlich und ergänzte: “Toxische Stoffe gehören weder in den Boden noch ins Wasser”. Ein “unkalkulierbares Risiko” sieht auch der umweltpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion André Stinka: “Wir halten Erdgas-Fracking derzeit für zu gefährlich.” Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Einhaltung der Umweltstandards bei der Suche nach unkonventionellen Erdgasvorkommen absolute Priorität haben müsse, wie es schon auf dem Landtag im Mai in Emsdetten beschlossen wurde.
Eine politische Einigkeit über Parteigrenzen hinweg ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Dass sich auch seitens der Bürger der Kampf lohnt, zeigt der erste Teilerfolg der Nordwalder “Interessengemeinschaft gegen Gasbohren” (IGGG). Zwar raste der Vorsitzende Mathias Elshoff in den vergangenen Wochen und Monaten von Termin zu Termin, jagte unter anderem von einem Informationsaustausch zum nächsten, zu Mediengesprächen, zu Protestveranstaltungen oder traf Politiker. Trotz aller Anstrengung war dieses heikle Thema für ihn jede Entbehrung wert. Er widmete den Plänen von Exxon Mobile genauso viel Zeit wie seiner Landbäckerei und Familie. Rückblickend ist Elshoff zufrieden, denn “die Arbeit hat sich gelohnt”. Gemeint ist damit die geschlossene politische Haltung im Landtag. “Das haben wir bei unserer Gründung im vergangenen Jahr nicht in dieser Form erwartet”, wie Elshoff gegenüber den ”Westfälischen Nachrichten” sagte. Als “ausgesprochen aufbauend” empfinden es alle in der IGGG, dass es gelungen sei, der Thematik auf allen Ebenen genug Gewicht zu verleihen, dass es zu sachlichen Auseinandersetzungen zu Fracking gekommen ist. Der Großteil der Personen, die sich mit dem Thema beschäftigten, erkannten laut Elshoff schnell, dass Fracking nicht klimafreundlich ist und erhebliche Gefahren für Umwelt und Trinkwasser darstellt.
Allerdings sieht sich Mathias Elshoff trotz des beachtlichen Teilerfolgs noch lange nicht am Ziel. “Leider können wir uns noch nicht zurücklehnen. Denn das Bundesberggesetz ist nach wie vor veraltet und nicht ansatzweise geeignet, die Risiken heutiger Förderverfahren zu bewerten”, so Elshoff gegenüber den ”Westfälischen Nachrichten”. Genau da steckt der Teufel im Detail. Ob das Fracking in Deutschland gestoppt werden kann oder zumindest besser kontrolliert und Gefahrenquellen eliminiert werden können, ist heute noch nicht abzusehen. Neben Bürgerinitiativen sind auch viele Bürgermeister der betroffenen Gemeinden in Sorge und wehren sich ebenfalls gegen die Gasförderung durch Fracking. Kein Wunder, obliegt den Städten und Gemeinden doch die Trinkwasserversorgung. Somit schauen die Oberen der Gemeinden ganz genau auf die möglichen Gefahren, die sich für das Trinkwasser ergeben können. Schon Anfang September haben sich die Bürgermeister aus dem Kreis Warendorf und am 12. Oktober die 17 Bürgermeister des Kreises Borken mit einer Erklärung gegen die unkonventionelle Erdgasförderung ausgesprochen (siehe Pressemitteilung auf Seite 19). Deutschland wehrt sich auf allen Ebenen gegen das Fracking, doch die Großkonzerne werden sich das “unkonventionelle Gas” nicht so leicht nehmen lassen.
SIEGT DIE VERNUNFT ODER DIE PROFITGIER?
Es scheint augenscheinlich tatsächlich so, dass die Bürgerproteste, die Einwände der Politik und die der Bürgermeister das Fracking in Deutschland stoppen können oder zumindest so lange aufhalten, bis die Gefahren dieses Bohrverfahrens klar erkennbar sind und möglichst eliminiert werden. Auch zeigt sich Exxon Mobile mit dem ersten freiwilligen Fracking-Moratorium bereit, sich den Sorgen und Ängsten der Menschen nicht zu verschließen. Exxon Mobile hat laut NRW-Wirtschaftsministerium zugestimmt, dass die Anträge auf Probebohrungen in Nordwalde, Borkenwirthe und Dreinsteinfurt erst dann bearbeitet werden, wenn eine Studie des Landes zu den Risiken des Fracking abgeschlossen ist. Mit ersten Ergebnissen der Studie wird, ebenso wie in den USA, nicht vor 2012 gerechnet. So zuvorkommend und offen sich Exxon Mobile zeigt, bedeutet das noch lange nicht, dass die Gasförderung mittels Fracking aufgehalten ist.
