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Chirurg will 2017 Kopf transplantieren

Im FocusChirurg will 2017 Kopf transplantieren

Medizinische Sensation oder Wahnsinn? Die Fachwelt ist in Aufregung. Der italienische Neurochirurg Sergio Canavero aus Turin ist ein Mann voller Visionen. Er plant den Kopf des russischen Informatikers Valery Spiridonov, welcher sich im Endstadium eines tödlich verlaufenden Muskelschwunds befindet, auf einen anderen Körper zu transplantieren.

Es klingt wie aus einem Science-Fiction Roman. Der Geist ist klar und gesund, doch der Körper verfällt. Was bleibt, ist den Kopf auf einem neuen Körper setzen. Das so etwas eines Tages möglich sein wird, ist nur eine Frage der Zeit. Die Zeit scheint nun gekommen. Kritiker haben eher das Bildnis von Frankenstein im Kopf und Theologen halten das für einen Eingriff in Gottes Werk. Zweifelsohne wäre es eine Sensation und eine enorm medizinische Errungenschaft.

Der Neurochirurg Sergio Canavero ist davon überzeugt, dass es möglich ist und will diesen sensationellen Schritt wagen. In wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie dem „Science Alert“ oder „New Scientist“ stellt er seine ernstzunehmenden Pläne seines „Head Anastomosis Venture“ (Kopf-Verbindungs-Projekt) vor. Er plant die Kopftransplantation schon 2017 durchzuführen. Es mangelt ihm nur noch an der Finanzierung. Mittels Vorträgen sucht er nach Sponsoren. Nach Schätzungen von Fachleuten würde die Transplantation etwa zehn Millionen Euro kosten. Es braucht ein Team von 150 Ärzten und Schwestern um die 36-stündige Operation durchzuführen.

Zuerst soll der Körper des hirntoten Spenders heruntergekühlt werden, damit die Zellen so lange wie nur möglich ohne Sauerstoff überleben können. Anschließend soll mit höchster Präzision der Kopf vom Körper getrennt werden. Zuerst wird das Gewebe rund um den Hals entfernt. Die Schnittstellen werden gekühlt und winzige Röhrchen werden an die Hauptgefäße angelegt. Dann wird das Rückenmark durchtrennt. Im nächsten Schritt wird der Kopf von Valery Spiridonov auf den Körper des Spenders gesetzt und das Rückenmark und die Nervenstränge verbunden. Dabei käme auch eine Chemikalie namens Polyethylenglycol, kurz PEG, zum Einsatz. Diese dient zum verschmelzen des Fetts der Zellmembranen von Kopf und Körper, womit die Enden des Rückenmarks miteinander verbunden werden. Dieser Vorgang muss über Stunden wiederholt werden. Erst danach können Blutgefäße und Muskeln miteinander verbunden werden.

PEG wurde bereits erfolgreich an Ratten und Hunden erprobt. Über die medizinische Verwendbarkeit wird in vielen unterschiedlichen Bereichen geforscht. Eine Studie der amerikanischen Purdue University zeigt, dass PEG-Injektionen nach Wirbelsäulenverletzungen bei Hunden den Heilprozess beschleunigen, irreparable Schäden an der Wirbelsäule therapieren und somit Querschnittlähmungen verhindern konnte. Doch ist noch nicht geklärt wie der Heilmechanismus von PEG funktioniert und ob es bei der Anwendung im menschlichen Körper vergleichbare Erfolge wie im Tierversuch erzielt werden können.

Um beim Heilungsprozess nach der Transplantation größte Erfolgschancen zu haben, wird der Valery Spiridonov in ein vierwöchiges künstliches Koma versetzt, damit dieser sich nicht bewegt. Eingepflanzte Elektroden werden mittels Signale das Wachstum der Nervenverbindungen stimulieren. Canavero erklärt, dass auch andere Methoden in Frage kommen könnten, wie injizierte Stammzellen oder selbst regenerierende Zellen, die Brücken in das Rückenmark schaffen könnten.

Sergio Canavero erwartet, dass Valery Spiridonov nach dem Erwachen aus dem künstlichen Koma sein Gesicht spüren und bewegen kann. Ebenfalls sollte der Patient auch mit derselben Stimme wie zuvor reden können. Nach einer einjährigen Physiotherapie sollte er wieder gehen können. Dieses Operationsverfahren soll nach Canavero die Lebenszeit von Menschen verlängern, die an fortgeschrittenen Krebs oder unter einer Degeneration ihrer Muskeln und Nerven leiden.

