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20 Prozent des Trinkwassers mit zu viel Schadstoffen aus der Aufbereitung belastet

News20 Prozent des Trinkwassers mit zu viel Schadstoffen aus der Aufbereitung belastet

Die Wasserversorger Deutschlands bereiten das Wasser auf, damit es den Vorgaben der Trinkwasserverordnung entspricht. Die chemische Aufbereitung mit Chlor ist bundesweit Standard. Aktuelle Untersuchungen staatlicher Lebensmittelchemiker zeigen jedoch, dass dieses Verfahren problematisch ist. Jede fünfte Trinkwasserprobe enthielt zu viel Chlor.

Vor rund zwei Jahren standen staatliche Lebensmittelchemiker vor einem Rätsel. In Gewürzen und Salaten wurden hohe Konzentrationen von Chlorat entdeckt. Die erste Vermutung für die Ursache war der Einsatz verbotener Pestizide. In denen war Chlorat als Wirkstoff enthalten. Am Ende stellte sich heraus, dass der Wirkstoff in hohen Mengen im Trinkwasser enthalten war und bei der Reinigung der Salate und Gewürze in die Lebensmittel gelangte.

Aufgrund der damaligen Ergebnisse überprüfte das Chemische und Veterinär-Untersuchungsamt Stuttgart kürzlich Trinkwasser auf Chlorat. „Seit 2014 untersuchen wir Trinkwasser eben auch auf Chlorat. Das waren insgesamt seitdem etwa 140 Proben aus dem Regierungsbezirk Stuttgart. In durchaus etwa 20 Prozent der Wasserproben haben wir jetzt Chlorat-Gehalte gemessen, die über dem ‚Tolerable Daily Intake‘ für ein Kleinkind liegen würden“, so Carmen Breitling-Utzmann, die Leiterin des Labors für Trink- und Mineralwasser.

Chlorate als Salze der Chlorsäure (HClO3) wurden früher in Form von Natrium- und Kaliumchlorat als Herbizide zur Unkrautvernichtung eingesetzt. Diese sind jedoch in der EU seit 2008 nicht mehr als Pflanzenschutzmittel zugelassen. Chlorate können jedoch auch entstehen, wenn Chlor, Chlorgas, Chlorbleichlauge Chlordioxid oder Hypochlorite zur Desinfektion von Trinkwasser eingesetzt werden. Dies ist toxikologisch problematisch, da unter anderem die Iodidaufnahme der Schilddrüse gehemmt wird, was zu einer Schilddrüsenvergrößerung führen oder möglicherweise Veränderungen des Schilddrüsenhormonspiegels bewirken kann.

Die Wissenschaftler des Chemische und Veterinär-Untersuchungsamtes Stuttgart hatte für die Untersuchung von Chlorat in Trinkwasser eine LC/MS-MS-Methode mit einem Arbeitsbereich von 0,002 bis 0,2 mg/L Chlorat entwickelt. Mittels einem isotopenmarkiertem internen Standard erfolgte die Quantifizierung.

Die untersuchten Trinkwasserproben wurden aus überregionalen Fernwasserversorgungen in Baden-Württemberg, aus gemeindeeigenen Wasservorkommen, sowie aus Kleinanlagen (Eigenwasserversorgungen) entnommen. Bei 33 Prozent der Proben wurden Chloratgehalte unter 0,01 Milligramm pro Liter ermittelt. Etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) aller Proben wies eine Chloratkonzentration zwischen 0,01 Milligramm pro Liter und 0,05 Milligramm pro Liter auf. In 16 Prozent der Trinkwasserproben lag der Chloratgehalt über 0,05 Prozent. In 4,6 Prozent der Proben wurden Werte über 0,10 Milligramm pro Liter nachgewiesen.

Untersucht wurde auch das jeweilige Desinfektionsverfahrens auf die Chloratbildung. Mit Chlorgas aufbereitetes Trinkwasser wies lediglich in 5 Prozent der Proben einen Chloratgehalt von mehr als 0,05 Milligramm pro Liter auf. Wurde Chlorbleichlauge (23 Prozent) oder Chlordioxid (27 Prozent). Es zeigte sich, dass Proben aus gemeindeeigenen Wasservorkommen bzw. von einem Verband überwiegend höhere Chloratrückstände aufwiesen als Trinkwasser von Fernwasserversorgern. Fernwasserversorger versetzen das Trinkwasser in der Regel mit einer geringen Transportchlorung und es wird weniger nachgechlort. Wasserversorger mit gemeindeeigenen Wässern greifen aus hygienischen Gründen zu höheren Chlorzugaben.