Im Gegenteil zeigt sich das Potenzial vor dem Hintergrund folgender Einschätzung: Die Internationale Energieagentur schätzt die weltweiten Vorkommen unkonventionellen Erdgases fünfmal so hoch ein wie die herkömmlichen Gasvorkommen. Außerdem gibt es andere Mittel und Wege für die Großkonzerne, sich langsam dem Ziel der unkonventionellen Gasförderung zu nähern. So hat die Bezirksregierung im Oktober bestätigt, dass sie auf einen Erlass des Ministeriums wartet, der Bohrungen erlaubt, die technisch nicht zur Vorbereitung von Fracking geeignet sind. Das würde nicht für die beantragten Bohrungen von Exxon Mobile in Nordwalde gelten, doch die angekündigten Explorationsbohrungen von Wintershall könnten genehmigt werden. Diese dienen zwar der Vorbereitung zur Erschließung unkonventioneller Gasvorkommen, ermöglichen aber noch kein Fracking. Aber warum Felder erschließen, wenn diese später nicht auch ausgebeutet werden sollen? Langsam ernährt sich das Eichhörnchen, wie der Volksmund sagt und Schritt für Schritt nähern sich die Großkonzerne ihrem Ziel, in Deutschland zu fracken.
Diese unkonventionellen Gasvorkommen können nämlich nach heutigem Stand allein durch das Fracking- Verfahren gewonnen werden. Somit wäre der erste Teilerfolg der Frackinggegner, nämlich der Konsens, erst einmal die Studie abzuwarten, über Bord geworfen. Nach geltendem Bergrecht hält Umweltminister Remmel diesen vom Wirtschaftsministerium geführten Vorgang für möglich. Es findet sich halt immer ein Schlupfloch. Wintershall selbst will “die Sorgen der Bevölkerung zerstreuen”, wie es heißt. Wie das angesichts des offensichtlichen Gefahrenpotenzials dieser Gasfördermethode gehen soll, bleibt abzuwarten. Dass es bisher in Deutschland zu keinen Vorfällen gekommen ist, spricht nicht automatisch für die Sicherheit von Fracking. Tatsache ist vielmehr, dass Fracking hier in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt und es noch zu keinen dramatischen umweltschädlichen Vorfällen gekommen ist wie beispielsweise in den USA.
UNZULÄSSIGE CHEMIKALIEN
Dass ein Vorfall unkalkulierbare Risiken birgt, wird deutlich, wenn man sich die chemischen Stoffe ansieht, die in der Frackflüssigkeit eingesetzt werden. Einige dieser Stoffe sind nicht einmal zugelassen. Laut European Environmental Bureau hat eine Anfrage bei der European Chemicals Agency (ECHA) ergeben, dass diesen chemischen Stoffen die europäische Zulassung nach der REACH-Direktive fehlt. Aufgabe von REACH ist es, die nationalen Chemikalien-Richtlinien zu vereinheitlichen und Chemikalien zu registrieren, zu bewerten und zuzulassen bzw. zu beschränken. Liegt die Zulassung einer Chemikalie für einen bestimmten Zweck wie für das Fracking nicht vor, darf die Chemikalie nicht eingesetzt werden. Wörtlich heißt es: “Until any of these measures are taken, shale gas operators are not allowed to use a substance which does not fulfill REACH requirements in their activities.” (Bis alle Maßnahmen ergriffen worden sind, ist es den Schiefergas-Förderunternehmen nicht gestattet, eine Substanz zu verwenden, die nicht die REACH-Anforderungen erfüllt). Die ECHA hat für folgende Substanzen keine Zulassung finden können:
destillate (petroleum), hydrotreated light ethylene glycol ethylene glycol monobutyl ether glutaraldehyde hydrochloric acid isopropyl alcohol methanol polyacrylamide sodium hydroxide
Dennoch werden bzw. wurden einige dieser Chemikalien in Niedersachsen eingesetzt. Nach Meinung des European Environmental Bureau werden die Unternehmen jetzt schnellstmöglich die Registrierung nachholen, um Strafen zu vermeiden. Strafen können nur von den jeweiligen Mitgliedsstaaten erhoben werden. Derzeit überprüfen das European Environmental Bureau, Initiativen und Verbände sowie die Europäische Chemikalien-Agentur weiterhin mögliche Verstöße. Die europäische Kommission hat aktuell noch keine Meldungen über Verstöße vorliegen, was bedeutet, dass bisher weder Deutschland noch andere Mitgliedstaaten etwas der EU gemeldet haben.