Der Gedanke der Kopftransplantation ist nicht neu. Viele Mediziner vertreten die Ansicht, dass so etwas prinzipiell möglich ist. Bereits Jahrzehnte zuvor wurde es an Affen und Hunden ausprobiert. In Russland schuf ein Mediziner einen zweiköpfigen Hund. Dieser lebte allerdings nur wenige Tage. Mehrmals waren Forscher in den 60ern erfolgreich Köpfe von Affen, Ratten und Hunden auf andere Körper zu transplantieren. Das schwierigste bei den Versuchen war immer das Rückenmark erfolgreich zu verbinden, damit die Tiere sich anschließend auch bewegen konnten. Canavero ist sich sicher, dass sich seitdem viele neue Errungenschaften in der Medizin ergeben haben. Nach dem heutigen Stand der Technik, welche es ermöglicht schwerste Verletzungen am Rückenmark zu beheben, ist es realistisch die Transplantation erfolgreich abzuschließen. Dennoch räumt er ein, dass die Verbindung des Rückenmarks der schwerste Teil sein wird.

1970 gelang es einem Chirurgenteam in Cleveland, Ohio den Kopf eines Rhesusaffen zu transplantieren. Dieser konnte sich aber nicht bewegen und musste künstlich beatmet werden. Weil das Immunsystem streikte, verstarb der Affe nach neun Tagen. Der amerikanischen Forscher Robert White schaffte es im Jahre 2001 einen Affenkopf auf einen anderen Körper zu transplantieren. Dieses Versuchstier war anschließend bei Bewusstsein und konnte sehen, hören, schmecken sowie riechen. White ist ebenfalls davon überzeugt, dass es eines Tages möglich ist den Kopf eines Menschen auf einen anderen Körper zu transplantieren. In einem Interview mit BBC erklärte White das er verstehe, dass diese Art von Operation auf viele Menschen grotesk wirkt, aber ethische Fragen sollten auch bei anderen Arten von Transplantationen gestellt werden.

„Bei jedem Entwicklungsschritt – Niere, Herz, Leber und so weiter – wurden ethische Überlegungen getroffen, insbesondere beim Herz, das für viele Menschen und Wissenschaftler ein großes Thema ist“, sagte White. 2013 gelang es dem Chinesen Ren Xiaoping den Kopf einer Maus zu transplantieren. Xiaoping sagt das Canavero sein Vorhaben auf seine Grundlagen aufbaut. In einem Bericht der chinesischen Volkszeitung erklärte er: „Vergangenes Jahr hat er mich kontaktiert und um Rat für die Operation gefragt“.

Der Chirurg ist schon zuvor mit seinem Vorhaben in Erscheinung getreten. 2013 sagte er der Fachzeitschrift New Scientist „Wenn die Gesellschaft diese Operation nicht möchte, werde ich es nicht tun. Aber wenn die Menschen es in Europa oder den USA nicht wollen, heißt das nicht, dass es nicht irgendwo anders passiert.“

Einen Freiwilligen hat Canavero auch schon. Der 30-jährige russische Informatiker Valeri Spiridonow stellt sich für diese gewagte Operation zur Verfügung. Spiridonow leidet seit seiner Kindheit an einer spinalen Muskelatrophie (Morbus Werdnig-Hoffmann), eine Krankheit, bei der jede Nervenzelle im Rückenmark abstirbt die für den menschlichen Bewegungsapparat benötigt wird. Mit zunehmendem Muskelschwund führt dies unausweichlich zum Tod. Spiridonow sitzt im Rollstuhl und leidet unter starken Verformungen seiner Gliedmaßen. Spiridonow ist sich der Risiken der Transplantation bewusst. „Ich weiß, dass ich sterben kann. Aber ich mache keinen Rückzieher mehr, so der Russe. Er sieht in dieser Operation seine letzte Hoffnung. „Ich brauche einen neuen Körper. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, mit diesem zu leben“, so Spiridonow. „Ich brauche Hilfe, jeden Tag, jede Minute“.

Nach seinen Angaben hätten der Schwund von Muskeln, Gewebe und Organen längst zum Tod führen sollen. Spiridonow sagte, dass er nicht mehr viel Zeit habe und als er vor zwei Jahren von dem Vorhaben von Canavero hörte, wollte er der erste sein. „Du fühlst dich wie der Held eines Science-Fiction-Romans, fast so, als würdest du in den Kosmos fliegen“, erklärt der Informatiker. „Diese Technologie ist mit dem ersten Menschen im Weltall vergleichbar. Möglicherweise wird sie in der Zukunft tausenden Menschen helfen, die in einem bedauerlicheren Zustand sind als ich“.

