Ein wissenschaftlicher Versuch verdeutlicht das Gefahrenpotenzial des massiven Einsatzes von Antibiotika in der Massentierhaltung. In der intensiven landwirtschaftlichen Tierhaltung sind Medikamente weit verbreitet. Bisher gibt es kaum Informationen über das Gefahrenpotenzial der Abbauprodukte der Tierpharmazie, die über die Gülle durch den Boden bis ins Trinkwasser gelangt.
Laut Umweltbundesamt wurden im Jahr 2012 etwa 1.619 Tonnen Antibiotika von Pharmaunternehmen und Arzneimittelgroßhändlern an Betreiber tierärztlicher Hausapotheken abgegeben. In der Humanmedizin wurden im selben Zeitraum etwa 630 Tonnen Antibiotika abgegeben. Der hohe Einsatz von Tierpharmazeutika liegt in den Verfahren der industriellen Massentierhaltung. Die Trennung von Aufzucht und Mast führt zu häufigen Ortswechseln der Tiere sowie zur Zusammenstellung neuer Tiergruppen durch Kauf von Tieren unterschiedlicher Züchter aus dem In- und Ausland. Der verursachte Stress für die Tiere, der Transport und die neue Zusammenstellung von Tiergruppen erhöhen die Infektionsanfälligkeit und führen zu steigenden Erkrankungsraten. Daher kommt es zu dem mengenmäßig hohen Einsatz von Antibiotika und Antiparasitika. Schlecht durchlüftete Ställe tun ein Übriges dazu.
Nur ein geringer Teil der verabreichten Medikamente verbleibt in den Tieren. Zwischen 60 und 80 Prozent der Wirkstoffe werden, teils als umgewandelte Abbaustoffe (Metaboliten/Transformationsprodukte), wieder ausgeschieden. Mit der Verwendung der Ausscheidungsprodukte als Dünger in Form von Gülle, Jauche und Stallmist gelangen die Antibiotika und deren Abbaustoffe auf die Felder. Durch das Versickern in den Boden besteht die Gefahr, dass die Wirkstoffe in oberflächennahe Gewässer, in als Trinkwasser genutztes Grundwasser und in oberirdische Gewässer gelangen können. Bisher gibt es keinen Grenzwert für Tierarzneimittel in der Trinkwasserverordnung.
In der Intensiv-Tierhaltung kommt ein breites Spektrum an Wirkstoffgruppen zum Einsatz. Die am häufigsten eingesetzten Antibiotika sind sogenannte Sulfonamide und Tetrazykline. Makrolide und ß-Lactame kommen ebenfalls häufig zum Einsatz. Da alle Wirkstoffe allen Tiergruppen verabreicht werden, ist es nicht möglich, einen Wirkstoff eindeutig einer Tierart zuzuordnen. Sulfonamide sind die weltweit am häufigsten analysierten Wirkstoffe im Grundwasser. Laut Umweltbundesamt besteht ein Defizit bei detaillierten Informationen zu den eingesetzten Wirkstoffen bezüglich den Verbrauchsmengen und der räumlichen Auflösung. Es gibt dazu bisher in Deutschland keine aussagekräftige Datenbank.
Das Umweltbundesamt wollte feststellen, ob es bei den großen Mengen von Tierarznei zu einer für den Menschen gefährlichen Belastung des Trinkwassers kommen könnte. Laut Umweltbundesamt ist der aktuelle Belastungszustand des oberflächennahen Grundwassers in Deutschland durch Tierarzneimittel gänzlich unbekannt. Er stand daher im Zentrum der Untersuchung. 2012 und 2013 wurden in den vier Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen zu unterschiedlichen saisonalen Zeiträumen in Gebieten mit hoher Viehbesatzdichte pro Jahr zwei Proben an 48 Messstellen entnommen. Neun Standorte waren Feststeinsgrundwasserleiter und 39 unverfestigte Lockergesteinsböden.
Die Proben wurden laboranalytisch auf relevante Tierarzneimittelstoffe untersucht. Bei den Proben aus dem Jahre 2012 konnten die zuvor abgeleiteten hohen Stickstoffbelastungen des Grundwassers bestätigt werden. Jede Probe lag entweder über dem EU-Schwellenwert für Nitrat (50 mg/l) oder für Ammonium (0,5 mg/l). In 20 der 23 Proben wurden keine Einzelwirkstoffe oberhalb der jeweiligen Nachweisgrenze gefunden. Drei nachgewiesene Wirkstoffe verteilten sich auf vier Messstellen. Bei den Proben aus 2013 wurden von den 48 Messstellen 52 Proben untersucht. Bei sechs Messstellen gab es Funde über der Bestimmungsgrenze.
Umweltbundesamt-Vizepräsident Thomas Holzmann betonte, dass hinsichtlich der Grundwasserbelastung zunächst Entwarnung gegeben werden könne, doch sollten Grenzwerte für Tierarzneimittel in der Trinkwasserverordnung und der Grundwasserverordnung festgesetzt werden. Dann wären die verantwortlichen Stellen verpflichtet, regelmäßig auf die Wirkstoffe zu testen. Damit ließen sich nach einem gewissen Zeitraum auch konkrete Zahlen erfassen, die aussagekräftig wären. Das aktuelle Hauptproblem für das Grundwasser ist noch immer die hohe Nitratbelastung. Nitrat kommt von stickstoffhaltigem Dünger, aus der Gülle der Mastställe und aus den Gärrückständen der Biogasanlagen.
Obwohl erstmal vorsichtig Entwarnung gegeben wurde, betont das Umweltbundesamt in seinem Bericht allerdings, dass die niedrigen Nachweise nach dem derzeitigen Informationsstand nicht eindeutig bewertet werden können, da Wiederholungsuntersuchungen über mehrere Jahre hinweg notwendig seien. Weiter heißt es: „Inwiefern auch bereits wasserwirtschaftlich genutzte Trinkwasservorkommen in den betroffenen Regionen betroffen sind, kann mit den Ergebnissen des Projektes nicht bewertet werden. Dazu müssten für den Tierarzneimittel-Eintrag geeignete Vorfeldmessstellen oder Trinkwasserbrunnen in besonders gefährdeten Regionen untersucht werden. Defizite und Wissenslücken bestehen auch im Hinblick auf die Probengewinnung.
Im Projekt wurden ausschließlich vorhandene Grundwassermessstellen verwendet, die den Nachteil haben, dass ihre räumliche Lage und ihre vertikale Verfilterung oft nicht hinreichend an die Fragestellung angepasst sind. Variable Grundwassersondierungen mit der Möglichkeit der tiefendifferenzierten Beprobung des Sicker- und Grundwassers würden hier eindeutiger interpretierbare Daten liefern. Dazu bieten sich die Zustromgebiete der Standorte mit bisherigen Funden an. Ebenso ist es sinnvoll, zukünftige Untersuchungen zum TAM-Eintrag in das Grundwasser auf weitere Regionen in Deutschland (z. B. mit höheren Grundwasserneubildungsraten) auszudehnen und die Kriterien der Standortauswahl breiter zu fassen.“