Nach dem Einbruch des Rückhaltebeckens der Erzmine Samarco sind 62 Millionen Kubikmeter Schwermetallschlamm ausgetreten. Der Fluss Rio Doce ist für Jahrzehnte verseucht. Die einstige Lebensader ist nun ein ökologischer Friedhof. Das verseuchte Wasser hat nun auch den Atlantik erreicht. Das Ausmaß der ökologischen Katastrophe ist verheerend für Mensch, Tier und Natur. Die Ursache ist kriminelle Profitgier und inkompetente Politik.
Vor rund einem Monat sind nahe der Stadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais zwei Staudämme gebrochen. Es handelte sich um Rückhaltebecken der Erzmine Samarco. Die ausgetretenen 62 Millionen Kubikmeter Schwermetallschlamm rollten ins Tal, begruben ein Dorf unter sich und ergossen sich über Tausende Hektar fruchtbaren Bodens. Mehr als 20 Menschen starben und etliche werden noch vermisst. „Ein brauner Tsunami aus 62 Millionen Litern giftigem Schlamm überrollte die Ortschaft Bento Rodrigues […] Doch die grau-braunen Schlammmassen ließen sich nicht aufhalten und fließen in den Fluss Rio Doce. Der 850 Kilometer lange ‘süße Fluss‘ ist die Lebensader der Region. Jetzt ist er ein ‚‘biologischer Friedhof‘. Wenn der Schlamm ankommt, stirbt jedes Leben, binnen Minuten“, beschreibt der Biologe Marcos Freitas von der Universität in Rio de Janeiro das Ereignis.
Jetzt steht Brasilien vor der schlimmsten Umweltkatastrophe in der Geschichte des Landes. Von der Unglücksstelle bis in den Atlantik sind es rund 660 Kilometer. Auf dem Weg haben die Schwermetalle unzählige Fische, Vögel und andere Lebensformen ausgerottet. Jetzt ist von dem einst ökologisch gesunden Fluss nur noch eine trübe, rötlich-schimmernde und tödliche Brühe übrig. Die Lebensader Rio Doce war für viele Familien existenziell. Viele Menschen sind zudem von der Wasserversorgung abgeschnitten und müssen mit Tanklastwagen versorgt werden.
Die Fischer versuchten zu retten was noch zu retten ist. Mit hunderten Freiwilligen versuchten sie verzweifelt Fische in die nahen Lagunen umzusiedeln. Die Zeit war gegen sie und sie haben den Kampf verloren. Es wurden mehr als neun Millionen Tonnen toter Fisch aus dem Fluss geborgen. „Es ist unser Fukushima“, klagt ein Fischer. Die Medienseite „AJ+“ veröffentlichte ein Video auf Facebook über das massive Fischsterben. Es zeigt wie ansässige Fischer massenweise tote Fische aus dem Fluss ziehen. „Wie sollen wir Fischer nun überleben?“, fragt einer der Betroffenen.
Inzwischen ist die totbringende Verseuchung im Atlantik angelangt und wird eine weitere ökologische Katastrophe auslösen. Umweltschützer sind besorgt über die möglichen Umweltschäden im Atlantik: „Wir fürchten schwere Schäden an den artenreichen, empfindlichen Küstenökosystemen im Mündungsgebiet“, schreibt die Umweltschutzorganisation WWF. Dort leben unter anderem Wale, Robben und Meeresschildkröten.