Für Chlorat im Trinkwasser gibt es in der Trinkwasserverordnung derzeit weder einen Grenzwert noch eine akute Risikobewertung. Das Bundesamt für Risikobewertung orientiert sich in seiner Empfehlung für Lebensmittel (Stellungnahme Nr. 028/2014 vom 12. Mai 2014) an die Daten der WHO, die für Chlorat eine abgeleitete akzeptable Tagesdosis (ADI) von 0,01 mg/kg Körpergewicht als vorläufige Basis nahelegt. Dies gilt sowohl für die chronische als auch für die akute Risikobewertung.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat die tägliche Aufnahme von Chlorat vor kurzem neu bestimmt. „Eine längerfristige Exposition gegenüber Chlorat in Lebensmitteln, insbesondere im Trinkwasser, ist potenziell bedenklich für die Gesundheit von Kindern, vor allem jenen mit leichtem oder moderatem Jodmangel. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Gesamtaufnahme eines einzigen Tages – selbst im Bereich der höchsten geschätzten Aufnahmemengen – das empfohlene Sicherheitsniveau für Verbraucher aller Altersgruppen überschreitet.

Dies sind die wichtigsten Ergebnisse eines wissenschaftlichen Gutachtens der EFSA über chronische und akute Risiken für die öffentliche Gesundheit aufgrund der Exposition gegenüber Chlorat durch die Ernährung (einschließlich Trinkwasser).

Chlorat kann in Lebensmitteln infolge der Verwendung von gechlortem Wasser bei der Lebensmittelverarbeitung bzw. der Desinfektion von Lebensmittelverarbeitungsanlagen vorkommen. Die am stärksten betroffenen Lebensmittelgruppen sind Obst und Gemüse. Bei gefrorenen Sorten werden häufig die höchsten Chlorat-Konzentrationen in den einzelnen Lebensmittelgruppen festgestellt. Dies hängt wahrscheinlich von der Chlorat-Menge in zur Lebensmittelverarbeitung verwendetem gechlortem Wasser ab. Die Hauptquelle für Chlorat in der Ernährung ist jedoch Trinkwasser, das möglicherweise bis zu 60% zur chronischen Chlorat-Exposition von Säuglingen beiträgt.

Chronische Exposition– im Lauf der Zeit kann die Chlorat-Exposition zu einer Hemmung der Jodaufnahme führen. Die EFSA hat für die langfristige Exposition gegenüber Chlorat in Lebensmitteln eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 3 Mikrogramm pro kg Körpergewicht pro Tag (µg/kg KG/Tag) bestimmt. Höchstschätzungen der EFSA zufolge liegt die chronische Exposition von Säuglingen, Kleinkindern und älteren Kindern (bis zu 10 Jahren) über dem TDI, was auf Bedenken für alle Kinder mit leichtem oder moderatem Jodmangel schließen lässt.

Im Lehrbuch der Lebensmittelchemie werden die gängigen Verfahren der Trinkwasseraufbereitung und explizit die chemische Trinkwasseraufbereitung nachfolgend erläutert. „Neben dem Verfahren der Filtration sind folgende Möglichkeiten der Wasserdesinfektion und -sterilisation in Gebrauch.

Abkochen des Wassers tötet die enthaltenen Keime restlos ab, liefert jedoch schales, fade schmeckendes Wasser (Entfernung der Kohlensäure und der Erdalkalicarbonate). Bei Verseuchung zentraler Wasserversorgungsanlagen stellt es ein wirksames und oft das einzige Mittel dar, um bei rechtzeitiger Unterrichtung der Bevölkerung Epidemien zu verhüten.

Ultraviolettbestrahlung ist auf Verwendung in der Einzelwasserversorgung beschränkt, bei zentralen Wasserwerken ist dieses Verfahren wirtschaftlich nicht tragbar. Nach der „Lebensmittel-Bestrahlungs-VO“ vom 19.12.1959 ist die direkte Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen zur Entkeimung von Trinkwasser zugelassen.

Unter den rein chemischen Verfahren hat die Wasserbehandlung mit Chlor oder chlorliefernden Substanzen, die Chlorung des Wassers, zurzeit die größte Bedeutung. Die schon langebekannte, stark bactericide Wirkung des freien Chlors (schon 0,2-1,0 g/m3 töten in relativ kurzer Zeit alle schädlichen Mikroben im Wasser ab) ist zweifellos komplexer Natur. Chlor kann Bestandteile des mikrobiellen Organismus (Lipoproteide, Zellplasma) halogenieren, sich an ungesättigte Zellbestände anlagern oder direkt dehydrierend wirken. Stabilere Verbindungen werden direkt oxidiert. In Wasser gelöstes Chlor steht im Gleichgewicht mit unchlorierter Säure. Diese dissoziiert weiter zu Hypochlorit.

