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Flugrouten gefährden Trinkwasser

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Bürger protestieren gegen neue Flugrouten über den Berliner Müggelsee


Die Probleme um den neuen Großflughafen Schönefeld haben dafür gesorgt, dass der geplante Termin für die Eröffnung nicht eingehalten werden kann. Mittlerweile wurde der Termin dreimal verschoben, und die Eröffnung soll nun am 27. Oktober 2013 stattfinden. Das Großprojekt hat mit mehreren Problemen zu kämpfen. Eines davon betrifft das Trinkwasser. Aufgebrachte Bürger sehen im Flughafen Schönefeld eine Gefahr für den Müggelsee und somit auch für das Trinkwasser, denn in diesem Gebiet Berlins wird das Trinkwasser aus Oberflächenwasser gewonnen.

Neun Bürger aus Berlin- Friedrichshagen haben gemeinsam mit dem Landesverband der Naturfreunde Deutschlands die Kanzlei Baumann Rechtsanwälte beauftragt, gegen die geplanten Flugrouten über den Müggelsee vorzugehen. Ende Juli wurde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) Klage gegen die Festlegung der Flugrouten eingereicht mit der Begründung, es seien wesentliche Umweltschutzprüfungen unterlassen worden. Die endgültige Festsetzung der Flugrouten wurde vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung erst im Januar 2012 vorgenommen. Zuvor gab es keine Flugroute über den Müggelsee. „Die Route ist grob rechtswidrig. Wäre sie bereits bei der Planfeststellung bekannt gewesen, hätte es diesen Standort nicht gegeben“, argumentiert Rechtsanwältin Franziska Heß. Die Berliner aus dem südostlichen Teil wurden jahrelang in dem Glauben gelassen, nicht betroffen zu sein, womit der Grundsatz des Vertrauensschutzes missachtet wurde. Des Weiteren habe es keine Umweltschutzprüfungen gegeben. „Das widerspricht dem Bundesnaturschutzgesetz und dem Berliner Naturschutzgesetz, aber auch europäischer und nationaler Gesetzgebung“, so Rechtsanwältin Heß weiter. Es gab weder Untersuchungen zur Auswirkung des Flugverkehrs auf die Flora und Fauna rund um den See, noch wurde untersucht, welche Folgen für das Trinkwasserschutzgebiet der Region entstehen könnten. Die Klage der Bürger und des Landesverbands der Naturfreunde Deutschlands wird vom Bürgerverein Friedrichshagen finanziert.

Auch die Friedrichshagener Bürgerinitiative hat Klage eingereicht. Die Bürger fühlen sich getäuscht, nachdem sie durch Recherche erfahren haben, dass die Planungsgesellschaft Schönefeld sogar nach Aufforderung untätig blieb. Beim Aktenstudium im Brandenburger Infrastrukturministerium entdeckten sie einen Brief vom Referatsleiter für Luftfahrt, der bereits im Juni 1998 bei der Projektplanungsgesellschaft Schönefeld deutlich nachfragte, weshalb die Wasserwerke Johannisthal, Altglienicke, Köpenick, Rahnsdorf, Friedrichshagen, Eichwalde und Rangsdorf einschließlich ihrer Trinkwasserschutzzonen „nicht oder nur teilweise“ in den Untersuchungsraum einbezogen werden. Der Müggelsee, der einen Großteil des Ostberliners Trinkwassers ausmacht, sei bei der UmweltvertraÅNglichkeitsprüfung beinahe völlig unbeachtet geblieben. In dem Schreiben wurde verlangt, dass die Planer die Auswirkungen auf Grundwasserstände und -mengen untersuchen sollen. Zudem müssten Notfallszenarien mit entsprechenden Maßnahmen entwickelt werden, falls es im schlimmsten Fall doch zur Trinkwasser- und Umweltgefährdung kommt. Gefordert wurde überdies eine kontinuierliche Überwachung des Grundwassers, um eventuelle Auswirkungen über einen längeren Zeitraum zu erfassen. Obwohl auch andere Behörden wie das Landesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe verlangten, das Gebiet um den Müggelsee in die Untersuchungen einzubeziehen, habe die Planungsgesellschaft nicht auf die Forderungen reagiert.