Je mehr Details über die Umweltkatastrophe bekannt werden, desto größer wird die Wut der brasilianischen Bevölkerung gegen den Minenbetreiber Samarco. Eigentümer der Mine sind zu gleichen Teilen der brasilianische Bergwerkskonzern Vale und der britisch-australische Konzern BHP Billiton. Eine genaue Ursache weshalb der Damm gebrochen ist gibt es noch nicht. Aber es ist naheliegend, dass die im vergangenen Jahr erhöhte Produktion und das gleichzeitige Ignorieren von Risikendazu geführt haben. Von Beginn an arbeitete der Betreiber Samarco mit Desinformationen und Beschwichtigungen. Zunächst ließ Samarco verlauten der Schlamm sei nicht giftig. Er enthalte keine gesundheitsschädigenden Stoffe. Es wurden vom Betreiber Wasserproben genommen und diese zeigten keine erhöhten Konzentrationen von Schwermetallen. Umweltexperten und die Staatsanwaltschaft weisen diese Aussage als falsch zurück. Der ‘tote Fluss‘ ist eigentlich Beweis genug. Auch die Mär eines Erdbebens der Stärke 2,6 auf der Richterskala bei Mariana wurde von Samarco als Ursache vorgeschoben.
Die zurückhaltende Haltung über die Verantwortlichkeit des Unternehmens wurde stark kritisiert. Der Vale-Chef Vescovi brauchte ganze 17 Tage, bevor er sich öffentlich bei den Betroffenen und den Behörden in der TV-Sendung “Fantástico” von TV Globo halbherzig entschuldigte. Mittlerweile ist Vescovi in den Fokus der Staatsanwaltschaft gerückt. Nicht nur wegen des Dammbruchs, sondern weil er über Nacht etwa 80 Millionen Euro von den Unternehmens-Konten verschwinden ließ. Die Konten hatte zuvor Richter Frederico Gonçalves, vom Landgericht Mariana, als Entschädigungsfond für die Opfer blockieren lassen.
Eine schlechte Figur im Krisenmanagement gab auch die politisch angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff ab. Es dauerte mehr als eine Woche, bevor sie sich per Helikopter einen Überblick über die Katastrophe machte und die zuständigen Gouverneure zu sich bestellte. Der Weltöffentlichkeit verkündete sie auf der Weltklimakonferenz in Paris groß mündig, dass die Unternehmen für ihr „unverantwortliches Handeln“ zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem gab die Regierung bekannt die verantwortlichen Unternehmen auf fünf Milliarden Euro Schadensersatz zu verklagen.
Dieses Geld kommt in einen Umweltfond, der nach Angaben von Umweltministerin Izabela Teixeira auf 10 Jahre angelegt werden soll. Bei Bedarf werde der Zeitraum verlängert. Weigern sich die Unternehmen, könnten Konten der Unternehmen eingefroren werden. Ob es je zu einer so hohen Verurteilung kommt oder ob das Unternehme je bezahlt kann bezweifelt werden. „Wir haben eine wirklich gute Gesetzgebung, die sehr fortschrittlich in Bezug auf die Verantwortlichkeit für solche Umweltkatastrophen ist“, erklärt Anwalt Mauricio Guetta von der Umweltorganisation Instituto Socioambiental. „Aber wir haben ein Problem bei der Umsetzung“. Im Klartext: 97 Prozent aller verhängten Strafen werden in Brasilien nicht bezahlt.
Erst langsam werden die Dimensionen der Umweltkatastrophe wirklich deutlich. Es werde mindestens 100 Jahre dauern, bis die giftigen Schwermetalle aus dem Rio Doce verschwunden sind, erklärt der Umweltbiologe André Ruschi. Im Atlantik werden auf einer Fläche von 200.000 Quadratkilometern die toxischen Schwermetalle nachweisbar sein. Durch Wellen und Niederschläge im Ozean kommt es zu dieser weiten Verbreitung der Verseuchung, so Ruschi. In Espirito Santo, wo der Fluss ins Meer mündet, sind selbst die als Surferparadies bekannten Strände verseucht. Auf Jahre werden keine Krebse, Muscheln oder Schildkröten dort leben. Selbst die Korallenriffe werden dem Gift-Schlamm zum Opfer fallen. Die Regierung spielt die Katastrophe herunter. Sie geht von etwa 25 Jahren aus, bis die Umweltschäden beseitigt sind.