Die medizinischen Komplikationen und Kritiken aus Medizinerkreisen sind nicht die größte Sorge des italienischen Chirurgen, denn „der wahre Stolperstein ist die Ethik“. „Wenn die Gesellschaft es nicht will, werde ich es nicht machen“. Körper und Geist seien eins sagen Geistliche der russisch- orthodoxen Kirche. Schon bei kleineren Organtransplantationen stellt sich die Frage nach der Definitionen des menschlichen Lebens. Welche Organe dürfen entnommen werden und was definiert das „Ich“, den Geist und die Seele. Liegen alle Erinnerungen nur im Gehirn oder hat jedes Körperteil, jede Zelle ein eigenes Gedächtnis. Neuen Erkenntnissen zu folge bilden sich wichtige Hormone und Botenstoffe im Darm. Einen ganzen Körper zu transplantieren wirft noch viel mehr ethische Fragen auf als dies bereits bei einzelnen Organen der Fall ist. Zu bedenken ist auch, das bei einer einzigen Kopf-Körper Transplantation zahlreiche Organe in Anspruch genommen werden, welche vielen Patienten das Leben retten könnten. „Sollte so ein Eingriff überhaupt durchgeführt werden? Es wird offensichtlich viele Menschen geben, die das nicht so sehen“, so Canavero.

Auch der Neurologe Doktor Rafael-Michael Löbbert ist der Meinung, dass dieses Vorhaben von ethischer Seite mehr geklärt sein sollte, „wie der Frage nach dem Sitz des ‚Ichs‘ und der Seele des Menschen“. Auch sollten die psychischen Probleme des Patienten deutlich erörtert werden. „Depressionen, Identitätskrisen sowie Störungen der Selbstakzeptanz und Selbstwahrnehmung sind zu erwarten, wenn der Patient sich plötzlich in einem anderen Körper wiederfindet“, so Löbbert. Zudem kann niemand mit Gewissheit sagen wie ein Patient auch seelisch mit einem neuen Körper klar kommt. Der Direktor der Transplantationsmedizin an der Uni-Klinik Münster, Professor Doktor Hartmut Schmidt, ist der Auffassung das Canavero´s Projekt grundsätzlich möglich wäre. „Sollte das Problem der Verknüpfung des durchgeschnittenen Rückenmarks lösbar sein, ist solch eine Transplantation in der Tat zukünftig technisch denkbar“, sagt der Experte. „Dieses dürfte aber nicht in naher Zukunft zu erwarten sein“. Professor Schmidt geht aber nicht davon aus, dass solch ein Vorhaben in Deutschland möglich wäre. „Wir haben in Deutschland bis heute nicht einmal zur Extremitätentransplantation eine klare Stellungnahme der Bundesärztekammer wie diese umzusetzen sei“, so der Arzt. Ein Transplantationsversuch wie es Canavero vorhat, würde in Deutschland „wie das Klonieren von Menschen“ angesehen.

Hunt Batjer, Präsident der US-Neurochirurgen-Vereinigung, zweifelt an den Erfolgschancen der Transplantation. Er ist nicht davon überzeugt, dass neben der Verbindung der Knochen, Muskeln, Atemwege und Blutgefäße es möglich ist das Rückenmark zu verbinden. Er prognostiziert das der Patient nach der Operation sich weder bewegen noch selbstständig atmen könnte. Er wäre ein Gefangener im Körper eines anderen. Das Schicksal des Patienten wäre „schlimmer als der Tod“. Er sagt Hunt Batjer. Ebenfalls der Paralyse-Forscher aus West Lafayette, Indiana, Richard Borgens vertritt die Meinung, dass bei Valery Spiridonov anschließend die Motorik oder das Gefühl nicht funktionieren werden. Auch Harry Goldsmith, Neurochirurg an der University of California, sieht es als irreal an. „Es gibt zu viele Probleme mit dem Verfahren“, so der Neurochirurg. „Ich glaube nicht, dass es jemals funktionieren wird“. Auch sind sich die meisten Mediziner einig, dass dem Patienten hohe Dosen an Immununterdrückern verabreicht werden müssen, damit sich Körper und Kopf nicht gegenseitig abstoßen. Das kann ein Nierenversagen zur Folge haben, mit einem gleichzeitigen extrem hohen Risikos einer Krebserkrankung. Ein Medizinethiker hält das ganze Vorhaben für eine PR-Aktion von Canavero und zweifelt an dem Geisteszustand des italienischen Chirurgen.

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