LAGERSTÄTTENWASSER IST KEINE FRACKFLÜSSIGKEIT
Auch wenn es, wie gesagt, noch zu keinen Vorfällen beim Fracking selber gekommen ist, hat Exxon Mobile im Raum Rotenburg seine “Handschrift” im Grundwasser und Boden hinterlassen. Es handelt sich dabei um das knapp 400 Meter lange Leitungsnetz für Lagerstättenwasser, welches undicht ist. Nachdem in Hengstlage und Söhlingen ausgetretenes Benzol und Quecksilber gemeldet wurden, muss als nächstes bei Hemslingen an vier Stellen das Grundwasser abgesenkt werden. Die Absenkung von 7.500 Kubikmeter bzw. 7,5 Millionen Liter Grundwasser ist nötig, damit die Erde mit nicht näher erläuterten Chemikalien ausgetauscht werden kann. Auch hier werden kritische Stimmen laut. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Rotenburg bemängelt die Informationspolitik von Landkreis und Bergbaubehörde, da für diesen Fall auf eine UmweltvertraÅNglichkeitsprüfung verzichtet wurde. Damit war der Bund von vornherein von einer Beteiligung an der Untersuchung ausgeschlossen.
Erst auf Anfrage beim Landkreis erhielt der Bund nähere Informationen bezüglich des Austausches der Erde. Gerade im Hinblick auf die Fracking-Problematik in Nordrhein-Westfalen ist solch ein Informationsfluss hinter vorgehaltener Hand zwischen Großkonzern und den beteiligten Ämtern ein Schlag ins Gesicht. Wurde nicht seitens der gasfördernden Großkonzerne von Offenheit gesprochen? Wollte man nicht “die Sorgen der Bevölkerung zerstreuen”, wie es Wintershall ausdrückte? Exxon Mobile hat sich hierbei nicht von der besten Seite gezeigt. Auf der Internetseite des Unternehmens werden die Kritiker des Fracking sogar noch verhöhnt, würden sie doch nicht einmal den Unterschied zwischen Frack- Füssigkeit und Lagerstättenwasser kennen. Aber dass es trotzdem zu einer Kontaminierung von Erdboden und Trinkwasser kam, fand Exxon Mobile in keinster Weise erwähnenswert. Der Vorfall in Hemslingen ist ein gutes Beispiel für eine völlig verfehlte Informationspolitik. Wie soll es dann beim Fracking aussehen? Informationspolitik nach demselben Muster? Fest steht, ob es nun Frack-Flüssigkeit oder Lagerstättenwasser im Fall Hemslingen war– was macht das am Ende für einen Unterschied, wenn das Trinkwasser und die Umwelt kontaminiert werden? Für den Bürger und die Gemeinden zählt nur, dass seit Jahren krebserregende Stoffe in den Boden diffundiert sind und dies möglichst verheimlicht wird.
So hat auch bereits im März 2011 der Wirtschaftsminister von Niedersachsen Jörg Bode (FDP) in Panorama das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) kritisiert. 2007 war es nämlich durch einen Unfall auf dem von Exxon Mobile betriebenen Gasfeld Söhlingen zu Verunreinigungen des Grundwassers gekommen. Die dem Wirtschaftsminister unterstehende Behörde hatte drei Jahre gebraucht, um mit Untersuchungen anderer Gasfelder auf vergleichbare Gefahren zu beginnen. “Der Zeitraum ist wirklich relativ lang, und ich finde auch, dass er zu lang ist”, so Wirtschaftsminister Bode. Für Deutschland sollten die USA eine Warnung sein und das Fracken solange unterbunden werden, bis genaue Studien und Untersuchungen vorliegen. Zudem sollte es strengste Auflagen geben, um das Gefahrenpotenzial von Fracking zu eliminieren. Das schlichtweg Beste wäre es natürlich, das Fracken in Deutschland erst gar nicht zu erlauben, denn Trinkwasser ist immer noch ein wertvollerer Rohstoff als Gas. Für Gas gibt’s Alternativen – für sauberes Trinkwasser nicht.