Untersuchungen von Proben ergaben Überreste von Arsen, Chrom, Nickel, Blei und Quecksilber in dem Schlamm. „Das Ausmaß der Umweltschäden entspricht etwa der Größe von 20.000 olympischen Schwimmbecken gefüllt mit giftigem Schlamm. Außerdem gibt es eine Kontamination der Böden, Flüsse und des Wassersystems auf mehr als 850 Kilometern“, erklärt John Knox, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt.
Dabei hätte das Unglück allem Anschein nach verhindert werden können. Hinter dem „größten Umweltverbrechen in Brasilien“ stecken für die ehemalige Umweltministerin und zweifache Präsidentschaftskandidatin Marina Silva kriminelle Machenschaften. Ähnlich sehen es die auch Ingenieure der Umweltbehörde Ibama. „Natürlich hätte das Unglück verhindert werden können. Ein Damm bricht nicht von einem Tag auf den anderen“, ließ die Behörde verlauten. Der Bergbaukonzern bleibt bei seiner Abwehrhaltung und beschwichtigt. Die Anwälte des Unternehmens erklärten, es seien regelmäßig Kontrollen durchgeführt worden und es seien keine Anomalitäten aufgetreten. Die Staatsanwaltschaft ist nun gefordert dem Bergbaukonzern Fahrlässigkeit nachzuweisen, um ein Urteil zu erreichen.
Samarco ist unterdessen nicht müde auf seine Auszeichnungen für “nachhaltiges Umweltmanagement”, insbesondere auf die Zertifizierung nach ISO 14.001 aufmerksam zu machen. Das deckt sich allerdings nicht mit dem Gutachten, dass der Staatsanwaltschaft von Minas Gerais vorliegt. In dem Gutachten, wegen eines Antrags auf Lizenzverlängerung für den Betrieb des Dammes in 2013, bezeichnet das beauftragte Institut Prístino die Gefahr eines Dammbruchs in Santarém und Fundão als alarmierend aktuell. Sie sollten Recht behalten, wie die Katastrophe zeigt. Diverse Techniker und Professoren der Bundesuniversität Minas Gerais (UFMG) warnten auf acht Seiten vor der gefährlichen Nähe des Fundão-Damms und dem Standort der Mine Fábrica Nova. In der Mine türmten sich von Eisenerz befreite Felsen und stellen eine Gefahr für den mit den Eisenbergbau-Abfällen gefüllten Damm dar. „Kontaktflächen zwischen dem Felsstapel und dem Damm sind augenfällig. Diese Situation ist wegen der Möglichkeit einer Destabilisierung der Stapelmasse und erosiver Vorgänge für den Kontext beider Strukturen ungeeignet“ heisst es in dem Gutachten.
Nun will die Staatsanwaltschaft wissen, ob die in dem Gutachten vorgeschlagenen Maßnahmen diesbezüglich getroffen wurden. Vale-Chef Vescovi behauptet von dem Gutachten nichts gewusst zu haben. Er äußerte sich auch nicht zu dem Fakt, dass die Genehmigung für den Betrieb des Santarém-Damms, an der Mine Germano, seit Mai 2013 ausgelaufen ist. Der Damm wird seitdem illegal betrieben. Ende November sickerte noch aus dem Unternehmen Samarco durch, dass der Fundão-Damm auch als Deponie der Eisenerz-Behandlungs- und Entarsenisierungs-Anlage Alegria genutzt wurde. Die Menge würde „jedoch weniger als 5 Prozent des jährlich abgelagerten Abfallvolumens“ betragen.
