Vergangenheit und Zukunft sind nicht existenziell, sie gibt es nicht mehr bzw. noch nicht. Nur die Gegenwart ist das, was IST. Alles, was ist, IST JETZT – ob uns das passt oder nicht! Dennoch leben die meisten Menschen geistig entweder „in den guten alten Zeiten“ oder in der Zukunft, die einem hoffentlich etwas Gutes bringen wird. Für die meisten Menschen stellt die Zukunft somit eine Art Hoffnung dar, während die Vergangenheit mit all den vergangenen Erfahrungen unser heutiges Verhalten bestimmt. Doch damit verpassen wir das wahre Leben und werden unglücklich und ängstlich oder melancholisch.
Es ist so, als würde man einem alten Bus, den man verpasst hat, nachtrauern oder an einen Bus denken, der erst nächsten Monat kommt – während der jetzige Bus vor einem steht und darauf wartet, dass man einsteigt. Verinnerlichen wir uns das bitte: Zwischen den beiden Polen GESTERN und MORGEN liegt das WAHRE LEBEN, das Jetzt, die Ewigkeit. Und nur dort begegnen wir der wirklichen Existenz – alles andere ist Schein, unreal, nicht echt.
Nur jene Menschen träumen von der Zukunft, die die Gegenwart noch nicht bewusst kennen gelernt haben. Und Bewusstheit existiert nur in der Gegenwart, nirgendwo sonst. Ein wirklich bewusster Mensch verhält sich der gegenwärtigen Situation entsprechend, ohne darüber nachzudenken. Bewusstheit entspringt einem inneren Impuls, ohne dafür den Verstand zu benutzen. Ein unbewusster Mensch hingegen verhält sich nach vorgefertigten Denkmustern, die aufgrund von vergangenen Erfahrungswerten im Verstand gespeichert sind. Der bewusste Mensch vertraut auf seine jeweiligen Impulse, die von Situation zu Situation anders ausfallen – so dass er selbst nie genau vorhersagen kann, wie er sich verhalten wird, da das von Einzelfall zu Einzelfall unterschiedlich ist.
Ein Kleinkind lebt in der Gegenwart, es denkt nicht an die Vergangenheit, denn es ist so jung, dass es (in diesem Leben) noch keine richtige Vergangenheit hat. Wenn es wütend ist, ist es wütend. Wenn es fröhlich ist, ist es fröhlich. Es interessiert sich nicht darum, was Eltern, Lehrer, Gelehrte oder sonst jemand dazu zu sagen haben. Es unterdrückt seine Gefühle nicht und deshalb ist es auch in der Lage, von einer Sekunde auf die nächste die Wut loszulassen und danach wieder von Herzen zu lachen. Es lebt von Augenblick zu Augenblick, das gesamte Leben ist für ein Kind noch eine wunderbare Forschungsreise, jeder Tag ist aufregend und bringt etwas Neues, das Leben ist etwas Geheimnisvolles und man lernt ständig dazu. Kleinkinder sind offen für das Leben und für all seine „Ungewissheiten“ – und so „schmeckt“ das Leben am besten.
„Wie das Kind, ist auch der Weise jemand, der über alles staunen kann.“ (aus Tibet)
Viele erwachsene Menschen versuchen glückliche Momente zu „konservieren“, indem sie Fotos schießen. Man versucht freudvolle Momente festzuhalten. Ein Mensch der Gegenwart versucht solche Momente nicht festzuhalten, nein, er schafft ständig neue glückliche Augenblicke, so dass er den Vergangenen nicht nachtrauert. Er nimmt alles so, wie es ist und geht darin auf. Er braucht nichts mehr loszulassen, denn er ist so präsent im gegenwärtigen Augenblick, dass er vollkommen frei ist vom Anhaften. Er weiß, dass man sich auf das Leben nicht vorbereiten muss, dass das Leben nicht irgendwo in der Zukunft auf ihn wartet, sondern dass das Leben genau HIER und JETZT stattfindet, dass das Leben eine ständige Premiere ist. Der gegenwärtige Lebensmoment ist unser Kraftpunkt, dort liegt unsere Macht, dort zu leben bedeutet in der Ewigkeit zu leben.
Ich selbst spiele gern mit Kindern, denn sie sind die lebendigsten Menschen der Welt und in solchen Momenten werde ich selbst wieder zum Kind. Ich singe, ich lache, ich laufe, ich tanze – und das alles ohne den Verstand einzusetzen, ohne in die Zukunft abzuschweifen oder in der Vergangenheit festzustecken. Es ist ganz egal, ob ich dabei albern wirke. Es ist auch egal, ob es regnet und ich nass werde. Ebenso ist es egal, ob ich hinfalle und meine Kleidung schmutzig wird. All das ist belanglos, denn der gegenwärtige Augenblick ist das Einzige, was zählt, ich lasse meiner Verspieltheit freien Lauf, bin zeitlos und entziehe mich der Kontrolle des Verstandes. Ein Mensch in diesem Zustand lässt das Leben in sich „rein“. Und damit meine ich das Leben in seiner ganzen Fülle und Vielfalt. Das Leben besteht aus vielen verschiedenen Seiten und genau das macht das Leben aus. Ein Mensch in solch einem Zustand vertraut dem gegenwärtigen Moment, er vertraut dem Leben, denn er weiß, dass das Leben das große Ganze ist und die Menschen nur ein Teil davon. Und das große Ganze ist immer klüger als die Teile. Jeder Moment, ganz gleich ob er uns glücklich oder unglücklich macht, ist ein Teil unseres Lebens und verdient unsere Wertschätzung.
Die wichtigste Frage zum Schluss: Wie gelangen wir ins JETZT? Indem wir uns nicht anstrengen und nicht bemühen, ins JETZT zu gelangen. Je mehr wir uns anstrengen und darüber nachdenken, wie wir in der Gegenwart sein können, umso schwerer wird es. Doch wie geht es dann? Nichts einfacher als das: Gehe in die Natur, setze Dich ins Gras und beobachte die Vögel, die Bäume, die Schmetterlinge. Beobachte sie, werde eins mit ihnen, genieße ihren Anblick, denn dann wirst Du frei von Vergangenheit und Zukunft, dann bist Du im JETZT angekommen. Und das JETZT ist eine ständige Neugeburt, eine ewige Wandlung, eine nie endende Transformation. Und in diesem Zustand ist man ein authentischer Mensch. Man macht z.B. keine Versprechungen für den nächsten Tag, man kann nur etwas über den gegenwärtigen Augenblick sagen. Ein solcher Mensch weiß, dass jemand, der heute etwas für morgen verspricht, nächsten Tag bereits ein anderer Mensch ist. Das Versprechen wäre also von einem anderen Menschen. Im JETZT leben bedeutet vollkommen erfüllt vom aktuellen Moment sein.
Dragica Alsalk
www.bewusstseinszentrum.de