Offenbar hemmt Chlor spezifische Enzymsysteme der Bakterien. Nach der vorgenannten Verordnung sind neben Chlor, Natrium-, Calcium- und Magnesiumhypochlorid, Chlorkalk und Chlordioxid mit der Maßgabe zugelassen, das im aufbereiteten Trinkwasser höchstens 0,3 mg/l wirksames Chlor enthalten sind. Wenn es für eine ausreichende Entkeimung des Trinkwassers vorübergehend notwendig ist, kann der Chlorgehalt bis auf 0,6 mg/l erhöht werden. In den USA fand die Trinkwasserchlorung bereits 1908-1912 allgemein Eingang; in Deutschland wurde die erste derartige Anlage 1920 in Altona errichtet.

Vor der Chlorung ist die Chlorzehrung des Wassers, das Chlorbindungsvermögen (Chlorbedarf, Chlorkapazität, „Brakpoint“) zu bestimmen, nachdem die Zugabe flüssigen Chlors zunächst zu einem Wasser-Teilstrom und dann erst zum Hauptwasserleitungsrohr erfolgt. Etwa halbstündige Einwirkungszeit des Chlors führt zu praktisch vollständiger Entkeimung; die die obengenannten, im Trinkwasser erlaubten Chlormengen sind zur Sicherung der Keimfreihaltung vorgesehen. Chlorung liefert nach dem Agens riechendes und schmeckendes Trinkwasser, die Geschmacksgrenze für freies Chlor liegt bei 0,5 mh/l, die Geruchsgrenze viel niedriger.“

„Chlorat kann eben in Trinkwasser vorkommen, wenn bei der Desinfektion mit diversen chlorhaltigen Mitteln nicht genügend sorgsam vorgegangen wird. Ein sehr häufig verwendetes Desinfektionsmittel ist die sogenannte Chlorbleichlauge. Was viele da sicherlich nicht wissen, ist, dass wenn man die länger stehen lässt, dass sich dann das Chlorat schon in der Bleichlauge ansammelt“, so Carmen Breitling-Utzmann, die Leiterin des Labors für Trink- und Mineralwasser. „Große Wasserversorger setzen in der Regel nur eine sehr geringe Transport-Chlorierung zu. Wenn es ins Leitungsnetz geht, dass es einen gewissen Schutz hat. Das ist aber normal nicht viel. Wo es eher eingesetzt wird: bei kleineren Zweckverbänden oder Eigenwasserversorgungen. Also wenn jemand einen eigenen Brunnen hat, der jetzt nicht die höchste Wasserqualität hat – da wird dann schon eher gechlort. Das kommt häufiger vor, als man denkt.“

Zwar gibt es einen Grenzwert für Chlorat, doch der gilt nur für das verkaufsfähige Produkt, also in dem Moment wo etwa Bleichlauge über die Ladentheke geht. Doch erst bei der Lagerung erhöhen sich die Chloratgehalte. Deshalb fordert das Stuttgarter Untersuchungsamt auch einen Grenzwert für Chlorat im Trinkwasser. „Dadurch wird auch das Bewusstsein bei den Anwendern geschärft, dass da eben ein Stoff ist, der gefährlich sein kann und den ich überwachen muss“, sagt Carmen Breitling-Utzmann. Dann wären die Wasserversorger verpflichtet die Gehalte zu überwachen. Das Umweltbundesamt ist für die Trinkwasser-Qualität in Deutschland zuständig. Mittlerweile befasst sich eine Expertengruppe mit dem Thema. Ob dies letztlich zu einem Grenzwert für Chlorat in der Trinkwasserverordnung führt ist offen.

Die OEWA Wasser und Abwasser GmbH aus Grimma gibt Tipps und Tricks gegen Chlorgeruch des Trinkwassers. „Da sich das Chlor an der Luft verflüchtigt, genügen in der Regel ganz einfache Maßnahmen, um den unangenehmen Geruch zu bekämpfen: Lassen Sie das Wasser vor dem Trinken einfach einige Momente auslüften. Fügen Sie dem Wasser ein paar Spritzer Zitronensaft hinzu. … und schon ist der Chlorgeruch weg! Chlor ist in den zulässigen Konzentrationen für den menschlichen Körper völlig unbedenklich und unterbindet die Übertragung von Krankheitserregern durch das Trinkwasser“. Ernst nehmen sollte man dies jedoch nicht, denn wie sich aktuell zeigt sind die Konzentrationen von Chlorat in jeder fünften Probe zu hoch. Und nur weil der Geruch mit ein paar Spritzern Zitronensaft eliminiert wurde, bedeutet dies nicht, dass nun das Trinkwasser bedenkenlos konsumiert werden kann.

 

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