Neben des schlechten Zustands der Samarco-Abfalldämme, kommt wohl auch die ohne Rücksicht auf die Überforderung von Arbeitskräften und Umwelt durchgeführte Produktionssteigerung hinzu. Laut dem Nachhaltigkeitsbericht 2014 von Samarco wurde die Produktion von Eisenpellets um 9,5 Millionen Tonnen auf 25 Millionen Tonnen gesteigert. Eine gewaltige, oder wie Kritiker sagen ‘gewalttätige‘ Produktionssteigerung von 15 Prozent zum Vorjahr. Bei der Produktion von jeder Tonne Eisenerz fallen in etwa dieselbe Menge an Sandabfällen und Entsorgungsschlamm an. Durch die Produktionssteigerung kamen so weitere drei Millionen Tonnen toxische Abfälle hinzu. Im Fundão-Damm stauten sich Ende 2014 dadurch 21,9 Millionen Tonnen giftiger Bergbau-Abfälle. Während im Jahresbericht des Unternehmens die ‘ Produktivitätsschlacht‘ hoch gelobt wurde, ist kein Wort darüber zu lesen, ob und wie das Fassungsvermögen und die Belastbarkeit der Dämme dahingehend berücksichtigt wurden.
„Das war kein Unfall!“, ist sich Staatsanwalt Carlos Eduardo Ferreira Pinto von der Justizbehörde Minas Gerais sicher. „Hier kann keine Rede sein von Fatalität. Wir können nicht zulassen, dass der Dammbruch als Unfall umgedeutet wird. Nicht innerhalb eines Unternehmens dieser Größenordnung. Das ist der Grund, weshalb ich den Vorfall als grobe Fahrlässigkeit bezeichne”.
Doch auch die Politik hat auf ganzer Linie versagt. In Brasilien ist die Unfallbekämpfung ein undurchschaubares Behördengeflecht. Laut einer Untersuchung der Nationalen Agentur für Wasserwirtschaft (ANA) von 2014, wurden lediglich 856 von insgesamt etwa 15.000 betriebenen Staudämmen zwischen 2012 und 2014 einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Das sind gerade mal 5,7 Prozent. Der Konzern Vale betreibt allein 163 Staubecken in Brasilien, 123 davon im Bundesland Minas Gerais.
Das Problem auf behördlicher Seite ist das Versagen zentral koordinierter, staatlicher Vorbeuge-Instrumente, da vier Behörden sich die Aufgabe teilen. Die Bundesländer sind für die industriellen Abfalldämme zuständig, die ANA kontrolliert die Dämme an Länder übergreifenden Flüssen, die DNPM (Bundesbehörde für Mineralwirtschaft) ist für den Bergbau zuständig und die Mega-Staudämme für die Stromerzeugung werden von der Aneel (Agentur für elektrische Energie) inspiziert. Dies scheint zunächst plausibel, doch unterschiedliche und überlappende Gesetze sowie ein chaotisches System im Mit- und Nebeneinander machen eine Risiko- und Unfallbekämpfung beinahe unmöglich. In diesem Fall wären sowohl die Bundesländer (industrieller Abfalldamm), die ANA (Dämme an Länder übergreifenden Flüssen) als auch die DNPM (Behörde für Bergbau) an den Kontrollen beteiligt. Welche Behörde trägt also Mitschuld?
BHP Billiton ist der weltweit größte Bergbau Konzern und fördert Eisen, Kohle, Kupfer, Nickel, Uran, Gas und Erdöl überall in der Welt. Schon mehrfach stand der Konzern, ein Zusammenschluss der australischen Broken Hill Proprietary Co. mit der in Südafrika ansässigen britischen Billiton, wegen krimineller Umweltvergehen vor Gericht. So zum Beispiel in Peru, Kolumbien, Neuseeland und Papua-Neuguinea. Während sich BHP Billiton im Hintergrund hält, liegt der Vale-Vorsitzende Ricardo Vescovi im Brennpunkt. Das bei der Katastrophe nicht noch mehr Todesopfer zu beklagen waren ist nicht Samarco zu verdanken. Medien, Unternehmer und Politiker fragen sich sowieso, weshalb so ein Bergbaugigant keine Unfallsirenen in Betrieb hat. Es wurden vereinzelt Gemeindeglieder von Bento Rodrigues per Handy über den Dammbruch informiert. „Wäre es bei Nacht passiert, wären alle tot!“, empörte sich Duarte Júnior, Bürgermeister von Mariana.