Aus dem Protokoll einer Expertenrunde, welche die Gebiete für die Umweltuntersuchung mit festlegen sollte, ist nicht ersichtlich, warum der Untersuchungsraum Wasser vor den Brunnengalerien im Bezirk Köpenick endet. „Damals hieß es immer, dass die Gebiete ja nicht von den Flugrouten betroffen seien“, erklärt Corinna Ludwig, Sprecherin der Friedrichshagener Bürgerinitiative. Im damaligen Planfeststellungsbeschluss war eine Flugroute über den Müggelsee nicht vorgesehen, und deshalb taucht dieses Gebiet in den Plänen zur Umweltverträglichkeit gar nicht auf. Heute steht allerdings fest, dass der Müggelsee betroffen ist, und der Senat macht es sich einfach, indem er auf den Planfeststellungsbeschluss verweist, der eine Belastung der Gewässer ausschließt – paradox. Senat und Berliner Wasserbetriebe bleiben bei ihrer Meinung, dass es keine Gefährdung für das Trinkwasser gebe. „Es gibt sicher insgesamt für Gewässer, die überflogen werden, eine höhere Belastung, aber keine nachweisbare Gefährdung der Trinkwasserqualität“, so Daniela Augenstein, Sprecherin von Umweltsenator Michael Müller (SPD). Die Berliner Wasserbetriebe verweisen auf den Flughafen Tegel. Dort habe es nach all den Jahren des Flugbetriebes laut BWB-Sprecherin Astrid Hackenesch-Rump keine nachteiligen Auswirkungen auf das Trinkwasser gegeben. Der Vergleich zwischen Flughafen Tegel und Flughafen Schönefeld hinkt. „In Tegel wird das Trinkwasser aus Tiefbrunnen gewonnen, am Müggelsee aus Oberflächenwasser.

Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Wenn die Gebiete ohne Umweltverträglichkeitsüberprüfung überflogen werden sollen, bedeutet das einen gravierenden Verstoß gegen das Umweltrecht. Wenn man in 30 Jahren feststellt, dass das Trinkwasser verseucht ist, ist es zu spät“, erklärt die Sprecherin der Friedrichshagener Bürgerinitiative Corinna Ludwig. Auch Berufsfischer und Fischervereine sehen durch die Flugrouten über den Müggelsee eine große Gefährdung der Flora und Fauna, die am Ende auch viele Berliner betreffen wird. Berufsfischer Andreas Thamm macht sich so seine Gedanken über die Zukunft des Müggelsees. Fische gibt es im Müggelsee genug, doch ob sie in ein paar Jahren noch für den Verzehr geeignet sein werden, bezweifelt er. Er rechnet mit einer zunehmenden Belastung von Schadstoffen, wenn zukünftig Flugzeuge nur wenige Hundert Meter über seinem Kopf hinwegfliegen. Diese Befürchtung haben auch Kurt Schreckenbach, der früher am Institut für Binnenfischerei Potsdam gearbeitet hat, und der stellvertretende Vorsitzende der Köpenicker Fischervereinigung Rüdiger Spangenberg. Beide beschäftigen sich intensiv mit den möglichen Folgen für den See, wenn täglich mehr als 125 Passagierflugzeuge die Müggelsee-Flugroute nutzen.

Nach Einschätzung Schreckenbachs, der sich dabei auf die Recherche ihm zugänglicher Quellen beruft, werden über hundert verschiedene Schadstoffe, darunter stark toxische wie Dioxin, von den Flugzeugen abgegeben. Bei den Tiefflügen können bis zu 68 Prozent unverbrannte Kerosinbestandteile in die Luft gelassen werden und dann zu Boden sinken. Schreckenbach beruft sich auf Berichte über Ölfilme auf Gartenteichen, die in der Nähe der Flughäfen Frankfurt/Main und Flughafen Tegel liegen. Der Cocktail diverser Schadstoffe birgt die größte Gefahr, schätzen Schreckenbach und Spangenberg. Bereits kleinste Mengen sind bei vielen von ihnen stark toxisch. Gelangen sie ins Wasser, sind Wasserpflanzen und Tiere direkt betroffen. Zudem dienen sie Fischen als Nahrungsmittel und reichern sich dann im Fisch an, der über kurz oder lang ungeeignet für den Verzehr wird.

Ganz abgesehen von den Auswirkungen auf das Flora-Fauna-Habitat. Ist der Schaden erst entstanden, ist er auch nicht so schnell zu beheben. Dioxin zum Beispiel hat eine lange Halbwertzeit und würde über Jahre im Gewässer bleiben. Daher sieht Schreckenbach auch eine direkte Gefahr für das Trinkwasser, denn rund um den Müggelsee ist nun mal eines der größten Trinkwasser- und Naherholungsgebiete Berlins. Früher oder später sind wegen des Trinkwassers alle Berliner betroffen. Die direkte Gefährdung des Müggelsees ermöglicht noch eine weitere rechtliche Vorgehensweise. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz ist für die Müggelsee-Flugroute eine wasserrechtliche Genehmigung nötig, wie Spangenberg erklärt. Eine ausreichende Klagebefugnis fehlt der Fischervereinigung, aber nicht den Berufsfischern. Es gibt noch viele offene Fragen, die vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geklärt werden müssen. Vielleicht werden ja noch weitere Klagen eingereicht. Ob der Flughafen seinen Betrieb am 27. Oktober 2013 wirklich aufnehmen kann, bleibt abzuwarten. Und sollte der Flughafen diesmal pünktlich eröffnen, ist zu hoffen, dass eine Gefährdung des Müggelsees und des Trinkwassers ausgeschlossen ist.

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